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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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wie eine Mosaikarbeit, nur den einen originellen Einfall mit den andern, nicht
das Ganze. Eine lebhafte Vorstellung geht aus diesem scholastischen Durch¬
einander um so weniger hervor, da Creuzer eigentlich eine trockene Natur ist,
der es mehr aus das Register als den Inhalt ankommt. Wie diese Scho¬
lastik die Menge elektrisiren konnte, begreift man erst, wenn man die Arbeiten
eines Mannes von gleichem Streben, geringerer Gelehrsamkeit, aber viel grö¬
ßerer Phantasie damit zusammenstellt, die Arbeiten von Görres.*)

Ein wahres Brillantfeuerwerk ist Görres Religion in der Geschichte
(Creuzers Studien 1807); es handelt zwar von allen möglichen Dingen, haupt¬
sächlich aber von dem Gesetz der historischen Entwicklung; die Sprache steht
in der Mitte zwischen den Propheten und den indischen Religionsbüchern.
Görres macht auf die Momente des scheinbaren Stillstands aufmerksam: "Ist
das nicht so recht bedeutsam in unsern Tagen auf uns eingedrungen, wo erst
jene große Gährung in der Zeit gewesen, die alle Geister in sich eingeschlun¬
gen und gewaltsam und rastlos sie in ihren Wirbeln umgetrieben, und nun
nachdem sie durch Ueberreiz zahm geworden und als ein fügsam und gelenkig
Werkzeug sich dem Erdgeist beugt, nun von allen Seiten sichs zur Ruhe neigt,
und die Gegenwart gewissermaßen nur ein einzig großes Gähnen ist,
wo die erschöpfte, überwachte Natur gewaltsam ihre Rechte fordert. schlaf¬
trunken und immer doch von neuem wieder aufgepeitscht, taumelt dies Ge¬
schlecht daher; besinnungslos will die kleinste Anstrengung ihm nicht mehr ge¬
lingen; wie Nachtwandler gehn Nationen um, böse Träume träumend: der
aber wird Herr am Ende sein, über den die Nacht keine Herrschaft übt, der
wie der Löwe, vom heißen Blut getrieben, im straff gespannten Muskel keine
Ermüdung sühlt und schnell im raschen Umtrieb jeden Verlust ersetzt." "Es
hat die alte Erde zuerst ihr Werk vollbracht, aus eigner Tiefe wollte sie sich
selbst ein Wunderkind gestalten; in verborgener Kluft und in finstern Abgrün¬
den hat sie den Samen zu dem Bilde aufgesucht, und in dem kühlen Thau,
der allnächtlich fällt. alle Unterirdischen haben zu dem Werk ihr beigestanden,
und mit vielfältigen Gaben den Liebling ihr gesegnet, auch die Lüfte haben
wie im Liebesregen sich über ihn hinabergossen, und der Mond hat mit seinen
kalten Jnfluenzen freundlich ihn bestrahlt, und in seine dunkeln Effluvien wie
ein Netz ihn eingeknüpft. So ist die irdische Natur im Menschen zuerst her¬
vorgegangen, ein seltsam kunstreich Werk der Schattenmächte; das Leben, das
die Dinge in verschwiegenen Nächten leben, ist ihr Leben auch geworden; es



"> Wie übrigens die Naturphilosophie ihre Wirkungen auf Männer von dem verschieden¬
sten Talent und der ungleichartigsten Bildung ausdehnte, zeigt sich in den Abhandlungen
Böckhs über Timaos und die Weltseele "1S07), Loos über Paracelsus 1805, Bachmanns
über Jacob Böhme 1809, Schlossers über Bruno 1809 und Welckers über die Herma¬
phroditen in der alten Kunst 1808.

wie eine Mosaikarbeit, nur den einen originellen Einfall mit den andern, nicht
das Ganze. Eine lebhafte Vorstellung geht aus diesem scholastischen Durch¬
einander um so weniger hervor, da Creuzer eigentlich eine trockene Natur ist,
der es mehr aus das Register als den Inhalt ankommt. Wie diese Scho¬
lastik die Menge elektrisiren konnte, begreift man erst, wenn man die Arbeiten
eines Mannes von gleichem Streben, geringerer Gelehrsamkeit, aber viel grö¬
ßerer Phantasie damit zusammenstellt, die Arbeiten von Görres.*)

