Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.sei ein allgemeines Ereigniß -- dieser Auffassung können wir nicht ohne wei¬ Der Gegensatz der deutschen Assimilationsgabe und der französischen Nei¬ sei ein allgemeines Ereigniß — dieser Auffassung können wir nicht ohne wei¬ Der Gegensatz der deutschen Assimilationsgabe und der französischen Nei¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0516" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105793"/> <p xml:id="ID_1344" prev="#ID_1343"> sei ein allgemeines Ereigniß — dieser Auffassung können wir nicht ohne wei¬<lb/> teres beiflichten, Deutschland allerdings hat die Reformation vollzogen und<lb/> mit seinem besten Blute bezahlt, wir tragen noch die schmerzlichen Wunden<lb/> von diesem Kampfe für die Freiheit des menschlichen Gewissens, aber die<lb/> französische Revolution hat diesen universellen Charakter nicht in ähnlicher<lb/> Weise. Ohne zu verkennen, welche allgemeinere'Elemente sowol in ihren<lb/> Vorläufern wie Voltaire, Rousseau, den Encyklopädisten u. s. w. als in ihren<lb/> eigenen Losungsworten lagen, mit voller Würdigung des ungeheuern Ein¬<lb/> flusses, welchen sie auf die ganze Welt ausgeübt, bleibt sie doch durchaus<lb/> französisch. Von der Reformation kann man in Wahrheit sagen, daß sie eine<lb/> gewonnene Schlacht sei, denn trotz der Reaction des Katholicismus im<lb/> 17. Jahrhundert ist, das wird kein Aufrichtiger leugnen, die Fahne des wahren<lb/> geistigen Fortschrittes in den Händen des Protestantismus geblieben, die<lb/> Reihe von Erdstößen aber, welche in Frankreich dem von 1789 folgten, der<lb/> jetzige Cäsarismus, sollten doch billig den Verfassern Bedenken eingeflößt<lb/> haben, ob die Revolution im eigentlichen Sinne eine gewonnene Schlacht zu<lb/> nennen sei; man mißt die Bedeutung eines Sieges doch nicht nach der Zahl<lb/> der Todten auf der Wahlstatt. Die alte französische Gesellschaft ist allerdings<lb/> von Grund aus zerstört, aber die neuen Gebäude, die man auf und von ihren<lb/> Trümmern aufgeführt hat, sind der Reihe nach zusammengebrochen. Die<lb/> englische Revolution von 1688, welche doch wol nur in beschränktem Sinne<lb/> eine Vorläuferin der französischen zu nennen, ist eine gewonnene Schlacht;<lb/> deshalb sind ihre Resultate den einzelnen großen Staatsmännern, welche an¬<lb/> erkannten, daß auch unserer Nation eine politische Reformation um Haupt und<lb/> Gliedern von Nöthen sei, weit mehr als die der französischen ein Vorbild<lb/> gewesen. Leute wie Stein erkannten die Bedeutung der letztern sehr wohl,<lb/> aber er wollte nur die berechtigten und ausführbaren von ihren Forderungen<lb/> sich aneignen. Wir können danach den Satz der Revue: „Die Reformation<lb/> war die Revolution des Gedankens, die Revolution die Reformation der<lb/> Dinge" nur für eine glänzende Wendung halten, die das Wesen der Sache<lb/> nicht darstellt. Es ist auch offenbar unrichtig, wem, weiterhin gesagt wird,<lb/> die Reformation habe wol England umgestaltet, und die Vereinigten Staaten<lb/> gegründet, aber sie habe in Deutschland nicht die unmaterielle Sphäre der<lb/> Gedanken überschritten, und die Deutschen hätten nicht vermocht, aus ihr die<lb/> auf die Regierung der Gesellschaft anwendbaren Konsequenzen abzuleiten,<lb/> denn wir meinen doch, daß der dreißigjährige Krieg wol durch den Glaubens¬<lb/> streit veranlaßt war, und welches Ereigniß hat so entscheidend und verderb¬<lb/> lich auf unser politisches Leben gewirkt als derselbe? —</p><lb/> <p xml:id="ID_1345" next="#ID_1346"> Der Gegensatz der deutschen Assimilationsgabe und der französischen Nei¬<lb/> gung sich in sich selbst zu begnügen, wird fein entwickelt, der deutsche Zug</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0516]
