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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band.

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gericht hierauf erkennt, ist ebenso wie der erste Spruch des Schwurgerichts
allein durch Nichtigkeitsbeschwerde beim Obertribunal anfechtbar. Sie setzt
entweder die Verletzung wesentlicher Vorschriften und Grundsätze des materiellen
Rechts, oder des Verfahrens voraus. woraus das Obertribunal das Urtheil
vernichtet, und entweder selbst in der Sache erkennt, oder ein neues Ver¬
fahren anordnet, für das die von ihm aufgestellten Grundsätze maßgebend
sind. Die Nichtigkeitsbeschwerde steht übrigens auch dem Staatsanwalt
zu. gegen ein freisprechendes Verbiet der Geschwornen aber nur, wenn durch
die Zusammensetzung der Jury und die Art der Fragenstellung eine Nichtigkeit
begründet wird. Schließlich darf auch gegen ein rechtskräftiges Urtheil noch
jederzeit Restitution nachgesucht werden, wenn dasselbe auf falsche Urkunden
oder meineidige Zeugenaussagen gegründet worden ist.

Es bleibt uns nur noch weniges über die Veränderungen in der Straf¬
vollstreckung zu sagen übrig. Die körperliche Züchtigung ist ganz aufgehoben
und aller Bemühungen prügelfreundlicher Abgeordneten ungeachtet bis jetzt
nicht wieder eingeführt. Wie die Freiheitsstrafen und namentlich die schwe¬
reren vollstreckt werden sollen, ist noch eine offene Frage. Ob das pcnsylvanische.
das Auburnsche System, die Beschäftigung im Freien oder ein gemischtes System
schließlich adoptirt werden wird, hängt von den Erfahrungen ab, welche mit
größter Sorgfalt gesammelt werden. Die Todesstrafe ist nicht abgeschafft,
aber doch von aller unnöthigen Grausamkeit befreit. Das Gesetz begnügt
sich den. dessen Existenz es mit den Forderungen der Gerechtigkeit und gesell¬
schaftlichen Ordnung für unverträglich hält, einfach zu vernichten, ohne ihn
außerdem als Abschreckungsmittel des zuschauenden Publicums zu verwenden.
Bekanntlich ist diese Absicht der alten Gesetzgebung auch nie auf diese Weise
erreicht worden, und der feierliche Pomp der öffentlichen Hinrichtung, so ver¬
letzend für zartfühlende Naturen als verwitternd für den rohen Haufen, hat
eher dazu beigetragen, ehrgeizige Verbrecher auf die Hauptrolle bei dem glän¬
zenden Schauspiel begierig zu machen. In der Criminalordnung vermischt
sich der Wunsch nach Stille und Vermeidung alles Auffallenden in wunder¬
licher Weise mit dem andern Wunsch nach möglichster Publicität des letzten
Actes der strafenden Gerechtigkeit. Das Strafgesetzbuch schließt die Oeffentlich-
keit der Hinrichtung entschieden aus. Auf umfriedeten Platz, vor Vertretern
des Gerichts und der Gemeinde, und im Beisein des Vertheidigers, eines
Geistlichen und andrer Personen, denen aus besondern Gründen der Zutritt
gestattet wird, fällt das schuldige Haupt. Nur das Läuten eines Glöckchens
und ein Maueranschlag theilt dem Publicum mit. was soeben geschehen ist
-- gewiß eine bessere und ernstere Mahnung, als wenn man die Vollziehung
der traurigsten Pflicht des Staats zu einem Ergötzen roher und müßiger
Gaffer, fast zu einem Volksfest machte.


gericht hierauf erkennt, ist ebenso wie der erste Spruch des Schwurgerichts
allein durch Nichtigkeitsbeschwerde beim Obertribunal anfechtbar. Sie setzt
entweder die Verletzung wesentlicher Vorschriften und Grundsätze des materiellen
Rechts, oder des Verfahrens voraus. woraus das Obertribunal das Urtheil
vernichtet, und entweder selbst in der Sache erkennt, oder ein neues Ver¬
fahren anordnet, für das die von ihm aufgestellten Grundsätze maßgebend
sind. Die Nichtigkeitsbeschwerde steht übrigens auch dem Staatsanwalt
zu. gegen ein freisprechendes Verbiet der Geschwornen aber nur, wenn durch
die Zusammensetzung der Jury und die Art der Fragenstellung eine Nichtigkeit
begründet wird. Schließlich darf auch gegen ein rechtskräftiges Urtheil noch
jederzeit Restitution nachgesucht werden, wenn dasselbe auf falsche Urkunden
oder meineidige Zeugenaussagen gegründet worden ist.

Es bleibt uns nur noch weniges über die Veränderungen in der Straf¬
vollstreckung zu sagen übrig. Die körperliche Züchtigung ist ganz aufgehoben
und aller Bemühungen prügelfreundlicher Abgeordneten ungeachtet bis jetzt
nicht wieder eingeführt. Wie die Freiheitsstrafen und namentlich die schwe¬
reren vollstreckt werden sollen, ist noch eine offene Frage. Ob das pcnsylvanische.
das Auburnsche System, die Beschäftigung im Freien oder ein gemischtes System
schließlich adoptirt werden wird, hängt von den Erfahrungen ab, welche mit
größter Sorgfalt gesammelt werden. Die Todesstrafe ist nicht abgeschafft,
aber doch von aller unnöthigen Grausamkeit befreit. Das Gesetz begnügt
sich den. dessen Existenz es mit den Forderungen der Gerechtigkeit und gesell¬
schaftlichen Ordnung für unverträglich hält, einfach zu vernichten, ohne ihn
außerdem als Abschreckungsmittel des zuschauenden Publicums zu verwenden.
Bekanntlich ist diese Absicht der alten Gesetzgebung auch nie auf diese Weise
erreicht worden, und der feierliche Pomp der öffentlichen Hinrichtung, so ver¬
letzend für zartfühlende Naturen als verwitternd für den rohen Haufen, hat
eher dazu beigetragen, ehrgeizige Verbrecher auf die Hauptrolle bei dem glän¬
zenden Schauspiel begierig zu machen. In der Criminalordnung vermischt
sich der Wunsch nach Stille und Vermeidung alles Auffallenden in wunder¬
licher Weise mit dem andern Wunsch nach möglichster Publicität des letzten
Actes der strafenden Gerechtigkeit. Das Strafgesetzbuch schließt die Oeffentlich-
keit der Hinrichtung entschieden aus. Auf umfriedeten Platz, vor Vertretern
des Gerichts und der Gemeinde, und im Beisein des Vertheidigers, eines
Geistlichen und andrer Personen, denen aus besondern Gründen der Zutritt
gestattet wird, fällt das schuldige Haupt. Nur das Läuten eines Glöckchens
und ein Maueranschlag theilt dem Publicum mit. was soeben geschehen ist
— gewiß eine bessere und ernstere Mahnung, als wenn man die Vollziehung
der traurigsten Pflicht des Staats zu einem Ergötzen roher und müßiger
Gaffer, fast zu einem Volksfest machte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105810/142>, abgerufen am 22.07.2024.