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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Bis zum Beginn des Jahres 1857 blieb nun die Frage politischer Bun¬
desreformen auch in der "gutunterrichteten" Presse ganz bei Seite gesetzt. Erst
als Baiern den Antrag wegen des Gerichtsstandes und der Urtheilsvoll¬
streckungen stellte (5. Feb. 1857). fügten einige Organe der specifischen Mittel¬
staatenpolitik wiederum dunkle Nachrichten über eine angeblich von Baiern
intendirte oder intendirt gewesene Beantragung eines Bundesschiedsgerichts
bei. Es hieß nämlich: Hr. v. d. Pfordten habe den erwähnten Antrag in
einer von ihm selbst ausgearbeiteten Denkschrift umfassend motivirt. Er sei
dabei von "weit umfassenderen Gesichtspunkten", als denjenigen ausgegangen,
welche die nächste Veranlassung des Antrags gegeben. "Das Ziel, welches
sie (die Denkschrift) in weiterer Entwicklung des gegebenen Anstoßes erblickt,
ist ein im Bundesgebiet übereinstimmender Organismus der Rechtspflege, dessen
Spitze ein Reichsgericht <Ac) als oberste Instanz für besonders schwierige
Fragen des Civil- und Staatsrechts bilden würde."

Da man nun nicht wußte, was man aus einer so unklaren Notiz machen
sollte und es sich überdies jedenfalls um ein todtgebornes Kind handelte, so
faßte die Tagespresse den Gegenstand gar nicht näher ins Auge, während
das Publicum sich überhaupt nicht mehr um die Bundesreformconversationen
kümmerte. Man war es herzlich müde geworden, solche immer wieder zum Vor¬
schein kommende Windeier zu bebrüten. Hatte oder hätte also diejenige Presse,
welche gouvernementale Inspirationen empfängt, seit dem stürkern Hervortreten
der Frage einer Reform der Bundesverfassung trotz ihrer Parteidifferenzen in
sympathetischer Uebereinstimmung etwa den gemeinsamen Plan verfolgt, mit
ihren Deliberationen und Dissertationen das Interesse an der Frage überhaupt
abzuschwächen, so muß man ihr das Zeugniß geben -- sie hat diesen Zweck
vollständig erreicht. Die Angelegenheit schlummerte seitdem bis heute. Und
wenn neuerdings einige Specialfragen in Betreff der (1854 revidirten) Ge¬
schäftsordnung des Bundes oder Klagen über ein parteiisches Majoritäts¬
princip bei den Abstimmungen, Anträge wegen Veröffentlichung der Bundes¬
protokolle u. tgi. in die öffentliche Meinung eingeführt werden sollten, als handele
es sich um Verfassungsreformen des Bundes im nationalen Interesse, so zeig¬
ten sich diese Versuche eben nicht besonders wirksam. Nur das Eine dürfte
hier noch zu erwähnen sein, daß auch der sächsische Landtag, erste und zweite
Kammer, sich neulich wiederholt für die Nothwendigkeit einer politischen
Reform und Ausbildung der Bundesverfassung aussprach. Aber die Antwort
von der Ministerbank erklang auch jetzt wieder für die Wünsche der Nation
entmuthigend genug.

Wir verzichten auf eine vergleichende Zusammenstellung der auf die
Bundesverfassung bezüglichen Aeußerungen der Minister, welche derartigen
Parlamentarischen Voden fast aller Landtage während der letzten drei Jahre


Grenjboten III. 185S. 27

Bis zum Beginn des Jahres 1857 blieb nun die Frage politischer Bun¬
desreformen auch in der „gutunterrichteten" Presse ganz bei Seite gesetzt. Erst
als Baiern den Antrag wegen des Gerichtsstandes und der Urtheilsvoll¬
streckungen stellte (5. Feb. 1857). fügten einige Organe der specifischen Mittel¬
staatenpolitik wiederum dunkle Nachrichten über eine angeblich von Baiern
intendirte oder intendirt gewesene Beantragung eines Bundesschiedsgerichts
bei. Es hieß nämlich: Hr. v. d. Pfordten habe den erwähnten Antrag in
einer von ihm selbst ausgearbeiteten Denkschrift umfassend motivirt. Er sei
dabei von „weit umfassenderen Gesichtspunkten", als denjenigen ausgegangen,
welche die nächste Veranlassung des Antrags gegeben. „Das Ziel, welches
sie (die Denkschrift) in weiterer Entwicklung des gegebenen Anstoßes erblickt,
ist ein im Bundesgebiet übereinstimmender Organismus der Rechtspflege, dessen
Spitze ein Reichsgericht <Ac) als oberste Instanz für besonders schwierige
Fragen des Civil- und Staatsrechts bilden würde."

