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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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die innen Zerwürfnisse in der düsseldorfer Künstlerschaft anzudeuten. Sie
sind längst ein öffentliches Geheimniß geworden. Welche Anlässe den ursprüng¬
lich gewiß unbedeutenden Zwist im Laufe der Jahre zu schroffer Parteiung
anschwellten, läßt sich nicht angeben, auch nicht abwägen, auf welcher Seite
die größere Schuld liegt. Daß die ältern Künstler nicht neidlos auf die jüngern
Kräfte, die allen Ruhm und alle künstlerische Bedeutung ausschließlich für sich
in Anspruch nehmen, blicken, und daß die letzteren wieder nur widerwillig dem
officiellen Ansetzn der "Professoren" sich beugen, liegt in der Natur der Dinge.
Dazu kommt in Düsseldorf das leidige gedrängte Aufeinandersitzen der Künst¬
ler, die keinen Raum zwischen sich fühlen, nothwendig in ihren Meinungs¬
gegensätzen eine überreizte Empfindlichkeit annehmen und das gegenseitige
Geltenlassen schwer erlernen. Das Uebrige thaten dann störende persönliche
Verhältnisse, deren Erörterung nicht füglich in öffentlichen Blättern Platz finden
kann. Genug, daß eine tiefe Spaltung in Düsseldorf seit Jahren wahrgenom¬
men wird, die nicht allein das sociale Leben verkümmert, sondern auch das
freie künstlerische Wirken in trauriger Weise hemmt. Die Akademie hat schon
längst, noch vor Schadows Erkrankung aufgehört, als Schule Bedeutung zu
besitzen. Das ließe sich leicht verschmerzen; beklagenswerther muß es erscheinen,
daß bei der oppositionellen Stellung, welche die Akademie zur Mehrzahl der
selbstständigen Künstler einnimmt, sie auch als allgemeiner Hintergrund, der
z. B. in Betreff der Sammlungen, des künstlerischen Lehrapparates u. s. w.
das Vermögen des einzelnen Individuums ergänzen könnte, nicht mehr gilt,
und neben der Künstlerschaft ein bloßes Schattenleben führt, um dann doch
wieder in einzelnen Fällen eine leitende Wirksamkeit, zum Aerger und theil¬
weise auch zum Schaden der Mehrheit, in Anspruch zu nehmen.

Eine einzige Persönlichkeit stand über den Parteien, hatte sich die Achtung
der einen, die Liebe und Verehrung der andern bewahrt und inmitten all¬
gemeiner Befangenheit das klare und billige Urtheil stets walten lassen. Das
war Lessing. Niemand in Düsseldorf verkannte diese vermittelnde Stellung
Lessings, niemanden gab es, der nicht, wenn die leidigen Zerwürfnisse und
Feindschaften sich wieder einmal geltend machten. Trost darin fand, daß
wenigstens ein Künstler frei von ihrem Einflüsse blieb und unter Umständen
als Richter auftreten konnte. Lessings Entwicklungsgang näherte ihn der äl¬
tern Generation, seine künstlerische Anschauung verband ihn mit den jüngern
Kräften, während sein mannhaftes, allem Scheine abholdes Wesen, seine bekannte
Anspruchslosigkeit ihn vor jeder unlauteren Zumuthung sicherten. Nichts zeichnet
Lessings eigenthümliche Stellung und Bedeutung in Düsseldorf so gut, wie
folgende Thatsache. Die düsseldorfer Künstler erhielten, es mögen wol zehn
Jahre seitdem verstrichen sein, von den Frauen und Jungfrauen der Stadt
eine prachtvolle Fahne geschenkt. Damals gab es noch keine scharfgegliederten


die innen Zerwürfnisse in der düsseldorfer Künstlerschaft anzudeuten. Sie
sind längst ein öffentliches Geheimniß geworden. Welche Anlässe den ursprüng¬
lich gewiß unbedeutenden Zwist im Laufe der Jahre zu schroffer Parteiung
anschwellten, läßt sich nicht angeben, auch nicht abwägen, auf welcher Seite
die größere Schuld liegt. Daß die ältern Künstler nicht neidlos auf die jüngern
Kräfte, die allen Ruhm und alle künstlerische Bedeutung ausschließlich für sich
in Anspruch nehmen, blicken, und daß die letzteren wieder nur widerwillig dem
officiellen Ansetzn der „Professoren" sich beugen, liegt in der Natur der Dinge.
Dazu kommt in Düsseldorf das leidige gedrängte Aufeinandersitzen der Künst¬
ler, die keinen Raum zwischen sich fühlen, nothwendig in ihren Meinungs¬
gegensätzen eine überreizte Empfindlichkeit annehmen und das gegenseitige
Geltenlassen schwer erlernen. Das Uebrige thaten dann störende persönliche
Verhältnisse, deren Erörterung nicht füglich in öffentlichen Blättern Platz finden
kann. Genug, daß eine tiefe Spaltung in Düsseldorf seit Jahren wahrgenom¬
men wird, die nicht allein das sociale Leben verkümmert, sondern auch das
freie künstlerische Wirken in trauriger Weise hemmt. Die Akademie hat schon
längst, noch vor Schadows Erkrankung aufgehört, als Schule Bedeutung zu
besitzen. Das ließe sich leicht verschmerzen; beklagenswerther muß es erscheinen,
daß bei der oppositionellen Stellung, welche die Akademie zur Mehrzahl der
selbstständigen Künstler einnimmt, sie auch als allgemeiner Hintergrund, der
z. B. in Betreff der Sammlungen, des künstlerischen Lehrapparates u. s. w.
das Vermögen des einzelnen Individuums ergänzen könnte, nicht mehr gilt,
und neben der Künstlerschaft ein bloßes Schattenleben führt, um dann doch
wieder in einzelnen Fällen eine leitende Wirksamkeit, zum Aerger und theil¬
weise auch zum Schaden der Mehrheit, in Anspruch zu nehmen.

Eine einzige Persönlichkeit stand über den Parteien, hatte sich die Achtung
der einen, die Liebe und Verehrung der andern bewahrt und inmitten all¬
gemeiner Befangenheit das klare und billige Urtheil stets walten lassen. Das
war Lessing. Niemand in Düsseldorf verkannte diese vermittelnde Stellung
Lessings, niemanden gab es, der nicht, wenn die leidigen Zerwürfnisse und
Feindschaften sich wieder einmal geltend machten. Trost darin fand, daß
wenigstens ein Künstler frei von ihrem Einflüsse blieb und unter Umständen
als Richter auftreten konnte. Lessings Entwicklungsgang näherte ihn der äl¬
tern Generation, seine künstlerische Anschauung verband ihn mit den jüngern
Kräften, während sein mannhaftes, allem Scheine abholdes Wesen, seine bekannte
Anspruchslosigkeit ihn vor jeder unlauteren Zumuthung sicherten. Nichts zeichnet
Lessings eigenthümliche Stellung und Bedeutung in Düsseldorf so gut, wie
folgende Thatsache. Die düsseldorfer Künstler erhielten, es mögen wol zehn
Jahre seitdem verstrichen sein, von den Frauen und Jungfrauen der Stadt
eine prachtvolle Fahne geschenkt. Damals gab es noch keine scharfgegliederten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/24>, abgerufen am 23.07.2024.