Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

des Humanismus der erste unbestimmte Trieb der Nachahmung zur Poly-
historic, dann zur Kritik überging. "Alle jene Stimmungen und Bestrebungen
konnten aber erst dadurch einen Mittelpunkt gewinnen, daß es in unsern Ta¬
gen gelang, das Antike als ein Ganzes in der Idee zu denken, sein inneres
Wesen im Gegensatz gegen das Romantische zu erforschen und daraus die Ge¬
setze seiner Bildung abzuleiten; wodurch es allein möglich ward, das Zufällige
der antiken Formen von dem Wesentlichen zu unterscheiden." Der Jüngling
sei um so fähiger zum Philosophiren, je mehr ihn der Geist des Alterthums
ergriffen habe. "Bei unserm zerstreuten Leben fehlt uns nur zu sehr jene Ver¬
fassung des innern Menschen, die allein zum Philosophiren fähig macht, jene
tiefe Bewegung des Gemüths, jene Befreiung des Geistes von der Herrschaft
der Sinne, jene Erhebung zum Anschaun des Ganzen in der Natur, mit einem
Wort die Empfänglichkeit für die Ideen. Vorzüglich stellen Platos Werke
einen Kanon dar der vollendeten Lehrkunst und einer symbolischen Behandlung
des Idealen. Hier erkennen wir einen Künstler, der das Ziel des innern
Lebens erreichte, von dem er wie von einem immer heiteren Gipfel tief unter
sich sieht alle Wolken, die das gemeine Leben umschatten. Das Gefühl des
Kontrastes zwischen diesem gebildeten Sinn und dem gemeinen Leben ist es,
was man als sokratische Ironie bezeichnet. In diesen Schriften sind Philo¬
sophie und Poesie aufs innigste vermählt und eben dadurch erwecken sie den
Sinn für höhere Speculation. Ebenso zeitgemäß ist es, an die neuplatonische
Philosophie zu erinnern, die wegen ihrer durchgängigen Richtung zum Idealen
jetzt besonders unsere Aufmerksamkeit fordert, wiewol sie in Reinheit der
Form nicht die entfernteste Vergleichung zuläßt mit der des alten Meisters,
von dem diese Philosophie den Namen trügt. Ein Hauptgrund von diesem
Verfall der Darstellung liegt ohne Zweifel in dem Bestreben dieser Philo¬
sophen, das Höchste, wozu sich der Mensch zu erheben vermag, direct aus¬
zusprechen, und gleichsam das Unbeschränkte in die engen Schranken mensch¬
licher Rede zu zwingen. Wer aber wird micht tiefe Achtung empfinden für
den heiligen Ernst dieser Denker, wenn er siehet den harten Kampf ihrer
Ideen mit dem Worte, wiewol sie seltener sich des Sieges freun als der gött¬
liche Platon. der. wenn hier ein Ausspruch des Longinos angewendet werden
darf, auch in der Trunkenheit nüchtern war und das Selbstvergessen des Dio¬
nysos vereinigte mit der Besonnenheit der Athene." -- Diese Einleitung dient
dazu, ein Fragment aus Plotins Enneaden einzuführen, dem er das bedeu¬
tungsvolle Motto aus dem Theätet vorgesetzt hat: "Gib wohl Acht und siehe
um dich, damit nicht der Ungeweihten einer dies höre. Das sind Menschen,
die nichts glauben, als was sie greiflich anfassen können mit ihren beiden
Händen, und nichts hören mögen von dem Unsichtbaren, eben als sei es nicht,
solche sind von den Musen ganz und gar verlassen." -- In den Erläuterungen


des Humanismus der erste unbestimmte Trieb der Nachahmung zur Poly-
historic, dann zur Kritik überging. „Alle jene Stimmungen und Bestrebungen
konnten aber erst dadurch einen Mittelpunkt gewinnen, daß es in unsern Ta¬
gen gelang, das Antike als ein Ganzes in der Idee zu denken, sein inneres
Wesen im Gegensatz gegen das Romantische zu erforschen und daraus die Ge¬
setze seiner Bildung abzuleiten; wodurch es allein möglich ward, das Zufällige
der antiken Formen von dem Wesentlichen zu unterscheiden." Der Jüngling
sei um so fähiger zum Philosophiren, je mehr ihn der Geist des Alterthums
ergriffen habe. „Bei unserm zerstreuten Leben fehlt uns nur zu sehr jene Ver¬
fassung des innern Menschen, die allein zum Philosophiren fähig macht, jene
tiefe Bewegung des Gemüths, jene Befreiung des Geistes von der Herrschaft
der Sinne, jene Erhebung zum Anschaun des Ganzen in der Natur, mit einem
Wort die Empfänglichkeit für die Ideen. Vorzüglich stellen Platos Werke
einen Kanon dar der vollendeten Lehrkunst und einer symbolischen Behandlung
des Idealen. Hier erkennen wir einen Künstler, der das Ziel des innern
