Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.die Farbe die seelenhafte Natur; auch die ansgearbeitetste Individualität wird Man mag mit diesem Urtheil nicht ganz übereinstimmen. auch Verehrer Darin liegt ein Hauptvorzug dieses Buchs, daß der Verfasser überall nach die Farbe die seelenhafte Natur; auch die ansgearbeitetste Individualität wird Man mag mit diesem Urtheil nicht ganz übereinstimmen. auch Verehrer Darin liegt ein Hauptvorzug dieses Buchs, daß der Verfasser überall nach <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0477" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105754"/> <p xml:id="ID_1239" prev="#ID_1238"> die Farbe die seelenhafte Natur; auch die ansgearbeitetste Individualität wird<lb/> mit vollendeter Wahrheit durch die eigenthümliche Farbengebung charakterisirt.<lb/> Gallait kennt nicht die sclbstständi.ge, für sich bestehende Linienschönhcit, im<lb/> Aufbau der Gruppen, in den Umrissen beharrt der Meister bei der anspruchs¬<lb/> losen Einfachheit, welche die wirkliche Natur offenbart; ungezwungene Deut¬<lb/> lichkeit ist alles, was er in dieser Beziehung anstrebt. Im Gegensatz zu deut¬<lb/> schen Werken, die im unfertigen Zustand als Skizze oder Carton die größte<lb/> Vollendung besitzen, üben Gallaits Bilder nur als Gemälde geschaut den ech¬<lb/> ten Eindruck; natürlich da sie Poesie, Stimmung, Individualität erst dnrch<lb/> die Farbe erhalten, bei ihrer Schöpfung schon auf die Mitwirkung der letztem<lb/> gerechnet wurde. Das unterscheidet Gallait von den meisten Kunstgenossen<lb/> und hebt ihn hoch über die gesammte belgische Schule, daß seine Phantasie<lb/> eine ausschließlich malerische ist. in welcher Gedanke und malerische Form.<lb/> Zeichnung und Colorit in Eins zusammenfallen, daß er nur mit rein maleri¬<lb/> schen Mitteln wirkt, aber diese vollkommen beherrscht und mit Meisterschaft<lb/> handhabt."</p><lb/> <p xml:id="ID_1240"> Man mag mit diesem Urtheil nicht ganz übereinstimmen. auch Verehrer<lb/> Gallaits werden vielleicht seine Vorzüge zu stark hervorgehoben, seine Mängel<lb/> zu sehr vertuscht finden, da die „anspruchslose Einfachheit" seiner Linien bis¬<lb/> weilen in der That unstatthafte Nachlässigkeit oder Vernachlässigung ist. Aber<lb/> man wird wenigstens daraus entnehmen, daß der Verfasser im besten Sinne<lb/> des Worts zu sehen versteht. Dies sollte allerdings bei einem Kunstkritiker<lb/> selbstverständlich sein — aber da es doch leider in Wirklichkeit nicht immer<lb/> der Fall ist, muß es als ein Vorzug hervorgehoben werden. Der Versasser<lb/> bemerkt mit Recht, daß das Auftreten der gewöhnlichen Kritik die absurde<lb/> Meinung vieler Künstler, über die Kunst könne nur ein Künstler richten, bis<lb/> auf einen gewissen Grad entschuldige. Mit Unrecht sagt er aber, daß auch<lb/> Apelles diese Meinung getheilt habe. Wenn er wirklich Alexander den Gro¬<lb/> ßen, der sich in seinem Atelier über ästhetische Dinge vernehmen ließ, mit der<lb/> Bemerkung unterbrach, daß er von dem Farbenreiber ausgelacht werde, so that<lb/> er es nicht, weil der große Monarch überhaupt Kunsturtheile abgab, sondern<lb/> weil sie thöricht waren. Apelles war es ja grade, der nach der bekannten Er¬<lb/> zählung bei Plinius seine Gemälde öffentlich ausstellte, und hinter ihnen ver¬<lb/> borgen aus die Urtheile des Publicums lauschte, um Nutzen daraus zu ziehn.</p><lb/> <p xml:id="ID_1241" next="#ID_1242"> Darin liegt ein Hauptvorzug dieses Buchs, daß der Verfasser überall nach<lb/> Eindrücken urtheilt, die er durch ein kunstgeübtes Auge empfangen hat, ohne<lb/> sich durch Abstraktionen und Theorien bestimmen zu lassen, wie es nur zu<lb/> viele Aesthetiker der Gegenwart zu thun pflegen. Dadurch gerieth man in<lb/> Gefahr, das Wesen der Künste zu verkennen, ihnen Leistungen zuzutraun, die<lb/> mit der Natur ihrer Darstellungsmittel unvereinbar sind, zu preisen, was sie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0477]
die Farbe die seelenhafte Natur; auch die ansgearbeitetste Individualität wird
mit vollendeter Wahrheit durch die eigenthümliche Farbengebung charakterisirt.