sei ein allgemeines Ereigniß — dieser Auffassung können wir nicht ohne wei¬
teres beiflichten, Deutschland allerdings hat die Reformation vollzogen und
mit seinem besten Blute bezahlt, wir tragen noch die schmerzlichen Wunden
von diesem Kampfe für die Freiheit des menschlichen Gewissens, aber die
französische Revolution hat diesen universellen Charakter nicht in ähnlicher
Weise. Ohne zu verkennen, welche allgemeinere'Elemente sowol in ihren
Vorläufern wie Voltaire, Rousseau, den Encyklopädisten u. s. w. als in ihren
eigenen Losungsworten lagen, mit voller Würdigung des ungeheuern Ein¬
flusses, welchen sie auf die ganze Welt ausgeübt, bleibt sie doch durchaus
französisch. Von der Reformation kann man in Wahrheit sagen, daß sie eine
gewonnene Schlacht sei, denn trotz der Reaction des Katholicismus im
17. Jahrhundert ist, das wird kein Aufrichtiger leugnen, die Fahne des wahren
geistigen Fortschrittes in den Händen des Protestantismus geblieben, die
Reihe von Erdstößen aber, welche in Frankreich dem von 1789 folgten, der
jetzige Cäsarismus, sollten doch billig den Verfassern Bedenken eingeflößt
haben, ob die Revolution im eigentlichen Sinne eine gewonnene Schlacht zu
nennen sei; man mißt die Bedeutung eines Sieges doch nicht nach der Zahl
der Todten auf der Wahlstatt. Die alte französische Gesellschaft ist allerdings
von Grund aus zerstört, aber die neuen Gebäude, die man auf und von ihren
Trümmern aufgeführt hat, sind der Reihe nach zusammengebrochen. Die
englische Revolution von 1688, welche doch wol nur in beschränktem Sinne
eine Vorläuferin der französischen zu nennen, ist eine gewonnene Schlacht;
deshalb sind ihre Resultate den einzelnen großen Staatsmännern, welche an¬
erkannten, daß auch unserer Nation eine politische Reformation um Haupt und
Gliedern von Nöthen sei, weit mehr als die der französischen ein Vorbild
gewesen. Leute wie Stein erkannten die Bedeutung der letztern sehr wohl,
aber er wollte nur die berechtigten und ausführbaren von ihren Forderungen
sich aneignen. Wir können danach den Satz der Revue: „Die Reformation
war die Revolution des Gedankens, die Revolution die Reformation der
Dinge" nur für eine glänzende Wendung halten, die das Wesen der Sache
nicht darstellt. Es ist auch offenbar unrichtig, wem, weiterhin gesagt wird,
die Reformation habe wol England umgestaltet, und die Vereinigten Staaten
gegründet, aber sie habe in Deutschland nicht die unmaterielle Sphäre der
Gedanken überschritten, und die Deutschen hätten nicht vermocht, aus ihr die
auf die Regierung der Gesellschaft anwendbaren Konsequenzen abzuleiten,
denn wir meinen doch, daß der dreißigjährige Krieg wol durch den Glaubens¬
streit veranlaßt war, und welches Ereigniß hat so entscheidend und verderb¬
lich auf unser politisches Leben gewirkt als derselbe? —
Der Gegensatz der deutschen Assimilationsgabe und der französischen Nei¬
gung sich in sich selbst zu begnügen, wird fein entwickelt, der deutsche Zug
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