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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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endlich, der schlimmste Gast auf Reisen zur See. beschleicht den Passagier in
diesen Strichen überhaupt nicht, da er nur ein einziges Mal und auch da nur
auf kurze Zeit, das Land aus den Augen verliert.

Die "Germania" ist ein Dampfer der griechisch-orientalischen Linie, und
diese vermittelt zugleich den Verkehr Oestreichs mit der Ostküste von Italien.
So hoffte ich auch von diesem Lande der Sehnsucht ein Stück zu genießen.
War es klein und konnte der Genuß nur kurz sein, so war es doch Italien,
und Ancona mußte etwas von der Schönheit Roms. Molfetta und Brindisi,
die beiden andern Haltpunkte, etwas von Neapels Anmuth haben. Diejenigen
Leser, welche hier waren, wissen, wie sehr ich mich täuschte. Auch der Rücken
der Sonne ist schön. Die Rückseite Italiens aber mit ihrer nur selten zu
Buchten einbiegenden Küste, ihren waldlosen Bergen, ihrer flachen Südhälfte,
erweckt eher alle andern Empfindungen, als die des Wohlgefallens. Dazu
kommt die Geringfügigkeit des Verkehrs in den Häfen, dazu der Verfall, der
Schmuz und die immer wiederkehrenden Beispiele von Trägheit in den Städ¬
ten, dazu in Ancona das gedrückte mürrische Wesen der Einwohner, die täg¬
lich den Anblick der verhaßten östreichischen Wcißröcke dulden müssen, dazu
vor Molfetta und Brindist das unbehagliche Gefühl, welches Gedanken an die
neapolitanische Polizei, an Poerios Kerker, an die Peinigungen seiner
tausend und abertausend Leidensgefährten begleitet. Ich gestehe, daß ich
unter diesen Umständen froh war, als wir aus der Bucht von Brindist
hinaufsteuernd allmälig die weiße Stadt und ihr ochergelbes, wie aus
Kork geschnittnes Felsencastell und endlich mit der Landspitze, auf welcher der
Leuchtthurm steht, die letzten Spuren der italienischen Küste aus dem Gesicht
verloren.

Am nächsten Morgen sah ich durch das kleine Fenster meiner Schlafkammer
bekannte purpurblaue Felshörner, die eine bekannte weiße Stadt im weiten
Bogen umgeben. Zwischen Stadt und Gebirg erhob sich amphitheatralisch
ein baumreiches Hügelland, über dessen grüne Wipfel einzelne schwarze Cypressen
ragten. Zwischen Schiff und Strand wimmelte es von Barken mit Ruderern
w griechischem Costüm. Der Dampfer lag still. Als er sich ein wenig drehte,
trat zu dem Bilde auf der Linken ein altersgraues Castell auf schroffem, theil¬
weise von grünen Schlingpflanzen überkletterten Klippenvorsprunge. Ich ging
aufs Deck, und scharf wie ein Schattenriß abgeschnitten vom gelblichen Him¬
mel, aus den Höhen rosenroth angestrahlt von der eben aufgehenden Sonne,
in den Tiefen rauchblau breitete sich die Bucht von Korfu, das erste Bild
der Reise aus, das mich in den ganzen vollen Süden versetzte.

Und wie die Landschaft hatte auch das Schiff eine andere Physiognomie
angenommen. Bisher war riur die dunkle nordische Tracht vertreten gewesen,
ja vor Ancona hatten verschiedene Priesterröcke und Jesuiteichüte, die auf den


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endlich, der schlimmste Gast auf Reisen zur See. beschleicht den Passagier in
diesen Strichen überhaupt nicht, da er nur ein einziges Mal und auch da nur
auf kurze Zeit, das Land aus den Augen verliert.

Die „Germania" ist ein Dampfer der griechisch-orientalischen Linie, und
diese vermittelt zugleich den Verkehr Oestreichs mit der Ostküste von Italien.
So hoffte ich auch von diesem Lande der Sehnsucht ein Stück zu genießen.
War es klein und konnte der Genuß nur kurz sein, so war es doch Italien,
und Ancona mußte etwas von der Schönheit Roms. Molfetta und Brindisi,
die beiden andern Haltpunkte, etwas von Neapels Anmuth haben. Diejenigen
Leser, welche hier waren, wissen, wie sehr ich mich täuschte. Auch der Rücken
der Sonne ist schön. Die Rückseite Italiens aber mit ihrer nur selten zu
Buchten einbiegenden Küste, ihren waldlosen Bergen, ihrer flachen Südhälfte,
erweckt eher alle andern Empfindungen, als die des Wohlgefallens. Dazu
kommt die Geringfügigkeit des Verkehrs in den Häfen, dazu der Verfall, der
Schmuz und die immer wiederkehrenden Beispiele von Trägheit in den Städ¬
ten, dazu in Ancona das gedrückte mürrische Wesen der Einwohner, die täg¬
lich den Anblick der verhaßten östreichischen Wcißröcke dulden müssen, dazu
vor Molfetta und Brindist das unbehagliche Gefühl, welches Gedanken an die
neapolitanische Polizei, an Poerios Kerker, an die Peinigungen seiner
tausend und abertausend Leidensgefährten begleitet. Ich gestehe, daß ich
unter diesen Umständen froh war, als wir aus der Bucht von Brindist
hinaufsteuernd allmälig die weiße Stadt und ihr ochergelbes, wie aus
Kork geschnittnes Felsencastell und endlich mit der Landspitze, auf welcher der
Leuchtthurm steht, die letzten Spuren der italienischen Küste aus dem Gesicht
verloren.

