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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Hotel zurück. In der Stadt war ein Auflauf. Soldaten schleppten einen
kläglich schreienden und sich mit Händen und Füßen sträubenden Burschen auf
die Wache. Wir fragten, was er verbrochen und erfuhren, daß er über Kuppler-
geschäften ertappt worden, ein Handwerk, welches hier ziemlich lebhaft be¬
trieben zu werden scheint; denn schon im nächsten Augenblicke zupfte eine Hand
an dem Rockschöße meines Begleiters, und ein verschmitzt grinsendes Gesicht
fragte: "Ung, della. äonn",?"

Im Gasthof wartete unser ein Abendessen aus Brot, Käse und zähem
Kalbfleisch, über dessen Kärglichkeit wir uns mit einer Flasche Santorinwein
zu trösten versuchten, was nur unvollständig gelang, weshalb wir den Beschluß
faßten, den nächsten Tag anderswo Herberge zu suchen. Die Hotels in Athen
sind aber überhaupt keine Mustergasthäuser. Die beiden ersten, Hotel d'Angle-
terre und Hotel d'Orient, sind allerdings elegant, fast prächtig eingerichtet,
die Zimmer hoch, gut möblirt und mit ausgezeichneten Betten versehen. Da¬
gegen läßt die Tafel außerordentlich viel vermissen. Der Kaffee ist ungenie߬
bar, ja man fragt sich, ob er überhaupt Anspruch auf den Namen Kaffee
hat. Die Bedienung ist beim Empfang der Gäste und noch mehr beim Ab¬
schied seur behend und prompt zur Hand, sonst aber schwer zu erlangen; auch
schien ihr die englische Kundschaft, die sonst überall reformirt. noch nicht die
Begriffe von Reinlichkeit beigebracht zu haben, welche dem civilisirten Kellner
so zierlich stehen. Die kleineren Gasthäuser zeigen schon durch ihr Aeußeres, daß
diese nothwendigste der Tugenden in ihnen noch weniger geehrt ist; doch ent¬
sprechen hier wenigstens die Preise den Leistungen von Wirth und Koch.

Sehr anmuthig ist der Garten hinter dem Hotel d'Angleterre. Prächtige
Rosenlauben laden zum Sitzen ein. Orangenbäume und andere blütenreiche
Pflanzen spenden Wohlgerüche. Zwischen Cypressen sind Marmorreliefs und
Grabschriften aufgestellt, die man beim Bau des Hauses ausgegraben. Ein
Gang in lauer Nacht bei Mondlicht und Nachtigallenschlag durch diese reizende
Anlage war das Beste, was wir hier genossen. Dennoch litt es uns nicht
lange da. Wir mußten noch einmal hinaus auf die Straße und den freien
Platz, auf dem sich noch spät Spaziergänger hin- und herbewegten, um sich
nach der Hitze des Tages der Abendkühle zu erfreuen. Gern wären wir noch
in dieser Stunde nach der Akropolis hinaufgestiegen, die sich jetzt wie ein
mächtiger dunkelvioletter Schattenriß von dem mattblauen Himmel über der
Stadt abhob. Es war Vollmond, und wir malten uns gegenseitig den Ein¬
druck aus, den der edle Bau des Parthenon bei dieser Beleuchtung machen
mußte. Aber das Thor wird nach Sonnenuntergang geschlossen. Auch mun¬
kelte der Portier des Hotels von unsichern Gegenden da droben, und wir
meinten, ihm glauben zu müssen, da wir bemerkt hatten, daß man selbst in
der Stadt des Nachts 'Patrouillen zu Fuß und zu Pferde für nöthig hält.


Hotel zurück. In der Stadt war ein Auflauf. Soldaten schleppten einen
kläglich schreienden und sich mit Händen und Füßen sträubenden Burschen auf
die Wache. Wir fragten, was er verbrochen und erfuhren, daß er über Kuppler-
geschäften ertappt worden, ein Handwerk, welches hier ziemlich lebhaft be¬
trieben zu werden scheint; denn schon im nächsten Augenblicke zupfte eine Hand
an dem Rockschöße meines Begleiters, und ein verschmitzt grinsendes Gesicht
fragte: „Ung, della. äonn»,?"

Im Gasthof wartete unser ein Abendessen aus Brot, Käse und zähem
Kalbfleisch, über dessen Kärglichkeit wir uns mit einer Flasche Santorinwein
zu trösten versuchten, was nur unvollständig gelang, weshalb wir den Beschluß
faßten, den nächsten Tag anderswo Herberge zu suchen. Die Hotels in Athen
sind aber überhaupt keine Mustergasthäuser. Die beiden ersten, Hotel d'Angle-
terre und Hotel d'Orient, sind allerdings elegant, fast prächtig eingerichtet,
die Zimmer hoch, gut möblirt und mit ausgezeichneten Betten versehen. Da¬
gegen läßt die Tafel außerordentlich viel vermissen. Der Kaffee ist ungenie߬
bar, ja man fragt sich, ob er überhaupt Anspruch auf den Namen Kaffee
hat. Die Bedienung ist beim Empfang der Gäste und noch mehr beim Ab¬
schied seur behend und prompt zur Hand, sonst aber schwer zu erlangen; auch
schien ihr die englische Kundschaft, die sonst überall reformirt. noch nicht die
Begriffe von Reinlichkeit beigebracht zu haben, welche dem civilisirten Kellner
so zierlich stehen. Die kleineren Gasthäuser zeigen schon durch ihr Aeußeres, daß
diese nothwendigste der Tugenden in ihnen noch weniger geehrt ist; doch ent¬
sprechen hier wenigstens die Preise den Leistungen von Wirth und Koch.

