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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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müßten auch immer wohl erzogen und gebildet sein. -- der sehr lebhaft em¬
pfundene Nebengrund-, die jüngern Söhne der Aristokratie anständig zu ver¬
sorgen und ihnen eine Carriere zu eröffnen, ist von den Vertheidigern dieses
Systemes selbst nie ausgesprochen worden.

Gründe dagegen gibt es unzählige, -- das militärische Verdienst des
Armen muß vor dem Reichthum unfähiger Menschen zurückstehen; militärische
Studien werden vernachlässigt, denn sie helfen zu nichts; das Avancement
verdienter Unteroffiziere zu Offizieren ist beinahe unmöglich, wird auch von
diesen nicht angestrebt, höchstens ist es ein Quartiermeisterposten, den sie wün¬
schen, weil ihnen dieser die Mittel gibt, standesgemäß zu leben, was bei einer
bloßen Ensignstelle kaum der Fall sein dürfte.

Will ein junger Mann Offizier werden, so wendet er sich zuvörderst,
unterstützt von Empfehlungen seiner Familie und Freunde, an den Comman¬
danten des Regimentes, bei dem er eintreten will. Befürwortet dieser sein
Gesuch, so wendet er sich nunmehr mit einem Schreiben an die Horseguards,
das Knegsministerium und Obercommando in London, und erlegt die Summe
für die Stelle eines Comets oder Ensigns bei einem Regimentsagcnten. Diese
beträgt bei der Infanterie, wie erwähnt, 450, bei der Reiterei 840, bei den
Garden 1200 Pf. Se.; dann wird der Aspirant der Königin zur Anstellung
vorgeschlagen, und wenn dies von ihr genehmigt, erhält er sein Anstellungs-
decret und wird dasselbe in der Zeitung bekannt gemacht. Nunmehr tritt
der neue Cornet oder Ensign -- eine Stellung, die der des deutschen Fähn¬
drichs oder Unterlieutenants entspricht -- in das Regiment, ohne nur eine
Idee vom Dienste oder militärischen Verhältnissen zu haben. Zwar ver¬
langt das Reglement, daß er sich einem Examen unterziehe, welches vor einer
Comission bestehend aus dem ältesten Major und zwei Capitäns abgelegt
wird, aber die militärwissenschaftliche Bildung dieser Herren umsaßt in der
Regel auch nicht viel mehr als Innehaben des Dienstreglements und der Vor¬
schriften zum Exerciren, und diejenigen, welche wirklich militärische Kenntnisse
besitzen, sind zu den Stäben commandirt. Sei dem aber wie ihm wolle,
bisher ist noch kein Beispiel vorgekommen, daß ein Aspirant das Examen
nicht bestanden hätte. Dem Adjutanten und unter dessen Oberaufsicht dem
Sergeantmajor fällt es anheim, den neuen Offizier einzuüben und mit seinen
Dienstpflichten bekannt zu machen. Kann er im Regiment einen Zug führen,
die Wachtparade stellen und einem Kriegsgericht als Richter beiwohnen, so
wird er für vollständig ausgebildet angesehen. Hat er vier Jahre in dieser
Charge gedient, so erlaubt ihm das Reglement -- doch wird an dieser Be¬
stimmung sast nie festgehalten -- sich eine Lieutenantsstelle zu kaufen. Ist
er nicht der älteste in seinem Regiment, so sucht er eine solche in einem an¬
dern, ja -- mit Ausnahme der Artillerie und Jngenieurcorps -- in einer


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müßten auch immer wohl erzogen und gebildet sein. — der sehr lebhaft em¬
pfundene Nebengrund-, die jüngern Söhne der Aristokratie anständig zu ver¬
sorgen und ihnen eine Carriere zu eröffnen, ist von den Vertheidigern dieses
Systemes selbst nie ausgesprochen worden.

Gründe dagegen gibt es unzählige, — das militärische Verdienst des
Armen muß vor dem Reichthum unfähiger Menschen zurückstehen; militärische
Studien werden vernachlässigt, denn sie helfen zu nichts; das Avancement
verdienter Unteroffiziere zu Offizieren ist beinahe unmöglich, wird auch von
diesen nicht angestrebt, höchstens ist es ein Quartiermeisterposten, den sie wün¬
schen, weil ihnen dieser die Mittel gibt, standesgemäß zu leben, was bei einer
bloßen Ensignstelle kaum der Fall sein dürfte.