Am nächsten Morgen sah ich durch das kleine Fenster meiner Schlafkammer
bekannte purpurblaue Felshörner, die eine bekannte weiße Stadt im weiten
Bogen umgeben. Zwischen Stadt und Gebirg erhob sich amphitheatralisch
ein baumreiches Hügelland, über dessen grüne Wipfel einzelne schwarze Cypressen
ragten. Zwischen Schiff und Strand wimmelte es von Barken mit Ruderern
w griechischem Costüm. Der Dampfer lag still. Als er sich ein wenig drehte,
trat zu dem Bilde auf der Linken ein altersgraues Castell auf schroffem, theil¬
weise von grünen Schlingpflanzen überkletterten Klippenvorsprunge. Ich ging
aufs Deck, und scharf wie ein Schattenriß abgeschnitten vom gelblichen Him¬
mel, aus den Höhen rosenroth angestrahlt von der eben aufgehenden Sonne,
in den Tiefen rauchblau breitete sich die Bucht von Korfu, das erste Bild
der Reise aus, das mich in den ganzen vollen Süden versetzte.

Und wie die Landschaft hatte auch das Schiff eine andere Physiognomie
angenommen. Bisher war riur die dunkle nordische Tracht vertreten gewesen,
ja vor Ancona hatten verschiedene Priesterröcke und Jesuiteichüte, die auf den


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[0235] endlich, der schlimmste Gast auf Reisen zur See. beschleicht den Passagier in diesen Strichen überhaupt nicht, da er nur ein einziges Mal und auch da nur auf kurze Zeit, das Land aus den Augen verliert. Die „Germania" ist ein Dampfer der griechisch-orientalischen Linie, und diese vermittelt zugleich den Verkehr Oestreichs mit der Ostküste von Italien. So hoffte ich auch von diesem Lande der Sehnsucht ein Stück zu genießen. War es klein und konnte der Genuß nur kurz sein, so war es doch Italien, und Ancona mußte etwas von der Schönheit Roms. Molfetta und Brindisi, die beiden andern Haltpunkte, etwas von Neapels Anmuth haben. Diejenigen Leser, welche hier waren, wissen, wie sehr ich mich täuschte. Auch der Rücken der Sonne ist schön. Die Rückseite Italiens aber mit ihrer nur selten zu Buchten einbiegenden Küste, ihren waldlosen Bergen, ihrer flachen Südhälfte, erweckt eher alle andern Empfindungen, als die des Wohlgefallens. Dazu kommt die Geringfügigkeit des Verkehrs in den Häfen, dazu der Verfall, der Schmuz und die immer wiederkehrenden Beispiele von Trägheit in den Städ¬ ten, dazu in Ancona das gedrückte mürrische Wesen der Einwohner, die täg¬ lich den Anblick der verhaßten östreichischen Wcißröcke dulden müssen, dazu vor Molfetta und Brindist das unbehagliche Gefühl, welches Gedanken an die neapolitanische Polizei, an Poerios Kerker, an die Peinigungen seiner tausend und abertausend Leidensgefährten begleitet. Ich gestehe, daß ich unter diesen Umständen froh war, als wir aus der Bucht von Brindist hinaufsteuernd allmälig die weiße Stadt und ihr ochergelbes, wie aus Kork geschnittnes Felsencastell und endlich mit der Landspitze, auf welcher der Leuchtthurm steht, die letzten Spuren der italienischen Küste aus dem Gesicht verloren. Am nächsten Morgen sah ich durch das kleine Fenster meiner Schlafkammer bekannte purpurblaue Felshörner, die eine bekannte weiße Stadt im weiten Bogen umgeben. Zwischen Stadt und Gebirg erhob sich amphitheatralisch ein baumreiches Hügelland, über dessen grüne Wipfel einzelne schwarze Cypressen ragten. Zwischen Schiff und Strand wimmelte es von Barken mit Ruderern w griechischem Costüm. Der Dampfer lag still. Als er sich ein wenig drehte, trat zu dem Bilde auf der Linken ein altersgraues Castell auf schroffem, theil¬ weise von grünen Schlingpflanzen überkletterten Klippenvorsprunge. Ich ging aufs Deck, und scharf wie ein Schattenriß abgeschnitten vom gelblichen Him¬ mel, aus den Höhen rosenroth angestrahlt von der eben aufgehenden Sonne, in den Tiefen rauchblau breitete sich die Bucht von Korfu, das erste Bild der Reise aus, das mich in den ganzen vollen Süden versetzte. Und wie die Landschaft hatte auch das Schiff eine andere Physiognomie angenommen. Bisher war riur die dunkle nordische Tracht vertreten gewesen, ja vor Ancona hatten verschiedene Priesterröcke und Jesuiteichüte, die auf den 29*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/235>, abgerufen am 03.07.2024.