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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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die Vermählung seines Enkels Karl (der ihm 1811 folgte) mit Napoleons
Adoptivtochter Stephanie wurde der Glanz des Hofes erhöht, und die Aka¬
demie gewann mit unglaublicher Schnelligkeit eine Bedeutung, welche erst
später durch die berliner Universität in Schatten gestellt wurde. Der Leiter
der geistigen Bewegung war Daub, über dessen Stellung zur Theologie wir
später einiges mitzutheilen gedenken; an ihn schlössen sich Schwarz, Mar-
heineke (1807--1811), de Wette (1807--1810). Neander (1811 -- 1812).
Mit besonderem Erfolg wurde die juristische Facultät besetzt: Ki über, Arnold
Heise (1804). Thibaut. Martin (1805). Zachariä (1807). Die Medicin
hatte an Nägele (1807) einen ausgezeichneten Vertreter; an ihn schloß sich
der Chemiker Kastner und der Naturphilosoph Schelver aus Jena (1806);
Fries trug (1305) seine Philosophie vor. später erhielt er Görres zum Col¬
lege". Der Historiker Willen trat 1805 ein. in demselben Jahr die beiden
Voß; Böckh (1807.) Ein seltener Verein von Kräften, der.noch durch den
Aufenthalt Brentanosund Arnims (1808). Z. Werners (1808). Gries
(1806--8) und anderer gesteigert wurde. Um aber die Glcichstrebenden aus
der Nähe und Ferne heranzuziehen, gründeten Daub und Creuzer 1805 die
Studien, die in der Theologie, Philosophie und Alterthumswissenschaft einen
Umschwung vorbereiten sollten, in welchem die unruhige Bewegung der jüngst¬
vergangenen Zeit zu ihrem vollendeten Ausdruck kam. -- Creuzer eröffnete sie
April 1805 mit der Abhandlung: das Studium der Alten als Vorbe¬
reitung zur Philosophie, die er später selbst als dilettantisch verwarf,
die aber für die Culturgeschichte jener Zeit einen absoluten Werth behält. Er
zeigt, daß der Werth der Alterthumskunde nicht durch einzelne Zwecke bedingt
ist, die sich dieser oder jener für das Leben vorsetzen mag. Es ist vielmehr
die ideale Richtung der griechischen Schriften, die Idee einer würdigen gött¬
lichen Menschheit, deren wir zur Auffrischung unserer theilweise mechanischen
Cultur bedürfen. "Es kann wol nicht fehlen, daß derjenige, der in den ent¬
scheidenden Jahren, wo sich vorzüglich das innere Urtheil bildet, in den Schrif¬
ten der Alten die hingeschwundene Größe anschaut, sich durch sie ergriffen fühle
und an ihnen lerne sein Gemüth zu würdigen Entschließungen zu erheben.
Wenigstens ist es keine allzuseltene Erfahrung, daß ein fähiger Lehrling, so¬
bald er zum Versteh" der Alten glücklich durchgedrungen, sich ihnen nun mit
voller Seele hingibt und berührt von dem großen Inhalt ihrer Historien,
begeistert durch die Dichtungen ihrer Poeten, den Boden der Wirklichkeit ver¬
lassend sich hinüberträumt zu den ehrwürdigen Schatten und in seinen Phan¬
tasien ihnen zugesellet wird. Bedauern müssen wir zum mindesten einen jeden,
dessen Leben nicht einmal dieses goldene Zeitalter hatte, ehe ihm die bürger¬
liche Sorge erschien und ihn'auf immer in Anspruch nahm." Creuzer macht
auf die Kunstform der Alten aufmerksam und zeigt dann, wie in der Geschichte


die Vermählung seines Enkels Karl (der ihm 1811 folgte) mit Napoleons
Adoptivtochter Stephanie wurde der Glanz des Hofes erhöht, und die Aka¬
demie gewann mit unglaublicher Schnelligkeit eine Bedeutung, welche erst
später durch die berliner Universität in Schatten gestellt wurde. Der Leiter
der geistigen Bewegung war Daub, über dessen Stellung zur Theologie wir
später einiges mitzutheilen gedenken; an ihn schlössen sich Schwarz, Mar-
heineke (1807—1811), de Wette (1807—1810). Neander (1811 — 1812).
Mit besonderem Erfolg wurde die juristische Facultät besetzt: Ki über, Arnold
Heise (1804). Thibaut. Martin (1805). Zachariä (1807). Die Medicin
hatte an Nägele (1807) einen ausgezeichneten Vertreter; an ihn schloß sich
der Chemiker Kastner und der Naturphilosoph Schelver aus Jena (1806);
Fries trug (1305) seine Philosophie vor. später erhielt er Görres zum Col¬
lege«. Der Historiker Willen trat 1805 ein. in demselben Jahr die beiden
Voß; Böckh (1807.) Ein seltener Verein von Kräften, der.noch durch den
Aufenthalt Brentanosund Arnims (1808). Z. Werners (1808). Gries
(1806—8) und anderer gesteigert wurde. Um aber die Glcichstrebenden aus
der Nähe und Ferne heranzuziehen, gründeten Daub und Creuzer 1805 die
Studien, die in der Theologie, Philosophie und Alterthumswissenschaft einen
Umschwung vorbereiten sollten, in welchem die unruhige Bewegung der jüngst¬
vergangenen Zeit zu ihrem vollendeten Ausdruck kam. — Creuzer eröffnete sie
April 1805 mit der Abhandlung: das Studium der Alten als Vorbe¬
reitung zur Philosophie, die er später selbst als dilettantisch verwarf,
die aber für die Culturgeschichte jener Zeit einen absoluten Werth behält. Er
zeigt, daß der Werth der Alterthumskunde nicht durch einzelne Zwecke bedingt
ist, die sich dieser oder jener für das Leben vorsetzen mag. Es ist vielmehr
die ideale Richtung der griechischen Schriften, die Idee einer würdigen gött¬
lichen Menschheit, deren wir zur Auffrischung unserer theilweise mechanischen
Cultur bedürfen. „Es kann wol nicht fehlen, daß derjenige, der in den ent¬
scheidenden Jahren, wo sich vorzüglich das innere Urtheil bildet, in den Schrif¬
ten der Alten die hingeschwundene Größe anschaut, sich durch sie ergriffen fühle
und an ihnen lerne sein Gemüth zu würdigen Entschließungen zu erheben.
Wenigstens ist es keine allzuseltene Erfahrung, daß ein fähiger Lehrling, so¬
bald er zum Versteh» der Alten glücklich durchgedrungen, sich ihnen nun mit
voller Seele hingibt und berührt von dem großen Inhalt ihrer Historien,
begeistert durch die Dichtungen ihrer Poeten, den Boden der Wirklichkeit ver¬
lassend sich hinüberträumt zu den ehrwürdigen Schatten und in seinen Phan¬
tasien ihnen zugesellet wird. Bedauern müssen wir zum mindesten einen jeden,
dessen Leben nicht einmal dieses goldene Zeitalter hatte, ehe ihm die bürger¬
liche Sorge erschien und ihn'auf immer in Anspruch nahm." Creuzer macht
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/252>, abgerufen am 23.07.2024.