Da man nun nicht wußte, was man aus einer so unklaren Notiz machen
sollte und es sich überdies jedenfalls um ein todtgebornes Kind handelte, so
faßte die Tagespresse den Gegenstand gar nicht näher ins Auge, während
das Publicum sich überhaupt nicht mehr um die Bundesreformconversationen
kümmerte. Man war es herzlich müde geworden, solche immer wieder zum Vor¬
schein kommende Windeier zu bebrüten. Hatte oder hätte also diejenige Presse,
welche gouvernementale Inspirationen empfängt, seit dem stürkern Hervortreten
der Frage einer Reform der Bundesverfassung trotz ihrer Parteidifferenzen in
sympathetischer Uebereinstimmung etwa den gemeinsamen Plan verfolgt, mit
ihren Deliberationen und Dissertationen das Interesse an der Frage überhaupt
abzuschwächen, so muß man ihr das Zeugniß geben — sie hat diesen Zweck
vollständig erreicht. Die Angelegenheit schlummerte seitdem bis heute. Und
wenn neuerdings einige Specialfragen in Betreff der (1854 revidirten) Ge¬
schäftsordnung des Bundes oder Klagen über ein parteiisches Majoritäts¬
princip bei den Abstimmungen, Anträge wegen Veröffentlichung der Bundes¬
protokolle u. tgi. in die öffentliche Meinung eingeführt werden sollten, als handele
es sich um Verfassungsreformen des Bundes im nationalen Interesse, so zeig¬
ten sich diese Versuche eben nicht besonders wirksam. Nur das Eine dürfte
hier noch zu erwähnen sein, daß auch der sächsische Landtag, erste und zweite
Kammer, sich neulich wiederholt für die Nothwendigkeit einer politischen
Reform und Ausbildung der Bundesverfassung aussprach. Aber die Antwort
von der Ministerbank erklang auch jetzt wieder für die Wünsche der Nation
entmuthigend genug.

Wir verzichten auf eine vergleichende Zusammenstellung der auf die
Bundesverfassung bezüglichen Aeußerungen der Minister, welche derartigen
Parlamentarischen Voden fast aller Landtage während der letzten drei Jahre


Grenjboten III. 185S. 27
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[0217] Bis zum Beginn des Jahres 1857 blieb nun die Frage politischer Bun¬ desreformen auch in der „gutunterrichteten" Presse ganz bei Seite gesetzt. Erst als Baiern den Antrag wegen des Gerichtsstandes und der Urtheilsvoll¬ streckungen stellte (5. Feb. 1857). fügten einige Organe der specifischen Mittel¬ staatenpolitik wiederum dunkle Nachrichten über eine angeblich von Baiern intendirte oder intendirt gewesene Beantragung eines Bundesschiedsgerichts bei. Es hieß nämlich: Hr. v. d. Pfordten habe den erwähnten Antrag in einer von ihm selbst ausgearbeiteten Denkschrift umfassend motivirt. Er sei dabei von „weit umfassenderen Gesichtspunkten", als denjenigen ausgegangen, welche die nächste Veranlassung des Antrags gegeben. „Das Ziel, welches sie (die Denkschrift) in weiterer Entwicklung des gegebenen Anstoßes erblickt, ist ein im Bundesgebiet übereinstimmender Organismus der Rechtspflege, dessen Spitze ein Reichsgericht <Ac) als oberste Instanz für besonders schwierige Fragen des Civil- und Staatsrechts bilden würde." Da man nun nicht wußte, was man aus einer so unklaren Notiz machen sollte und es sich überdies jedenfalls um ein todtgebornes Kind handelte, so faßte die Tagespresse den Gegenstand gar nicht näher ins Auge, während das Publicum sich überhaupt nicht mehr um die Bundesreformconversationen kümmerte. Man war es herzlich müde geworden, solche immer wieder zum Vor¬ schein kommende Windeier zu bebrüten. Hatte oder hätte also diejenige Presse, welche gouvernementale Inspirationen empfängt, seit dem stürkern Hervortreten der Frage einer Reform der Bundesverfassung trotz ihrer Parteidifferenzen in sympathetischer Uebereinstimmung etwa den gemeinsamen Plan verfolgt, mit ihren Deliberationen und Dissertationen das Interesse an der Frage überhaupt abzuschwächen, so muß man ihr das Zeugniß geben — sie hat diesen Zweck vollständig erreicht. Die Angelegenheit schlummerte seitdem bis heute. Und wenn neuerdings einige Specialfragen in Betreff der (1854 revidirten) Ge¬ schäftsordnung des Bundes oder Klagen über ein parteiisches Majoritäts¬ princip bei den Abstimmungen, Anträge wegen Veröffentlichung der Bundes¬ protokolle u. tgi. in die öffentliche Meinung eingeführt werden sollten, als handele es sich um Verfassungsreformen des Bundes im nationalen Interesse, so zeig¬ ten sich diese Versuche eben nicht besonders wirksam. Nur das Eine dürfte hier noch zu erwähnen sein, daß auch der sächsische Landtag, erste und zweite Kammer, sich neulich wiederholt für die Nothwendigkeit einer politischen Reform und Ausbildung der Bundesverfassung aussprach. Aber die Antwort von der Ministerbank erklang auch jetzt wieder für die Wünsche der Nation entmuthigend genug. Wir verzichten auf eine vergleichende Zusammenstellung der auf die Bundesverfassung bezüglichen Aeußerungen der Minister, welche derartigen Parlamentarischen Voden fast aller Landtage während der letzten drei Jahre Grenjboten III. 185S. 27

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/217>, abgerufen am 22.07.2024.