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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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malerischer Faßlichkeit gibt dieser Vorwurf der bittstcllerndcn Philippine nichts
nach, und besitzt überdies den Vorzug eines zeitgemäßeren Charakters. Trotz
solcher und ähnlicher Thorheiten, die in den jährlichen Ausstellungen regel¬
mäßig wiederkehren und von einzelnen Akademien emsig gepflegt werden, thun
unsere Künstler nicht übel daran, die dramatische Form und die historische
Gattung in der Malerei als wahlverwandt zu betrachten. Bei uns kleinen
Alltagsmenschen lassen eben die gemeinen Nöthen und Sorgen des Tages große
und kräftige Leidenschaften, mächtige Triebe und durchgreifendes Wollen nicht
auskommen und überdecken alle tieferen Risse des Lebens und des Geistes mit
einer trügerischen Schichte rücksichtsvoller, nüchterner Prosa, während die Gro¬
ßen der Erde, befreit von allen einengendem Schranken der berechnenden Noth-
durft, alles Menschliche klarer und kräftiger in sich entwickeln können. Darin
wurzelt die Berechtigung der historischen Malerei; nur möge nicht übersehen
werden, daß der geschichtlich bedeutsame Stoff in einer dramatischen Form
verkörpert erscheinen muß und einzig und allein durch die letztere seine künst¬
lerische Vollendung gewinnt. Nur von wenigen deutschen Malern der Gegen-
wart können wir die volle Einsicht in diese doch so einfachen Grundsätze be¬
haupten. Lessing dagegen bildete stets eine ehrenvolle Ausnahme und hat
unbeirrt von dem rauschenden Beifall, der bereits seinen frühesten Arbeiten
folgte, und hundert andere zum Stillstande verleitet hätte, das Ziel drama¬
tischer Charakterschilderung in seinen größeren Werken vor Augen behalten.
Am glänzendsten hat sich dieses mannhafte Streben in dem letzten Bilde be¬
währt. Eine warme Empfindung und tiefe Ergriffenheit von der Bedeutung
der Scene verließ den Künstler während seiner Arbeit nicht und fordert im
Beschauer ähnliche Gefühle heraus.

Den einfach, aber lebenswahr gegliederten Gruppen fehlt es nicht an Man¬
nigfaltigkeit des Ausdruckes; jede einzelne Gestalt, wechselnd in Haltung und
Bewegung mit den andern, ist ganz bei der Handlung und von Kopf bis zur
Zehe von innigem Antheil an dem Ereignisse erfüllt. Bei dem weitverbrei¬
teten Vorurtheil, als ob Lessing bei seinen historischen Bildern absichtlich po¬
lemische Zwecke verfolge, wird es Manchen vielleicht befremden, daß nicht aus¬
schließlich auf den Kaiser aller Glanz und alle Herrlichkeit, nicht auf ihn allein
der Schein des Heldenthums fällt. Wir finden aber grade in der gleich¬
mäßigen Vertheilung von Licht und Schatten einen hohen künstlerischen Vorzug
des Werkes und freuen uns, daß ohne die Bedeutung und die Schönheit der
Kaisergestalt zu verkümmern, auch über die Figur des Papstes und seine Um¬
gebung Züge edler Kraft ausgestreut sind. An schlechten Gegnern mißt sich
kein großer Mensch, und grade durch die Hebung der päpstlichen Gestalt wird
der Eindruck des ergreifenden Ernstes des Vorganges und der tragischen Natur
des Kampfes am würdigsten vorbereitet. Lessings feine Charakteristik, die


malerischer Faßlichkeit gibt dieser Vorwurf der bittstcllerndcn Philippine nichts
nach, und besitzt überdies den Vorzug eines zeitgemäßeren Charakters. Trotz
solcher und ähnlicher Thorheiten, die in den jährlichen Ausstellungen regel¬
mäßig wiederkehren und von einzelnen Akademien emsig gepflegt werden, thun
unsere Künstler nicht übel daran, die dramatische Form und die historische
Gattung in der Malerei als wahlverwandt zu betrachten. Bei uns kleinen
Alltagsmenschen lassen eben die gemeinen Nöthen und Sorgen des Tages große
und kräftige Leidenschaften, mächtige Triebe und durchgreifendes Wollen nicht
auskommen und überdecken alle tieferen Risse des Lebens und des Geistes mit
einer trügerischen Schichte rücksichtsvoller, nüchterner Prosa, während die Gro¬
ßen der Erde, befreit von allen einengendem Schranken der berechnenden Noth-
durft, alles Menschliche klarer und kräftiger in sich entwickeln können. Darin
wurzelt die Berechtigung der historischen Malerei; nur möge nicht übersehen
werden, daß der geschichtlich bedeutsame Stoff in einer dramatischen Form
verkörpert erscheinen muß und einzig und allein durch die letztere seine künst¬
lerische Vollendung gewinnt. Nur von wenigen deutschen Malern der Gegen-
wart können wir die volle Einsicht in diese doch so einfachen Grundsätze be¬
haupten. Lessing dagegen bildete stets eine ehrenvolle Ausnahme und hat
unbeirrt von dem rauschenden Beifall, der bereits seinen frühesten Arbeiten
folgte, und hundert andere zum Stillstande verleitet hätte, das Ziel drama¬
tischer Charakterschilderung in seinen größeren Werken vor Augen behalten.
Am glänzendsten hat sich dieses mannhafte Streben in dem letzten Bilde be¬
währt. Eine warme Empfindung und tiefe Ergriffenheit von der Bedeutung
der Scene verließ den Künstler während seiner Arbeit nicht und fordert im
Beschauer ähnliche Gefühle heraus.