Ein wahres Brillantfeuerwerk ist Görres Religion in der Geschichte
(Creuzers Studien 1807); es handelt zwar von allen möglichen Dingen, haupt¬
sächlich aber von dem Gesetz der historischen Entwicklung; die Sprache steht
in der Mitte zwischen den Propheten und den indischen Religionsbüchern.
Görres macht auf die Momente des scheinbaren Stillstands aufmerksam: „Ist
das nicht so recht bedeutsam in unsern Tagen auf uns eingedrungen, wo erst
jene große Gährung in der Zeit gewesen, die alle Geister in sich eingeschlun¬
gen und gewaltsam und rastlos sie in ihren Wirbeln umgetrieben, und nun
nachdem sie durch Ueberreiz zahm geworden und als ein fügsam und gelenkig
Werkzeug sich dem Erdgeist beugt, nun von allen Seiten sichs zur Ruhe neigt,
und die Gegenwart gewissermaßen nur ein einzig großes Gähnen ist,
wo die erschöpfte, überwachte Natur gewaltsam ihre Rechte fordert. schlaf¬
trunken und immer doch von neuem wieder aufgepeitscht, taumelt dies Ge¬
schlecht daher; besinnungslos will die kleinste Anstrengung ihm nicht mehr ge¬
lingen; wie Nachtwandler gehn Nationen um, böse Träume träumend: der
aber wird Herr am Ende sein, über den die Nacht keine Herrschaft übt, der
wie der Löwe, vom heißen Blut getrieben, im straff gespannten Muskel keine
Ermüdung sühlt und schnell im raschen Umtrieb jeden Verlust ersetzt." „Es
hat die alte Erde zuerst ihr Werk vollbracht, aus eigner Tiefe wollte sie sich
selbst ein Wunderkind gestalten; in verborgener Kluft und in finstern Abgrün¬
den hat sie den Samen zu dem Bilde aufgesucht, und in dem kühlen Thau,
der allnächtlich fällt. alle Unterirdischen haben zu dem Werk ihr beigestanden,
und mit vielfältigen Gaben den Liebling ihr gesegnet, auch die Lüfte haben
wie im Liebesregen sich über ihn hinabergossen, und der Mond hat mit seinen
kalten Jnfluenzen freundlich ihn bestrahlt, und in seine dunkeln Effluvien wie
ein Netz ihn eingeknüpft. So ist die irdische Natur im Menschen zuerst her¬
vorgegangen, ein seltsam kunstreich Werk der Schattenmächte; das Leben, das
die Dinge in verschwiegenen Nächten leben, ist ihr Leben auch geworden; es



"> Wie übrigens die Naturphilosophie ihre Wirkungen auf Männer von dem verschieden¬
sten Talent und der ungleichartigsten Bildung ausdehnte, zeigt sich in den Abhandlungen
Böckhs über Timaos und die Weltseele «1S07), Loos über Paracelsus 1805, Bachmanns
über Jacob Böhme 1809, Schlossers über Bruno 1809 und Welckers über die Herma¬
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[0256] wie eine Mosaikarbeit, nur den einen originellen Einfall mit den andern, nicht das Ganze. Eine lebhafte Vorstellung geht aus diesem scholastischen Durch¬ einander um so weniger hervor, da Creuzer eigentlich eine trockene Natur ist, der es mehr aus das Register als den Inhalt ankommt. Wie diese Scho¬ lastik die Menge elektrisiren konnte, begreift man erst, wenn man die Arbeiten eines Mannes von gleichem Streben, geringerer Gelehrsamkeit, aber viel grö¬ ßerer Phantasie damit zusammenstellt, die Arbeiten von Görres.*) Ein wahres Brillantfeuerwerk ist Görres Religion in der Geschichte (Creuzers Studien 1807); es handelt zwar von allen möglichen Dingen, haupt¬ sächlich aber von dem Gesetz der historischen Entwicklung; die Sprache steht in der Mitte zwischen den Propheten und den indischen Religionsbüchern. Görres macht auf die Momente des scheinbaren Stillstands aufmerksam: „Ist das nicht so recht bedeutsam in unsern Tagen auf uns eingedrungen, wo erst jene große Gährung in der Zeit gewesen, die alle Geister in sich eingeschlun¬ gen und gewaltsam und rastlos sie in ihren Wirbeln umgetrieben, und nun nachdem sie durch Ueberreiz zahm geworden und als ein fügsam und gelenkig Werkzeug sich dem Erdgeist beugt, nun von allen Seiten sichs zur Ruhe neigt, und die Gegenwart gewissermaßen nur ein einzig großes Gähnen ist, wo die erschöpfte, überwachte Natur gewaltsam ihre Rechte fordert. schlaf¬ trunken und immer doch von neuem wieder aufgepeitscht, taumelt dies Ge¬ schlecht daher; besinnungslos will die kleinste Anstrengung ihm nicht mehr ge¬ lingen; wie Nachtwandler gehn Nationen um, böse Träume träumend: der aber wird Herr am Ende sein, über den die Nacht keine Herrschaft übt, der wie der Löwe, vom heißen Blut getrieben, im straff gespannten Muskel keine Ermüdung sühlt und schnell im raschen Umtrieb jeden Verlust ersetzt." „Es hat die alte Erde zuerst ihr Werk vollbracht, aus eigner Tiefe wollte sie sich selbst ein Wunderkind gestalten; in verborgener Kluft und in finstern Abgrün¬ den hat sie den Samen zu dem Bilde aufgesucht, und in dem kühlen Thau, der allnächtlich fällt. alle Unterirdischen haben zu dem Werk ihr beigestanden, und mit vielfältigen Gaben den Liebling ihr gesegnet, auch die Lüfte haben wie im Liebesregen sich über ihn hinabergossen, und der Mond hat mit seinen kalten Jnfluenzen freundlich ihn bestrahlt, und in seine dunkeln Effluvien wie ein Netz ihn eingeknüpft. So ist die irdische Natur im Menschen zuerst her¬ vorgegangen, ein seltsam kunstreich Werk der Schattenmächte; das Leben, das die Dinge in verschwiegenen Nächten leben, ist ihr Leben auch geworden; es "> Wie übrigens die Naturphilosophie ihre Wirkungen auf Männer von dem verschieden¬ sten Talent und der ungleichartigsten Bildung ausdehnte, zeigt sich in den Abhandlungen Böckhs über Timaos und die Weltseele «1S07), Loos über Paracelsus 1805, Bachmanns über Jacob Böhme 1809, Schlossers über Bruno 1809 und Welckers über die Herma¬ phroditen in der alten Kunst 1808.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/256>, abgerufen am 23.07.2024.