Sehr anmuthig ist der Garten hinter dem Hotel d'Angleterre. Prächtige
Rosenlauben laden zum Sitzen ein. Orangenbäume und andere blütenreiche
Pflanzen spenden Wohlgerüche. Zwischen Cypressen sind Marmorreliefs und
Grabschriften aufgestellt, die man beim Bau des Hauses ausgegraben. Ein
Gang in lauer Nacht bei Mondlicht und Nachtigallenschlag durch diese reizende
Anlage war das Beste, was wir hier genossen. Dennoch litt es uns nicht
lange da. Wir mußten noch einmal hinaus auf die Straße und den freien
Platz, auf dem sich noch spät Spaziergänger hin- und herbewegten, um sich
nach der Hitze des Tages der Abendkühle zu erfreuen. Gern wären wir noch
in dieser Stunde nach der Akropolis hinaufgestiegen, die sich jetzt wie ein
mächtiger dunkelvioletter Schattenriß von dem mattblauen Himmel über der
Stadt abhob. Es war Vollmond, und wir malten uns gegenseitig den Ein¬
druck aus, den der edle Bau des Parthenon bei dieser Beleuchtung machen
mußte. Aber das Thor wird nach Sonnenuntergang geschlossen. Auch mun¬
kelte der Portier des Hotels von unsichern Gegenden da droben, und wir
meinten, ihm glauben zu müssen, da wir bemerkt hatten, daß man selbst in
der Stadt des Nachts 'Patrouillen zu Fuß und zu Pferde für nöthig hält.


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[0245] Hotel zurück. In der Stadt war ein Auflauf. Soldaten schleppten einen kläglich schreienden und sich mit Händen und Füßen sträubenden Burschen auf die Wache. Wir fragten, was er verbrochen und erfuhren, daß er über Kuppler- geschäften ertappt worden, ein Handwerk, welches hier ziemlich lebhaft be¬ trieben zu werden scheint; denn schon im nächsten Augenblicke zupfte eine Hand an dem Rockschöße meines Begleiters, und ein verschmitzt grinsendes Gesicht fragte: „Ung, della. äonn»,?" Im Gasthof wartete unser ein Abendessen aus Brot, Käse und zähem Kalbfleisch, über dessen Kärglichkeit wir uns mit einer Flasche Santorinwein zu trösten versuchten, was nur unvollständig gelang, weshalb wir den Beschluß faßten, den nächsten Tag anderswo Herberge zu suchen. Die Hotels in Athen sind aber überhaupt keine Mustergasthäuser. Die beiden ersten, Hotel d'Angle- terre und Hotel d'Orient, sind allerdings elegant, fast prächtig eingerichtet, die Zimmer hoch, gut möblirt und mit ausgezeichneten Betten versehen. Da¬ gegen läßt die Tafel außerordentlich viel vermissen. Der Kaffee ist ungenie߬ bar, ja man fragt sich, ob er überhaupt Anspruch auf den Namen Kaffee hat. Die Bedienung ist beim Empfang der Gäste und noch mehr beim Ab¬ schied seur behend und prompt zur Hand, sonst aber schwer zu erlangen; auch schien ihr die englische Kundschaft, die sonst überall reformirt. noch nicht die Begriffe von Reinlichkeit beigebracht zu haben, welche dem civilisirten Kellner so zierlich stehen. Die kleineren Gasthäuser zeigen schon durch ihr Aeußeres, daß diese nothwendigste der Tugenden in ihnen noch weniger geehrt ist; doch ent¬ sprechen hier wenigstens die Preise den Leistungen von Wirth und Koch. Sehr anmuthig ist der Garten hinter dem Hotel d'Angleterre. Prächtige Rosenlauben laden zum Sitzen ein. Orangenbäume und andere blütenreiche Pflanzen spenden Wohlgerüche. Zwischen Cypressen sind Marmorreliefs und Grabschriften aufgestellt, die man beim Bau des Hauses ausgegraben. Ein Gang in lauer Nacht bei Mondlicht und Nachtigallenschlag durch diese reizende Anlage war das Beste, was wir hier genossen. Dennoch litt es uns nicht lange da. Wir mußten noch einmal hinaus auf die Straße und den freien Platz, auf dem sich noch spät Spaziergänger hin- und herbewegten, um sich nach der Hitze des Tages der Abendkühle zu erfreuen. Gern wären wir noch in dieser Stunde nach der Akropolis hinaufgestiegen, die sich jetzt wie ein mächtiger dunkelvioletter Schattenriß von dem mattblauen Himmel über der Stadt abhob. Es war Vollmond, und wir malten uns gegenseitig den Ein¬ druck aus, den der edle Bau des Parthenon bei dieser Beleuchtung machen mußte. Aber das Thor wird nach Sonnenuntergang geschlossen. Auch mun¬ kelte der Portier des Hotels von unsichern Gegenden da droben, und wir meinten, ihm glauben zu müssen, da wir bemerkt hatten, daß man selbst in der Stadt des Nachts 'Patrouillen zu Fuß und zu Pferde für nöthig hält.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/245>, abgerufen am 22.07.2024.