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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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treten könne, soll Schleswig bis an die Eider sich in dänisches Land verwan¬
deln. Es soll die "Morgcngabe" sein, die Dänemark den beiden andern
Köpfen des dreihäuptigcn Skandinavismus zubringt, wenn es sich ihnen als
dritter anschließt. Die Schleswiger meinen zwar, es möge vielmehr die Elle
sein, die nach der Bibel niemand seiner Länge zusetzen kann. Die Eiderdänen
aber haben sich den Gedanken mit der Morgengabc einmal zurecht gemacht,
ihre Eitelkeit denkt nicht an jenes schwärmerische Ausgehen in einem großen
Nordlande, sie wollen im Süden erobern, um im Norden erobern zu können.
Dänemark gilt ihnen als Hauptland Skandinaviens, Kopenhagen als dessen
Hauptstadt. Es versteht sich deshalb von selbst, daß die Hegemonie in der
Union bei Dänemark sein muß. War sie es doch in der (beiläufig nicht durch
Vertrag, sondern durch Waffengewalt zu Stande gekommenen, den Schweden
sehr wenig ersprießlichen) kalmarischen Union, und ist doch Dänemark das alte
noch -- wenigstens im Wollen, wenn nicht im Können. Alle Besonnenen in
Schweden und Norwegen haben diesen Hintergedanken erkannt, und sehen die
Redensarten der Dänen von skandinavischer Verbrüderung mit Mißtrauen an.
Die Unlust, sich mit den Hilfe und zugleich Herrschaft Heischenden einzulassen,
äußert sich besonders stark bei den Norwegern, welche durch eignen Schaden
klug geworden sind, indem sie ganz so wie jetzt die Schleswig-Holsteiner er¬
fahren haben, wie die Union mit Dünemark, mag sie auch das Gleichheits¬
und Selbstständigkeitsprincip für die in ihr begriffnen Länder proclamnen,
immer mit Unterjochung und Ausnutzung für den andern Theil endigt.

Können die nördlichen Skandinavier schon deshalb auf eine Union mit
Dänemark-Schleswig nicht eingehen, so stehen dem auch andere gewichtige
Gründe entgegen. Wenn Dänemark nur Holstein, nicht auch Schleswig,
wenigstens den südlichen Theil, aufgäbe, so könnten die andern beiden Reiche
nicht daran denken, ihm die Aufnahme in ihren Bund zu gewähren, da sie
sich in diesem Falle für einen kleinen Zuwachs an Stärke eine große Gefahr
eintauschen würden. Die Aufnahme würde dann das Ergebniß eines Strebens
sein, welches sich offen feindlich gegen Deutschland erklärte. Die, welche sie
gewährten, würden damit in denselben Gegensatz zu dem deutschen Interesse
treten, wie Dänemark, und nach dem, was wir bisher aus dem Munde der
Verstündigen in den beiden nordskandinavischen Reichen vernahmen, muß man
annehmen, daß die Schweden und Norwerger nichts von Feindschaft mit Deutsch¬
land wissen wollen. Man müßte sich, wofern man an eine Union ginge,
sichern, nicht bei jeder Gelegenheit, wo das Nationalgefühl der Deutschen zu
wallen beginnt, in einen Krieg mit dem Süden verwickelt zu werden, und
die einzige Garantie würe grade im Fahrenlassen jener Morgengabe, die sich,
wofern sie angenommen würde, den v.erhüngnißvollen Gaben der Mythe gleich


Grenzboten I, I3S3. . S2

treten könne, soll Schleswig bis an die Eider sich in dänisches Land verwan¬
deln. Es soll die „Morgcngabe" sein, die Dänemark den beiden andern
Köpfen des dreihäuptigcn Skandinavismus zubringt, wenn es sich ihnen als
dritter anschließt. Die Schleswiger meinen zwar, es möge vielmehr die Elle
sein, die nach der Bibel niemand seiner Länge zusetzen kann. Die Eiderdänen
aber haben sich den Gedanken mit der Morgengabc einmal zurecht gemacht,
ihre Eitelkeit denkt nicht an jenes schwärmerische Ausgehen in einem großen
Nordlande, sie wollen im Süden erobern, um im Norden erobern zu können.
Dänemark gilt ihnen als Hauptland Skandinaviens, Kopenhagen als dessen
Hauptstadt. Es versteht sich deshalb von selbst, daß die Hegemonie in der
Union bei Dänemark sein muß. War sie es doch in der (beiläufig nicht durch
Vertrag, sondern durch Waffengewalt zu Stande gekommenen, den Schweden
sehr wenig ersprießlichen) kalmarischen Union, und ist doch Dänemark das alte
noch — wenigstens im Wollen, wenn nicht im Können. Alle Besonnenen in
Schweden und Norwegen haben diesen Hintergedanken erkannt, und sehen die
Redensarten der Dänen von skandinavischer Verbrüderung mit Mißtrauen an.
Die Unlust, sich mit den Hilfe und zugleich Herrschaft Heischenden einzulassen,
äußert sich besonders stark bei den Norwegern, welche durch eignen Schaden
klug geworden sind, indem sie ganz so wie jetzt die Schleswig-Holsteiner er¬
fahren haben, wie die Union mit Dünemark, mag sie auch das Gleichheits¬
und Selbstständigkeitsprincip für die in ihr begriffnen Länder proclamnen,
immer mit Unterjochung und Ausnutzung für den andern Theil endigt.

Können die nördlichen Skandinavier schon deshalb auf eine Union mit
Dänemark-Schleswig nicht eingehen, so stehen dem auch andere gewichtige
Gründe entgegen. Wenn Dänemark nur Holstein, nicht auch Schleswig,
wenigstens den südlichen Theil, aufgäbe, so könnten die andern beiden Reiche
nicht daran denken, ihm die Aufnahme in ihren Bund zu gewähren, da sie
sich in diesem Falle für einen kleinen Zuwachs an Stärke eine große Gefahr
eintauschen würden. Die Aufnahme würde dann das Ergebniß eines Strebens
sein, welches sich offen feindlich gegen Deutschland erklärte. Die, welche sie
gewährten, würden damit in denselben Gegensatz zu dem deutschen Interesse
treten, wie Dänemark, und nach dem, was wir bisher aus dem Munde der
Verstündigen in den beiden nordskandinavischen Reichen vernahmen, muß man
annehmen, daß die Schweden und Norwerger nichts von Feindschaft mit Deutsch¬
land wissen wollen. Man müßte sich, wofern man an eine Union ginge,
sichern, nicht bei jeder Gelegenheit, wo das Nationalgefühl der Deutschen zu
wallen beginnt, in einen Krieg mit dem Süden verwickelt zu werden, und
die einzige Garantie würe grade im Fahrenlassen jener Morgengabe, die sich,
wofern sie angenommen würde, den v.erhüngnißvollen Gaben der Mythe gleich


Grenzboten I, I3S3. . S2
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/497>, abgerufen am 28.07.2024.