Lebens erreichte, von dem er wie von einem immer heiteren Gipfel tief unter
sich sieht alle Wolken, die das gemeine Leben umschatten. Das Gefühl des
Kontrastes zwischen diesem gebildeten Sinn und dem gemeinen Leben ist es,
was man als sokratische Ironie bezeichnet. In diesen Schriften sind Philo¬
sophie und Poesie aufs innigste vermählt und eben dadurch erwecken sie den
Sinn für höhere Speculation. Ebenso zeitgemäß ist es, an die neuplatonische
Philosophie zu erinnern, die wegen ihrer durchgängigen Richtung zum Idealen
jetzt besonders unsere Aufmerksamkeit fordert, wiewol sie in Reinheit der
Form nicht die entfernteste Vergleichung zuläßt mit der des alten Meisters,
von dem diese Philosophie den Namen trügt. Ein Hauptgrund von diesem
Verfall der Darstellung liegt ohne Zweifel in dem Bestreben dieser Philo¬
sophen, das Höchste, wozu sich der Mensch zu erheben vermag, direct aus¬
zusprechen, und gleichsam das Unbeschränkte in die engen Schranken mensch¬
licher Rede zu zwingen. Wer aber wird micht tiefe Achtung empfinden für
den heiligen Ernst dieser Denker, wenn er siehet den harten Kampf ihrer
Ideen mit dem Worte, wiewol sie seltener sich des Sieges freun als der gött¬
liche Platon. der. wenn hier ein Ausspruch des Longinos angewendet werden
darf, auch in der Trunkenheit nüchtern war und das Selbstvergessen des Dio¬
nysos vereinigte mit der Besonnenheit der Athene." — Diese Einleitung dient
dazu, ein Fragment aus Plotins Enneaden einzuführen, dem er das bedeu¬
tungsvolle Motto aus dem Theätet vorgesetzt hat: „Gib wohl Acht und siehe
um dich, damit nicht der Ungeweihten einer dies höre. Das sind Menschen,
die nichts glauben, als was sie greiflich anfassen können mit ihren beiden
Händen, und nichts hören mögen von dem Unsichtbaren, eben als sei es nicht,
solche sind von den Musen ganz und gar verlassen." — In den Erläuterungen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/106064"/>
          <p xml:id="ID_728" prev="#ID_727" next="#ID_729"> des Humanismus der erste unbestimmte Trieb der Nachahmung zur Poly-<lb/>
historic, dann zur Kritik überging. &#x201E;Alle jene Stimmungen und Bestrebungen<lb/>
konnten aber erst dadurch einen Mittelpunkt gewinnen, daß es in unsern Ta¬<lb/>
gen gelang, das Antike als ein Ganzes in der Idee zu denken, sein inneres<lb/>
Wesen im Gegensatz gegen das Romantische zu erforschen und daraus die Ge¬<lb/>
setze seiner Bildung abzuleiten; wodurch es allein möglich ward, das Zufällige<lb/>
der antiken Formen von dem Wesentlichen zu unterscheiden." Der Jüngling<lb/>
sei um so fähiger zum Philosophiren, je mehr ihn der Geist des Alterthums<lb/>
ergriffen habe. &#x201E;Bei unserm zerstreuten Leben fehlt uns nur zu sehr jene Ver¬<lb/>
fassung des innern Menschen, die allein zum Philosophiren fähig macht, jene<lb/>
tiefe Bewegung des Gemüths, jene Befreiung des Geistes von der Herrschaft<lb/>
der Sinne, jene Erhebung zum Anschaun des Ganzen in der Natur, mit einem<lb/>
Wort die Empfänglichkeit für die Ideen. Vorzüglich stellen Platos Werke<lb/>
einen Kanon dar der vollendeten Lehrkunst und einer symbolischen Behandlung<lb/>
des Idealen. Hier erkennen wir einen Künstler, der das Ziel des innern<lb/>
Lebens erreichte, von dem er wie von einem immer heiteren Gipfel tief unter<lb/>
sich sieht alle Wolken, die das gemeine Leben umschatten. Das Gefühl des<lb/>
Kontrastes zwischen diesem gebildeten Sinn und dem gemeinen Leben ist es,<lb/>
was man als sokratische Ironie bezeichnet. In diesen Schriften sind Philo¬<lb/>
sophie und Poesie aufs innigste vermählt und eben dadurch erwecken sie den<lb/>
Sinn für höhere Speculation. Ebenso zeitgemäß ist es, an die neuplatonische<lb/>
Philosophie zu erinnern, die wegen ihrer durchgängigen Richtung zum Idealen<lb/>
jetzt besonders unsere Aufmerksamkeit fordert, wiewol sie in Reinheit der<lb/>
Form nicht die entfernteste Vergleichung zuläßt mit der des alten Meisters,<lb/>
von dem diese Philosophie den Namen trügt. Ein Hauptgrund von diesem<lb/>
Verfall der Darstellung liegt ohne Zweifel in dem Bestreben dieser Philo¬<lb/>
sophen, das Höchste, wozu sich der Mensch zu erheben vermag, direct aus¬<lb/>
zusprechen, und gleichsam das Unbeschränkte in die engen Schranken mensch¬<lb/>
