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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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poteon -- die ältesten Söhne des Prinzen von Ccmino -- tragen die plan
und weiße Uniform.

Für den Unterricht ist vorzüglich gut gesorgt. Außer zwei Knaben-und
zwei Mädchenschulen, deren eine mit dem Clarissenkloster verbunden ist, bietet
das von der Familie Belluzzi gestiftete "LolleZio", namentlich in seiner neuen
Einrichtung in den verschiedensten Zweigen des Wissens -- selbst Theologie
und Jurisprudenz mit inbegriffen -- Belehrung. Der ?g.Ja.?i50 cksl (Avvörno,
in dem der große Rath seine Sitzungen hält, umfaßt außer dem Archive eine
nicht unbedeutende Bibliothek, welcher erst neuerdings Kaiser Napoleon
eine beträchtliche Anzahl angemessener Werke geschenkt hat. Die Errichtung
einer Druckerei hat aber die Regierung in verständiger Rücksicht auf die Ver¬
hältnisse nie erlaubt. Eine Censur würde sich mit den Einrichtungen des
Freistaates nicht vertragen. Ohne dieselbe wäre der Mißbrauch einer solchen
Presse zur Verbreitung aufregender Schriften in den benachbarten Landschaften
namentlich des Kirchenstaates, unvermeidlich.

Wie gering auch die öffentlichen Lasten und Abgaben sind -- sie petra-.
gen auf den Kopf etwa ein Sechstheil von Dem, was im Päpstlichen zu.
leisten ist -- so hat doch die Republik nicht allein keine Staatsschuld, sondern
eine Summe, die nach Verhältniß erheblich genannt werden muß, wird all¬
jährlich für Nothfälle oder außerordentliche Ausgaben zurückgelegt. Der kost¬
spielige Neubau der Hauptkirche wurde schon erwähnt; ebenso die Herstellung
einer Fahrstraße bis zur Stadt. Seitdem ist auch das Regierungsgebäude
neu aufgeführt.

Vergleichen wir mit diesem ruhigen und wohlgeordneten, wenn auch sehr
bescheidenen Gemeinwesen die durch und durch faulen Zustände der an¬
grenzenden Provinzen, um nicht zu sagen, des größten Theils von Italien,
jenes allgemeine, um jeden Preis nur Wechsel verlangende Mißbehagen, jene
mißtrauische Machtlosigkeit der Regierung, jenen verbrecherischen Hang der
Bevölkerung zu Angriffen auf Leben und Eigenthum, jene gänzliche Zerrüttung
des Staatshaushaltes, so werden wir es nicht unbegründet finden, wenn der
Bürger von San Marino mit den Worten Dantes freudig auf seine Felsen¬
heimath zeigt:


"So ruhig ist. so freundlich und so helle
Der Bürger Leben, so die salschheitfreie
Mitbürgerschast, so lievcnswerth die Stelle."

Auf ein selbstständiges Fürstenthum von einer Quadratmeile würden wir
kaum ohne einiges Lächeln blicken können; ein Freistaat, der in so engen
Grenzen durch länger als ein Jahrtausend seinen Bestand zu wahren wußte,
verdient unsere vollste Achtung. Sein Bestehen ist, selbst ein Beweis von dem
festen Rechtsbewußtsein, das stets in ihm geherrscht hat. Weit mehr als den


Grenzboten III. 1853. 2V

poteon — die ältesten Söhne des Prinzen von Ccmino — tragen die plan
und weiße Uniform.

Für den Unterricht ist vorzüglich gut gesorgt. Außer zwei Knaben-und
zwei Mädchenschulen, deren eine mit dem Clarissenkloster verbunden ist, bietet
das von der Familie Belluzzi gestiftete „LolleZio", namentlich in seiner neuen
Einrichtung in den verschiedensten Zweigen des Wissens — selbst Theologie
und Jurisprudenz mit inbegriffen — Belehrung. Der ?g.Ja.?i50 cksl (Avvörno,
in dem der große Rath seine Sitzungen hält, umfaßt außer dem Archive eine
nicht unbedeutende Bibliothek, welcher erst neuerdings Kaiser Napoleon
eine beträchtliche Anzahl angemessener Werke geschenkt hat. Die Errichtung
einer Druckerei hat aber die Regierung in verständiger Rücksicht auf die Ver¬
hältnisse nie erlaubt. Eine Censur würde sich mit den Einrichtungen des
Freistaates nicht vertragen. Ohne dieselbe wäre der Mißbrauch einer solchen
Presse zur Verbreitung aufregender Schriften in den benachbarten Landschaften
namentlich des Kirchenstaates, unvermeidlich.

Wie gering auch die öffentlichen Lasten und Abgaben sind — sie petra-.
gen auf den Kopf etwa ein Sechstheil von Dem, was im Päpstlichen zu.
leisten ist — so hat doch die Republik nicht allein keine Staatsschuld, sondern
eine Summe, die nach Verhältniß erheblich genannt werden muß, wird all¬
jährlich für Nothfälle oder außerordentliche Ausgaben zurückgelegt. Der kost¬
spielige Neubau der Hauptkirche wurde schon erwähnt; ebenso die Herstellung
einer Fahrstraße bis zur Stadt. Seitdem ist auch das Regierungsgebäude
neu aufgeführt.