Will ein junger Mann Offizier werden, so wendet er sich zuvörderst,
unterstützt von Empfehlungen seiner Familie und Freunde, an den Comman¬
danten des Regimentes, bei dem er eintreten will. Befürwortet dieser sein
Gesuch, so wendet er sich nunmehr mit einem Schreiben an die Horseguards,
das Knegsministerium und Obercommando in London, und erlegt die Summe
für die Stelle eines Comets oder Ensigns bei einem Regimentsagcnten. Diese
beträgt bei der Infanterie, wie erwähnt, 450, bei der Reiterei 840, bei den
Garden 1200 Pf. Se.; dann wird der Aspirant der Königin zur Anstellung
vorgeschlagen, und wenn dies von ihr genehmigt, erhält er sein Anstellungs-
decret und wird dasselbe in der Zeitung bekannt gemacht. Nunmehr tritt
der neue Cornet oder Ensign — eine Stellung, die der des deutschen Fähn¬
drichs oder Unterlieutenants entspricht — in das Regiment, ohne nur eine
Idee vom Dienste oder militärischen Verhältnissen zu haben. Zwar ver¬
langt das Reglement, daß er sich einem Examen unterziehe, welches vor einer
Comission bestehend aus dem ältesten Major und zwei Capitäns abgelegt
wird, aber die militärwissenschaftliche Bildung dieser Herren umsaßt in der
Regel auch nicht viel mehr als Innehaben des Dienstreglements und der Vor¬
schriften zum Exerciren, und diejenigen, welche wirklich militärische Kenntnisse
besitzen, sind zu den Stäben commandirt. Sei dem aber wie ihm wolle,
bisher ist noch kein Beispiel vorgekommen, daß ein Aspirant das Examen
nicht bestanden hätte. Dem Adjutanten und unter dessen Oberaufsicht dem
Sergeantmajor fällt es anheim, den neuen Offizier einzuüben und mit seinen
Dienstpflichten bekannt zu machen. Kann er im Regiment einen Zug führen,
die Wachtparade stellen und einem Kriegsgericht als Richter beiwohnen, so
wird er für vollständig ausgebildet angesehen. Hat er vier Jahre in dieser
Charge gedient, so erlaubt ihm das Reglement — doch wird an dieser Be¬
stimmung sast nie festgehalten — sich eine Lieutenantsstelle zu kaufen. Ist
er nicht der älteste in seinem Regiment, so sucht er eine solche in einem an¬
dern, ja — mit Ausnahme der Artillerie und Jngenieurcorps — in einer


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[0219] müßten auch immer wohl erzogen und gebildet sein. — der sehr lebhaft em¬ pfundene Nebengrund-, die jüngern Söhne der Aristokratie anständig zu ver¬ sorgen und ihnen eine Carriere zu eröffnen, ist von den Vertheidigern dieses Systemes selbst nie ausgesprochen worden. Gründe dagegen gibt es unzählige, — das militärische Verdienst des Armen muß vor dem Reichthum unfähiger Menschen zurückstehen; militärische Studien werden vernachlässigt, denn sie helfen zu nichts; das Avancement verdienter Unteroffiziere zu Offizieren ist beinahe unmöglich, wird auch von diesen nicht angestrebt, höchstens ist es ein Quartiermeisterposten, den sie wün¬ schen, weil ihnen dieser die Mittel gibt, standesgemäß zu leben, was bei einer bloßen Ensignstelle kaum der Fall sein dürfte. Will ein junger Mann Offizier werden, so wendet er sich zuvörderst, unterstützt von Empfehlungen seiner Familie und Freunde, an den Comman¬ danten des Regimentes, bei dem er eintreten will. Befürwortet dieser sein Gesuch, so wendet er sich nunmehr mit einem Schreiben an die Horseguards, das Knegsministerium und Obercommando in London, und erlegt die Summe für die Stelle eines Comets oder Ensigns bei einem Regimentsagcnten. Diese beträgt bei der Infanterie, wie erwähnt, 450, bei der Reiterei 840, bei den Garden 1200 Pf. Se.; dann wird der Aspirant der Königin zur Anstellung vorgeschlagen, und wenn dies von ihr genehmigt, erhält er sein Anstellungs- decret und wird dasselbe in der Zeitung bekannt gemacht. Nunmehr tritt der neue Cornet oder Ensign — eine Stellung, die der des deutschen Fähn¬ drichs oder Unterlieutenants entspricht — in das Regiment, ohne nur eine Idee vom Dienste oder militärischen Verhältnissen zu haben. Zwar ver¬ langt das Reglement, daß er sich einem Examen unterziehe, welches vor einer Comission bestehend aus dem ältesten Major und zwei Capitäns abgelegt wird, aber die militärwissenschaftliche Bildung dieser Herren umsaßt in der Regel auch nicht viel mehr als Innehaben des Dienstreglements und der Vor¬ schriften zum Exerciren, und diejenigen, welche wirklich militärische Kenntnisse besitzen, sind zu den Stäben commandirt. Sei dem aber wie ihm wolle, bisher ist noch kein Beispiel vorgekommen, daß ein Aspirant das Examen nicht bestanden hätte. Dem Adjutanten und unter dessen Oberaufsicht dem Sergeantmajor fällt es anheim, den neuen Offizier einzuüben und mit seinen Dienstpflichten bekannt zu machen. Kann er im Regiment einen Zug führen, die Wachtparade stellen und einem Kriegsgericht als Richter beiwohnen, so wird er für vollständig ausgebildet angesehen. Hat er vier Jahre in dieser Charge gedient, so erlaubt ihm das Reglement — doch wird an dieser Be¬ stimmung sast nie festgehalten — sich eine Lieutenantsstelle zu kaufen. Ist er nicht der älteste in seinem Regiment, so sucht er eine solche in einem an¬ dern, ja — mit Ausnahme der Artillerie und Jngenieurcorps — in einer 27*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/219>, abgerufen am 22.07.2024.