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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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fast alle gekrönten Häupter, man sagte damals, wenn er der Maler der
Könige sei, so sei er auch der König der Maler. Dabei war er ein Mann
von Geist und Witz, Ein sehr mittelmäßiger Maler, der seine bedeutenden
Genossen in einer Flugschrift schlechtgemacht hatte, zeigte ein für die nächste
Ausstellung bestimmtes Bild in seinem Atelier. "Wie glücklich sind Sie, mein
Freund," sagte G6rard, "Ihr Bild wird nach dem was Sie von den meinigen
gesagt haben noch nicht das schlechteste der Ausstellung sein!" -- In seinem
Salon fand man außer Künstlern wie de la Croix, der in der Unterhaltung
ebenso fein als wild in seinen Bildern ist. Männer der Wissenschaft wie
Cuvier. die beiden Berlins, Gründer des Journal des Dvbats, das sich da¬
mals zu einer Macht erhob, den spanischen Staatsmann und Schriftsteller
Martinez de 1a Rosa, die schöne und geistvoll excentrische Fürstin Belgiojoso.
Rossini sang, dort zuerst eine der Arien seines Barbier, die alle elektrisirte,
dort erschien auch zuerst Delphine Gay. die später als Madame de Girardin bekannt
ward. Zu den interessantesten Personen dieses Salons gehörten Beule (Sten¬
dhal) und M6rima>e. deren Unterhaltungen durch die entgegengesetzte Natur ihres
Charakters und Geistes unnachahmlich originell waren. M6rim6e hielt sich in
vornehmer Ruhe und drückte sich in eleganter Einfachheit aus, selbst wenn
er spottete. Beyle bewegte sich in beständigen Widersprüchen und Mystifi¬
kationen, in ihm kreuzten sich tausend verschiedne Empfindungen in wenig
Minute", alles regte ihn auf, nichts ließ ihn kalt, er schrieb eine Reihe von
Büchern und versicherte bald, sie seien so schlecht, daß er ein Schiff damit
in Ballast befrachtet habe, bald, daß man in Frankreich zu dumm sei ihn
zu verstehen. Bon besonderem Interesse muß uns das Bild sein, das die
Verfasserin von unserem großen Landsmann Alexander von Humboldt ent¬
wirft , den sie bei G6rard zuerst sah. "Der Erzähler war ein Mann von
mittlerer Größe, in der Mitte der vierziger Jahre, seine Haltung zeigte einen
Edelmann von alter Familie, sein, Gesicht war fein, geistvoll, lebhaft und ver¬
mehrte den Reiz seiner Worte. Ich fragte nachdem Namen und mein Erstaunen
war groß als ich hörte, es sei der gelehrte H. von Humboldt. Seine univer¬
selle Berühmtheit ließ mich unwillkürlich an einen Mann von großen Studien,
tiefen Betrachtungen, ungemessener Gelehrsamkeit denken. Die geistreiche Auf¬
geräumtheit, die lebhafte Einbildungskraft, die ich bei ihm kennen zu lernen
Gelegenheit hatte, wunderten mich zuerst, später sagte ich mir, daß man wol
nur mit einer lebhaften Einbildungskrast die Höhen und Tiefen der Wissen¬
schaft ermißt, so wie man in den Künsten der Einbildungskraft nur dann das
Höchste leistet, wenn man dazu die Borzüge des Studiums und eines durch¬
gebildeten Wissens mitbringt. An jenem Abend erwartete man den Abb6 de
Pratt, den Humboldt kennen lernen sollte. Beide hatten viel zu sagen, denn
beide dachten viel und hatten Ideen über alles, Humboldt sprach gut und viel,


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fast alle gekrönten Häupter, man sagte damals, wenn er der Maler der
Könige sei, so sei er auch der König der Maler. Dabei war er ein Mann
von Geist und Witz, Ein sehr mittelmäßiger Maler, der seine bedeutenden
Genossen in einer Flugschrift schlechtgemacht hatte, zeigte ein für die nächste
Ausstellung bestimmtes Bild in seinem Atelier. „Wie glücklich sind Sie, mein
Freund," sagte G6rard, „Ihr Bild wird nach dem was Sie von den meinigen
gesagt haben noch nicht das schlechteste der Ausstellung sein!" — In seinem
Salon fand man außer Künstlern wie de la Croix, der in der Unterhaltung
ebenso fein als wild in seinen Bildern ist. Männer der Wissenschaft wie
Cuvier. die beiden Berlins, Gründer des Journal des Dvbats, das sich da¬
mals zu einer Macht erhob, den spanischen Staatsmann und Schriftsteller
Martinez de 1a Rosa, die schöne und geistvoll excentrische Fürstin Belgiojoso.
Rossini sang, dort zuerst eine der Arien seines Barbier, die alle elektrisirte,
dort erschien auch zuerst Delphine Gay. die später als Madame de Girardin bekannt
ward. Zu den interessantesten Personen dieses Salons gehörten Beule (Sten¬
dhal) und M6rima>e. deren Unterhaltungen durch die entgegengesetzte Natur ihres
Charakters und Geistes unnachahmlich originell waren. M6rim6e hielt sich in
vornehmer Ruhe und drückte sich in eleganter Einfachheit aus, selbst wenn
er spottete. Beyle bewegte sich in beständigen Widersprüchen und Mystifi¬
kationen, in ihm kreuzten sich tausend verschiedne Empfindungen in wenig
Minute«, alles regte ihn auf, nichts ließ ihn kalt, er schrieb eine Reihe von
Büchern und versicherte bald, sie seien so schlecht, daß er ein Schiff damit
in Ballast befrachtet habe, bald, daß man in Frankreich zu dumm sei ihn
zu verstehen. Bon besonderem Interesse muß uns das Bild sein, das die
Verfasserin von unserem großen Landsmann Alexander von Humboldt ent¬
wirft , den sie bei G6rard zuerst sah. „Der Erzähler war ein Mann von
mittlerer Größe, in der Mitte der vierziger Jahre, seine Haltung zeigte einen
Edelmann von alter Familie, sein, Gesicht war fein, geistvoll, lebhaft und ver¬
mehrte den Reiz seiner Worte. Ich fragte nachdem Namen und mein Erstaunen
war groß als ich hörte, es sei der gelehrte H. von Humboldt. Seine univer¬
selle Berühmtheit ließ mich unwillkürlich an einen Mann von großen Studien,
tiefen Betrachtungen, ungemessener Gelehrsamkeit denken. Die geistreiche Auf¬
geräumtheit, die lebhafte Einbildungskraft, die ich bei ihm kennen zu lernen
Gelegenheit hatte, wunderten mich zuerst, später sagte ich mir, daß man wol
nur mit einer lebhaften Einbildungskrast die Höhen und Tiefen der Wissen¬
schaft ermißt, so wie man in den Künsten der Einbildungskraft nur dann das
Höchste leistet, wenn man dazu die Borzüge des Studiums und eines durch¬
gebildeten Wissens mitbringt. An jenem Abend erwartete man den Abb6 de
Pratt, den Humboldt kennen lernen sollte. Beide hatten viel zu sagen, denn
beide dachten viel und hatten Ideen über alles, Humboldt sprach gut und viel,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/459>, abgerufen am 28.07.2024.