licher Rede zu zwingen. Wer aber wird micht tiefe Achtung empfinden für<lb/>
den heiligen Ernst dieser Denker, wenn er siehet den harten Kampf ihrer<lb/>
Ideen mit dem Worte, wiewol sie seltener sich des Sieges freun als der gött¬<lb/>
liche Platon. der. wenn hier ein Ausspruch des Longinos angewendet werden<lb/>
darf, auch in der Trunkenheit nüchtern war und das Selbstvergessen des Dio¬<lb/>
nysos vereinigte mit der Besonnenheit der Athene." &#x2014; Diese Einleitung dient<lb/>
dazu, ein Fragment aus Plotins Enneaden einzuführen, dem er das bedeu¬<lb/>
tungsvolle Motto aus dem Theätet vorgesetzt hat: &#x201E;Gib wohl Acht und siehe<lb/>
um dich, damit nicht der Ungeweihten einer dies höre. Das sind Menschen,<lb/>
die nichts glauben, als was sie greiflich anfassen können mit ihren beiden<lb/>
Händen, und nichts hören mögen von dem Unsichtbaren, eben als sei es nicht,<lb/>
solche sind von den Musen ganz und gar verlassen." &#x2014; In den Erläuterungen</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0253] des Humanismus der erste unbestimmte Trieb der Nachahmung zur Poly- historic, dann zur Kritik überging. „Alle jene Stimmungen und Bestrebungen konnten aber erst dadurch einen Mittelpunkt gewinnen, daß es in unsern Ta¬ gen gelang, das Antike als ein Ganzes in der Idee zu denken, sein inneres Wesen im Gegensatz gegen das Romantische zu erforschen und daraus die Ge¬ setze seiner Bildung abzuleiten; wodurch es allein möglich ward, das Zufällige der antiken Formen von dem Wesentlichen zu unterscheiden." Der Jüngling sei um so fähiger zum Philosophiren, je mehr ihn der Geist des Alterthums ergriffen habe. „Bei unserm zerstreuten Leben fehlt uns nur zu sehr jene Ver¬ fassung des innern Menschen, die allein zum Philosophiren fähig macht, jene tiefe Bewegung des Gemüths, jene Befreiung des Geistes von der Herrschaft der Sinne, jene Erhebung zum Anschaun des Ganzen in der Natur, mit einem Wort die Empfänglichkeit für die Ideen. Vorzüglich stellen Platos Werke einen Kanon dar der vollendeten Lehrkunst und einer symbolischen Behandlung des Idealen. Hier erkennen wir einen Künstler, der das Ziel des innern Lebens erreichte, von dem er wie von einem immer heiteren Gipfel tief unter sich sieht alle Wolken, die das gemeine Leben umschatten. Das Gefühl des Kontrastes zwischen diesem gebildeten Sinn und dem gemeinen Leben ist es, was man als sokratische Ironie bezeichnet. In diesen Schriften sind Philo¬ sophie und Poesie aufs innigste vermählt und eben dadurch erwecken sie den Sinn für höhere Speculation. Ebenso zeitgemäß ist es, an die neuplatonische Philosophie zu erinnern, die wegen ihrer durchgängigen Richtung zum Idealen jetzt besonders unsere Aufmerksamkeit fordert, wiewol sie in Reinheit der Form nicht die entfernteste Vergleichung zuläßt mit der des alten Meisters, von dem diese Philosophie den Namen trügt. Ein Hauptgrund von diesem Verfall der Darstellung liegt ohne Zweifel in dem Bestreben dieser Philo¬ sophen, das Höchste, wozu sich der Mensch zu erheben vermag, direct aus¬ zusprechen, und gleichsam das Unbeschränkte in die engen Schranken mensch¬ licher Rede zu zwingen. Wer aber wird micht tiefe Achtung empfinden für den heiligen Ernst dieser Denker, wenn er siehet den harten Kampf ihrer Ideen mit dem Worte, wiewol sie seltener sich des Sieges freun als der gött¬ liche Platon. der. wenn hier ein Ausspruch des Longinos angewendet werden darf, auch in der Trunkenheit nüchtern war und das Selbstvergessen des Dio¬ nysos vereinigte mit der Besonnenheit der Athene." — Diese Einleitung dient dazu, ein Fragment aus Plotins Enneaden einzuführen, dem er das bedeu¬ tungsvolle Motto aus dem Theätet vorgesetzt hat: „Gib wohl Acht und siehe um dich, damit nicht der Ungeweihten einer dies höre. Das sind Menschen, die nichts glauben, als was sie greiflich anfassen können mit ihren beiden Händen, und nichts hören mögen von dem Unsichtbaren, eben als sei es nicht, solche sind von den Musen ganz und gar verlassen." — In den Erläuterungen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/253
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/253>, abgerufen am 23.07.2024.