Den einfach, aber lebenswahr gegliederten Gruppen fehlt es nicht an Man¬
nigfaltigkeit des Ausdruckes; jede einzelne Gestalt, wechselnd in Haltung und
Bewegung mit den andern, ist ganz bei der Handlung und von Kopf bis zur
Zehe von innigem Antheil an dem Ereignisse erfüllt. Bei dem weitverbrei¬
teten Vorurtheil, als ob Lessing bei seinen historischen Bildern absichtlich po¬
lemische Zwecke verfolge, wird es Manchen vielleicht befremden, daß nicht aus¬
schließlich auf den Kaiser aller Glanz und alle Herrlichkeit, nicht auf ihn allein
der Schein des Heldenthums fällt. Wir finden aber grade in der gleich¬
mäßigen Vertheilung von Licht und Schatten einen hohen künstlerischen Vorzug
des Werkes und freuen uns, daß ohne die Bedeutung und die Schönheit der
Kaisergestalt zu verkümmern, auch über die Figur des Papstes und seine Um¬
gebung Züge edler Kraft ausgestreut sind. An schlechten Gegnern mißt sich
kein großer Mensch, und grade durch die Hebung der päpstlichen Gestalt wird
der Eindruck des ergreifenden Ernstes des Vorganges und der tragischen Natur
des Kampfes am würdigsten vorbereitet. Lessings feine Charakteristik, die


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[0022] malerischer Faßlichkeit gibt dieser Vorwurf der bittstcllerndcn Philippine nichts nach, und besitzt überdies den Vorzug eines zeitgemäßeren Charakters. Trotz solcher und ähnlicher Thorheiten, die in den jährlichen Ausstellungen regel¬ mäßig wiederkehren und von einzelnen Akademien emsig gepflegt werden, thun unsere Künstler nicht übel daran, die dramatische Form und die historische Gattung in der Malerei als wahlverwandt zu betrachten. Bei uns kleinen Alltagsmenschen lassen eben die gemeinen Nöthen und Sorgen des Tages große und kräftige Leidenschaften, mächtige Triebe und durchgreifendes Wollen nicht auskommen und überdecken alle tieferen Risse des Lebens und des Geistes mit einer trügerischen Schichte rücksichtsvoller, nüchterner Prosa, während die Gro¬ ßen der Erde, befreit von allen einengendem Schranken der berechnenden Noth- durft, alles Menschliche klarer und kräftiger in sich entwickeln können. Darin wurzelt die Berechtigung der historischen Malerei; nur möge nicht übersehen werden, daß der geschichtlich bedeutsame Stoff in einer dramatischen Form verkörpert erscheinen muß und einzig und allein durch die letztere seine künst¬ lerische Vollendung gewinnt. Nur von wenigen deutschen Malern der Gegen- wart können wir die volle Einsicht in diese doch so einfachen Grundsätze be¬ haupten. Lessing dagegen bildete stets eine ehrenvolle Ausnahme und hat unbeirrt von dem rauschenden Beifall, der bereits seinen frühesten Arbeiten folgte, und hundert andere zum Stillstande verleitet hätte, das Ziel drama¬ tischer Charakterschilderung in seinen größeren Werken vor Augen behalten. Am glänzendsten hat sich dieses mannhafte Streben in dem letzten Bilde be¬ währt. Eine warme Empfindung und tiefe Ergriffenheit von der Bedeutung der Scene verließ den Künstler während seiner Arbeit nicht und fordert im Beschauer ähnliche Gefühle heraus. Den einfach, aber lebenswahr gegliederten Gruppen fehlt es nicht an Man¬ nigfaltigkeit des Ausdruckes; jede einzelne Gestalt, wechselnd in Haltung und Bewegung mit den andern, ist ganz bei der Handlung und von Kopf bis zur Zehe von innigem Antheil an dem Ereignisse erfüllt. Bei dem weitverbrei¬ teten Vorurtheil, als ob Lessing bei seinen historischen Bildern absichtlich po¬ lemische Zwecke verfolge, wird es Manchen vielleicht befremden, daß nicht aus¬ schließlich auf den Kaiser aller Glanz und alle Herrlichkeit, nicht auf ihn allein der Schein des Heldenthums fällt. Wir finden aber grade in der gleich¬ mäßigen Vertheilung von Licht und Schatten einen hohen künstlerischen Vorzug des Werkes und freuen uns, daß ohne die Bedeutung und die Schönheit der Kaisergestalt zu verkümmern, auch über die Figur des Papstes und seine Um¬ gebung Züge edler Kraft ausgestreut sind. An schlechten Gegnern mißt sich kein großer Mensch, und grade durch die Hebung der päpstlichen Gestalt wird der Eindruck des ergreifenden Ernstes des Vorganges und der tragischen Natur des Kampfes am würdigsten vorbereitet. Lessings feine Charakteristik, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/22>, abgerufen am 03.07.2024.