Gallait kennt nicht die sclbstständi.ge, für sich bestehende Linienschönhcit, im
Aufbau der Gruppen, in den Umrissen beharrt der Meister bei der anspruchs¬
losen Einfachheit, welche die wirkliche Natur offenbart; ungezwungene Deut¬
lichkeit ist alles, was er in dieser Beziehung anstrebt. Im Gegensatz zu deut¬
schen Werken, die im unfertigen Zustand als Skizze oder Carton die größte
Vollendung besitzen, üben Gallaits Bilder nur als Gemälde geschaut den ech¬
ten Eindruck; natürlich da sie Poesie, Stimmung, Individualität erst dnrch
die Farbe erhalten, bei ihrer Schöpfung schon auf die Mitwirkung der letztem
gerechnet wurde. Das unterscheidet Gallait von den meisten Kunstgenossen
und hebt ihn hoch über die gesammte belgische Schule, daß seine Phantasie
eine ausschließlich malerische ist. in welcher Gedanke und malerische Form.
Zeichnung und Colorit in Eins zusammenfallen, daß er nur mit rein maleri¬
schen Mitteln wirkt, aber diese vollkommen beherrscht und mit Meisterschaft
handhabt."
Man mag mit diesem Urtheil nicht ganz übereinstimmen. auch Verehrer
Gallaits werden vielleicht seine Vorzüge zu stark hervorgehoben, seine Mängel
zu sehr vertuscht finden, da die „anspruchslose Einfachheit" seiner Linien bis¬
weilen in der That unstatthafte Nachlässigkeit oder Vernachlässigung ist. Aber
man wird wenigstens daraus entnehmen, daß der Verfasser im besten Sinne
des Worts zu sehen versteht. Dies sollte allerdings bei einem Kunstkritiker
selbstverständlich sein — aber da es doch leider in Wirklichkeit nicht immer
der Fall ist, muß es als ein Vorzug hervorgehoben werden. Der Versasser
bemerkt mit Recht, daß das Auftreten der gewöhnlichen Kritik die absurde
Meinung vieler Künstler, über die Kunst könne nur ein Künstler richten, bis
auf einen gewissen Grad entschuldige. Mit Unrecht sagt er aber, daß auch
Apelles diese Meinung getheilt habe. Wenn er wirklich Alexander den Gro¬
ßen, der sich in seinem Atelier über ästhetische Dinge vernehmen ließ, mit der
Bemerkung unterbrach, daß er von dem Farbenreiber ausgelacht werde, so that
er es nicht, weil der große Monarch überhaupt Kunsturtheile abgab, sondern
weil sie thöricht waren. Apelles war es ja grade, der nach der bekannten Er¬
zählung bei Plinius seine Gemälde öffentlich ausstellte, und hinter ihnen ver¬
borgen aus die Urtheile des Publicums lauschte, um Nutzen daraus zu ziehn.
Darin liegt ein Hauptvorzug dieses Buchs, daß der Verfasser überall nach
Eindrücken urtheilt, die er durch ein kunstgeübtes Auge empfangen hat, ohne
sich durch Abstraktionen und Theorien bestimmen zu lassen, wie es nur zu
viele Aesthetiker der Gegenwart zu thun pflegen. Dadurch gerieth man in
Gefahr, das Wesen der Künste zu verkennen, ihnen Leistungen zuzutraun, die
mit der Natur ihrer Darstellungsmittel unvereinbar sind, zu preisen, was sie
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