Vergleichen wir mit diesem ruhigen und wohlgeordneten, wenn auch sehr
bescheidenen Gemeinwesen die durch und durch faulen Zustände der an¬
grenzenden Provinzen, um nicht zu sagen, des größten Theils von Italien,
jenes allgemeine, um jeden Preis nur Wechsel verlangende Mißbehagen, jene
mißtrauische Machtlosigkeit der Regierung, jenen verbrecherischen Hang der
Bevölkerung zu Angriffen auf Leben und Eigenthum, jene gänzliche Zerrüttung
des Staatshaushaltes, so werden wir es nicht unbegründet finden, wenn der
Bürger von San Marino mit den Worten Dantes freudig auf seine Felsen¬
heimath zeigt:


„So ruhig ist. so freundlich und so helle
Der Bürger Leben, so die salschheitfreie
Mitbürgerschast, so lievcnswerth die Stelle."

Auf ein selbstständiges Fürstenthum von einer Quadratmeile würden wir
kaum ohne einiges Lächeln blicken können; ein Freistaat, der in so engen
Grenzen durch länger als ein Jahrtausend seinen Bestand zu wahren wußte,
verdient unsere vollste Achtung. Sein Bestehen ist, selbst ein Beweis von dem
festen Rechtsbewußtsein, das stets in ihm geherrscht hat. Weit mehr als den


Grenzboten III. 1853. 2V
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[0161] poteon — die ältesten Söhne des Prinzen von Ccmino — tragen die plan und weiße Uniform. Für den Unterricht ist vorzüglich gut gesorgt. Außer zwei Knaben-und zwei Mädchenschulen, deren eine mit dem Clarissenkloster verbunden ist, bietet das von der Familie Belluzzi gestiftete „LolleZio", namentlich in seiner neuen Einrichtung in den verschiedensten Zweigen des Wissens — selbst Theologie und Jurisprudenz mit inbegriffen — Belehrung. Der ?g.Ja.?i50 cksl (Avvörno, in dem der große Rath seine Sitzungen hält, umfaßt außer dem Archive eine nicht unbedeutende Bibliothek, welcher erst neuerdings Kaiser Napoleon eine beträchtliche Anzahl angemessener Werke geschenkt hat. Die Errichtung einer Druckerei hat aber die Regierung in verständiger Rücksicht auf die Ver¬ hältnisse nie erlaubt. Eine Censur würde sich mit den Einrichtungen des Freistaates nicht vertragen. Ohne dieselbe wäre der Mißbrauch einer solchen Presse zur Verbreitung aufregender Schriften in den benachbarten Landschaften namentlich des Kirchenstaates, unvermeidlich. Wie gering auch die öffentlichen Lasten und Abgaben sind — sie petra-. gen auf den Kopf etwa ein Sechstheil von Dem, was im Päpstlichen zu. leisten ist — so hat doch die Republik nicht allein keine Staatsschuld, sondern eine Summe, die nach Verhältniß erheblich genannt werden muß, wird all¬ jährlich für Nothfälle oder außerordentliche Ausgaben zurückgelegt. Der kost¬ spielige Neubau der Hauptkirche wurde schon erwähnt; ebenso die Herstellung einer Fahrstraße bis zur Stadt. Seitdem ist auch das Regierungsgebäude neu aufgeführt. Vergleichen wir mit diesem ruhigen und wohlgeordneten, wenn auch sehr bescheidenen Gemeinwesen die durch und durch faulen Zustände der an¬ grenzenden Provinzen, um nicht zu sagen, des größten Theils von Italien, jenes allgemeine, um jeden Preis nur Wechsel verlangende Mißbehagen, jene mißtrauische Machtlosigkeit der Regierung, jenen verbrecherischen Hang der Bevölkerung zu Angriffen auf Leben und Eigenthum, jene gänzliche Zerrüttung des Staatshaushaltes, so werden wir es nicht unbegründet finden, wenn der Bürger von San Marino mit den Worten Dantes freudig auf seine Felsen¬ heimath zeigt: „So ruhig ist. so freundlich und so helle Der Bürger Leben, so die salschheitfreie Mitbürgerschast, so lievcnswerth die Stelle." Auf ein selbstständiges Fürstenthum von einer Quadratmeile würden wir kaum ohne einiges Lächeln blicken können; ein Freistaat, der in so engen Grenzen durch länger als ein Jahrtausend seinen Bestand zu wahren wußte, verdient unsere vollste Achtung. Sein Bestehen ist, selbst ein Beweis von dem festen Rechtsbewußtsein, das stets in ihm geherrscht hat. Weit mehr als den Grenzboten III. 1853. 2V

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/161>, abgerufen am 22.07.2024.