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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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wenigen Wochen wird das Bild zu öffentlichen Ausstellung gelangen und
hoffentlich später den Rundgang durch ganz Deutschland machen. Wir zwei¬
feln nicht, daß es dann in den weitesten Kreisen besanne und nicht blos als
ein treffliches Kunstwerk geschätzt, sondern als eine der bedeutendsten Leistungen,
die wir bis jetzt Lessing verdanken, angesehen werden wird.

Lessings gründliche Art. der eingehende Fleiß, mit welchem er sich in die
Natur des Motives, in den Charakter der darzustellenden Helden hineinlebt
und die strengste Beobachtung historischer Äußerlichkeiten zu seiner Aufgabe
hinzuzieht, kommt auch hier zur Geltung. Doch Fleiß. Gründlichkeit, histo¬
rische Wahrheit sind das Geringste, was Lessings Werk zum Lobe gereicht.
Ueberaus wohlthuend wirkt der männliche Ernst, die edle Einfachheit in
Auffassung und eigentlicher Composition. Der für die alte Kaisermacht begei¬
sterte Deutsche wird unwillkürlich den Athem an sich halten, wenn er dem
Bilde gegenübersteht, grade so, als ob die Katastrophe eines tragischen Spieles
an ihm vorüberschrittc. Und eine bessere Probe für das Gelungene seines
Werkes als die gehobene Stimmung im Beschauer kann sich der Meister nicht
wünschen. Das wissen wir längst, und wenn wir es nicht wüßten, die drama¬
tische Poesie würde es uns lehren, daß es auf das stoffliche Gewicht, auf
die vollklingenden Namen und den Pomp des äußeren Auftretens in dem
Kreise der Kunst, welcher auf die Schilderung des Tragisch-Erhabenen bedacht
ist. keineswegs ankommt. Auch hat unserer ästhetischen Bildung vielleicht
nichts so sehr geschadet, unsere Künstler nichts so arg verwirrt und ihre Phan¬
tasie verkümmert, als die thörichte Eintheilung der Malerei in die historische
und Genregattung. lediglich nach der äußern Natur der Stoffe, nach dem zu-
nächst ganz gleichgiltigen Umstände, ob die auftretenden Personen der Geschichte
oder dem Privatleben angehören. Wer das Unglück hat, namentlich akade¬
mische Ausstellungen fleißig besuchen zu müssen, kennt die Folgen dieser Ueber¬
schätzung der stofflichen Bedeutung, die es herbeiführte, daß gewöhnlich nur
nach der Rolle und Wichtigkeit irgend einer Person oder Scene in der Ge¬
schichte gefragt wird, unbekümmert, ob sich aus dem historisch vielleicht wich¬
tigen, aber durch und durch prosaischen und abstracten Vorgange ein
dramatischer Kern herausschälen, ob sich derselbe in einem einzigen Moment
wirksam zusammenfassen und sinnlich greifbar verkörpern lasse. "Philippine
Welserin bittet K. Ferdinand um die Anerkennung der Rechtsgiltigkeit ihrer
Ehe" ist der Gegenstand des Bildes, welchem die wiener Akademie vor eini¬
gen Wochen einen Hauptpreis ertheilte. Sollte man da nicht schier über den
Künstler wie über die Preisrichter in Verzweiflung gerathen? Wir empfehlen
für den nächsten Concurs preislustigen Künstlern als Bildmotiv die Schilde¬
rung Palmerstons, der eine telegraphische Depesche an Stratford Canning ab¬
sendet des Inhaltes, daß die wiener Conferenzen abgebrochen würden. An


wenigen Wochen wird das Bild zu öffentlichen Ausstellung gelangen und
hoffentlich später den Rundgang durch ganz Deutschland machen. Wir zwei¬
feln nicht, daß es dann in den weitesten Kreisen besanne und nicht blos als
ein treffliches Kunstwerk geschätzt, sondern als eine der bedeutendsten Leistungen,
die wir bis jetzt Lessing verdanken, angesehen werden wird.

Lessings gründliche Art. der eingehende Fleiß, mit welchem er sich in die
Natur des Motives, in den Charakter der darzustellenden Helden hineinlebt
und die strengste Beobachtung historischer Äußerlichkeiten zu seiner Aufgabe
hinzuzieht, kommt auch hier zur Geltung. Doch Fleiß. Gründlichkeit, histo¬
rische Wahrheit sind das Geringste, was Lessings Werk zum Lobe gereicht.
Ueberaus wohlthuend wirkt der männliche Ernst, die edle Einfachheit in
Auffassung und eigentlicher Composition. Der für die alte Kaisermacht begei¬
sterte Deutsche wird unwillkürlich den Athem an sich halten, wenn er dem
Bilde gegenübersteht, grade so, als ob die Katastrophe eines tragischen Spieles
an ihm vorüberschrittc. Und eine bessere Probe für das Gelungene seines
Werkes als die gehobene Stimmung im Beschauer kann sich der Meister nicht
wünschen. Das wissen wir längst, und wenn wir es nicht wüßten, die drama¬
tische Poesie würde es uns lehren, daß es auf das stoffliche Gewicht, auf
die vollklingenden Namen und den Pomp des äußeren Auftretens in dem
Kreise der Kunst, welcher auf die Schilderung des Tragisch-Erhabenen bedacht
ist. keineswegs ankommt. Auch hat unserer ästhetischen Bildung vielleicht
nichts so sehr geschadet, unsere Künstler nichts so arg verwirrt und ihre Phan¬
tasie verkümmert, als die thörichte Eintheilung der Malerei in die historische
und Genregattung. lediglich nach der äußern Natur der Stoffe, nach dem zu-
nächst ganz gleichgiltigen Umstände, ob die auftretenden Personen der Geschichte
oder dem Privatleben angehören. Wer das Unglück hat, namentlich akade¬
mische Ausstellungen fleißig besuchen zu müssen, kennt die Folgen dieser Ueber¬
schätzung der stofflichen Bedeutung, die es herbeiführte, daß gewöhnlich nur
nach der Rolle und Wichtigkeit irgend einer Person oder Scene in der Ge¬
schichte gefragt wird, unbekümmert, ob sich aus dem historisch vielleicht wich¬
tigen, aber durch und durch prosaischen und abstracten Vorgange ein
dramatischer Kern herausschälen, ob sich derselbe in einem einzigen Moment
wirksam zusammenfassen und sinnlich greifbar verkörpern lasse. „Philippine
Welserin bittet K. Ferdinand um die Anerkennung der Rechtsgiltigkeit ihrer
Ehe" ist der Gegenstand des Bildes, welchem die wiener Akademie vor eini¬
gen Wochen einen Hauptpreis ertheilte. Sollte man da nicht schier über den
Künstler wie über die Preisrichter in Verzweiflung gerathen? Wir empfehlen
für den nächsten Concurs preislustigen Künstlern als Bildmotiv die Schilde¬
rung Palmerstons, der eine telegraphische Depesche an Stratford Canning ab¬
sendet des Inhaltes, daß die wiener Conferenzen abgebrochen würden. An


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/21>, abgerufen am 03.07.2024.