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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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Er hat noch kein einziges Mal seine Tänzerinnen angesehen, hat kein Wort
mit ihnen geredet, ein Holzklotz im Arm wäre ihm grad ebenso lieb. Musik
und Schilcher treiben ihn, und wenn er krampfen, klatschen, jauchzen und dabei,
den Kopf voran, bis zum Morgenroth sich austoben kann, so hat er die
Schale des ihm begreiflichen Festgenusses bis auf den Boden geleert.

Viel mehr Don Juan ist ein andrer Tänzer, ein Postillon mit farbiger
Weste und dicken silbernen Knöpfen, hohen blanken Stiefeln, Lederhosen und
Hemdsärmeln. Er findet zu einem Busserl Zeit und Stimmung und tanzt
vorzugsweise mit einer weiblichen Sammetjacke, unter welcher ein schon etwas
der Stadtluft befreundetes Herz klopft.

Dann kommt die Reihe an den Grünbüchler, ein Mann von etlichen
vierzig Jahren, als "Rauschiger" bekannt und der gewandteste Tänzer von
allen.

Folgt der immer vor sich hinlächelnde Jörgel vom Steinbruch, von Kopf
bis zu Fuß Gebirgsmensch, unermüdlich, nie aussetzend, trotz seiner 48 Jahre,
und seine bessere Hälfte schwenkend, so lange das Klappenhorn nur noch
Athem hat.

Auch die niedliche Tochter des Grünbüchler mit kokettem grünen Filzhut,
kaum der Schule entwachsen und füglich noch etwas zu jung für diese Nacht¬
schwärmerei, hebt sich von dem Tanzknäuel vortheilhaft ab, ohne übrigens
sonderlich saubere Tänzer zu finden.

Damit aber ist der Schaum auch abgeschöpft, und die mehr possirlichen
Figuren kommen zum Vorschein. Vor allem, mit apfelrundem Gesicht, ein
vier Fuß hoher Amtsschreiber aus der Nachbarschaft, fünfzig und etliche Jahre
alt, durchdrungen von dem Bewußtsein, daß es ihm zukomme, besser zu tanzen
als die übrigen; seit einigen Jahrzehnten beständig auf Freiersfüßen und,
trotz der vorrückenden Kalenderjahre jugendlich und grün durch die ewige
"Hoffnung auf besseres Gehalt".

Ihm zunächst nutzt ein hochschultriger Schuhmacher die köstliche Gelegen¬
heit aus. Er ist Trunkenbold von Profession und führt zu Hause einen nach¬
drücklichen Riemen. Am Nachmittag hat er einen Gulden zusammengeborgt.
Der geht für Wein aus. Geladen ist er nicht. Tanzmusik kann er auch nicht
zahlen; aber das drückt ihn nicht. Er springt trotz dem besten, und sein ge¬
prügeltes Weib, das ihn am Morgen berauscht beizuschaffen wird, springt am
Arm des Nachbar Schneiders hinterdrein; die zwölfjährige schmale Blondine,
welche keinen Tänzer, wol aber eine Schulgenossin fand, mit der sie jetzt um¬
herkreist, ist die älteste Tochter. Kegelaufsetzen auf der Schmirakelbahn des
Sagerwirths ist ihr kleiner Nebenerwerb und wird es noch ein paar Jahre
bleiben, bis, der Himmel weiß, was sonst aus ihr wird.

Als wir uns zum Fortgehen anschicken, lächelt uns ein wohlbekanntes


Er hat noch kein einziges Mal seine Tänzerinnen angesehen, hat kein Wort
mit ihnen geredet, ein Holzklotz im Arm wäre ihm grad ebenso lieb. Musik
und Schilcher treiben ihn, und wenn er krampfen, klatschen, jauchzen und dabei,
den Kopf voran, bis zum Morgenroth sich austoben kann, so hat er die
Schale des ihm begreiflichen Festgenusses bis auf den Boden geleert.

Viel mehr Don Juan ist ein andrer Tänzer, ein Postillon mit farbiger
Weste und dicken silbernen Knöpfen, hohen blanken Stiefeln, Lederhosen und
Hemdsärmeln. Er findet zu einem Busserl Zeit und Stimmung und tanzt
vorzugsweise mit einer weiblichen Sammetjacke, unter welcher ein schon etwas
der Stadtluft befreundetes Herz klopft.

Dann kommt die Reihe an den Grünbüchler, ein Mann von etlichen
vierzig Jahren, als „Rauschiger" bekannt und der gewandteste Tänzer von
allen.

Folgt der immer vor sich hinlächelnde Jörgel vom Steinbruch, von Kopf
bis zu Fuß Gebirgsmensch, unermüdlich, nie aussetzend, trotz seiner 48 Jahre,
und seine bessere Hälfte schwenkend, so lange das Klappenhorn nur noch
Athem hat.

Auch die niedliche Tochter des Grünbüchler mit kokettem grünen Filzhut,
kaum der Schule entwachsen und füglich noch etwas zu jung für diese Nacht¬
schwärmerei, hebt sich von dem Tanzknäuel vortheilhaft ab, ohne übrigens
sonderlich saubere Tänzer zu finden.

Damit aber ist der Schaum auch abgeschöpft, und die mehr possirlichen
Figuren kommen zum Vorschein. Vor allem, mit apfelrundem Gesicht, ein
vier Fuß hoher Amtsschreiber aus der Nachbarschaft, fünfzig und etliche Jahre
alt, durchdrungen von dem Bewußtsein, daß es ihm zukomme, besser zu tanzen
als die übrigen; seit einigen Jahrzehnten beständig auf Freiersfüßen und,
trotz der vorrückenden Kalenderjahre jugendlich und grün durch die ewige
„Hoffnung auf besseres Gehalt".

Ihm zunächst nutzt ein hochschultriger Schuhmacher die köstliche Gelegen¬
heit aus. Er ist Trunkenbold von Profession und führt zu Hause einen nach¬
drücklichen Riemen. Am Nachmittag hat er einen Gulden zusammengeborgt.
Der geht für Wein aus. Geladen ist er nicht. Tanzmusik kann er auch nicht
zahlen; aber das drückt ihn nicht. Er springt trotz dem besten, und sein ge¬
prügeltes Weib, das ihn am Morgen berauscht beizuschaffen wird, springt am
Arm des Nachbar Schneiders hinterdrein; die zwölfjährige schmale Blondine,
welche keinen Tänzer, wol aber eine Schulgenossin fand, mit der sie jetzt um¬
herkreist, ist die älteste Tochter. Kegelaufsetzen auf der Schmirakelbahn des
Sagerwirths ist ihr kleiner Nebenerwerb und wird es noch ein paar Jahre
bleiben, bis, der Himmel weiß, was sonst aus ihr wird.

Als wir uns zum Fortgehen anschicken, lächelt uns ein wohlbekanntes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/192>, abgerufen am 22.07.2024.