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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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und mannigfaltig zu machen, unter der Restauration berührten sich der Geist
des alten und des neuen Frankreich. Man sah Edelleute, die ihre Erziehung
noch vor 1789 empfangen und im Exil mit ihrer Treue gegen die Bourbonen
alle Traditionen der alten Zeit bewahrt hatten, viele derselben wie z. B. Graf
Latour du Pin und Graf Se. Priese waren vollkommne Typen der graziösen
Urbanität und Würde des französischen Grand Seigneur; aber wie das
wiederhergestellte Königthum mit seiner Charte und den beibehaltnen bona¬
partistischen Institutionen doch nicht mehr die alte Monarchie war, so machte
sich selbst in den hochroyalistischen Kreisen ein neues Element geltend, das
die Alten fremd anwehte. Die Freiheit der Sitte, die einzige, die Frankreich
wirklich und seit langer Zeit besessen, genügte dem jungen Geschlecht nicht
mehr, man wollte politische Institutionen nach englischem Muster, es war
eine Zeit des Strebens und Werdens, welcher der zu vollständige Sieg der
neuen Ideen und bald nachher der Verfall folgte. Je mehr wir jetzt mit Be¬
dauern dem Sinken des französischen geistigen Lebens zusehen, je mehr der
Materialismus überhandnimmt, desto dankenswerther ist es, daß eine fein¬
gebildete Frau, wie Mad. Ancelot, ihre Erinnerungen aus der Zeit mittheilt,
wo jenes Leben in hoffnungsvollen Aufschwung begriffen war.

Sie führt uns zuerst in den Salon der berühmten Malerin, Madame
Lebrun. deren Blüte noch unter Ludwig XVI. fällt, die Marie Antoinette
und den ganzen Hof von Trianon porträtirt hat. Die Gunst der königlichen
Familie hob die junge Künstlerin, die bald der Liebling der ganzen Gesell¬
schaft ward, alles wollte von ihr gemalt sein, ihr kleiner Salon in der
Rue de Cl6ry faßte nicht die Menge der Gäste, man sah Marschälle und
Herzöge in Ermanglung von Sesseln sich auf bey Fußboden setzen. Neben den
großen Heroen wie Nonilles, Vaudreuil, S6gur, Ligne sah man Diderot,
d Alembert. Marmontel. De la Harpe, David und Champcenetz. das Epigramm
der französischen Sprache, wie er genannt wurde, der, vom Revolutions¬
gerichte zum Tode verurtheilt, fragte, ob er sich einen Stellvertreter wie in
der Nntionaigardc suchen dürfe. Die liebenswürdige Herrin dieses Salons
flüchtete sich bei den ersten Symptomen der Republik nach Italien, wandte sich
später nach Se. Petersburg, wo sie von Katharina und ihrem Hofe sehr ge¬
feiert ward und kehrte über Wien und Berlin nach Frankreich zurück. Unter
der Restauration war ihr Haus ein Mittelpunkt für strebende junge Künstler
und ihre alten Freunde, die sie fast alle überlebte.

Einen sehr verschiednen Kreis sammelte eine andere malerische Größe
um sich, der Baron Görard, der, obwol wir die Bewunderung von Mad.
Ancelot für seinen Belisar und seinen Amor und Psyche nicht theilen, doch
namentlich im Porträt einer der ersten Namen des neuen Frankreich bleibt.
Im Anfang der Restauration stand er auf dem Höhepunkt, er malte 1815


und mannigfaltig zu machen, unter der Restauration berührten sich der Geist
des alten und des neuen Frankreich. Man sah Edelleute, die ihre Erziehung
noch vor 1789 empfangen und im Exil mit ihrer Treue gegen die Bourbonen
alle Traditionen der alten Zeit bewahrt hatten, viele derselben wie z. B. Graf
Latour du Pin und Graf Se. Priese waren vollkommne Typen der graziösen
Urbanität und Würde des französischen Grand Seigneur; aber wie das
wiederhergestellte Königthum mit seiner Charte und den beibehaltnen bona¬
partistischen Institutionen doch nicht mehr die alte Monarchie war, so machte
sich selbst in den hochroyalistischen Kreisen ein neues Element geltend, das
die Alten fremd anwehte. Die Freiheit der Sitte, die einzige, die Frankreich
wirklich und seit langer Zeit besessen, genügte dem jungen Geschlecht nicht
mehr, man wollte politische Institutionen nach englischem Muster, es war
eine Zeit des Strebens und Werdens, welcher der zu vollständige Sieg der
neuen Ideen und bald nachher der Verfall folgte. Je mehr wir jetzt mit Be¬
dauern dem Sinken des französischen geistigen Lebens zusehen, je mehr der
Materialismus überhandnimmt, desto dankenswerther ist es, daß eine fein¬
gebildete Frau, wie Mad. Ancelot, ihre Erinnerungen aus der Zeit mittheilt,
wo jenes Leben in hoffnungsvollen Aufschwung begriffen war.

Sie führt uns zuerst in den Salon der berühmten Malerin, Madame
Lebrun. deren Blüte noch unter Ludwig XVI. fällt, die Marie Antoinette
und den ganzen Hof von Trianon porträtirt hat. Die Gunst der königlichen
Familie hob die junge Künstlerin, die bald der Liebling der ganzen Gesell¬
schaft ward, alles wollte von ihr gemalt sein, ihr kleiner Salon in der
Rue de Cl6ry faßte nicht die Menge der Gäste, man sah Marschälle und
Herzöge in Ermanglung von Sesseln sich auf bey Fußboden setzen. Neben den
großen Heroen wie Nonilles, Vaudreuil, S6gur, Ligne sah man Diderot,
d Alembert. Marmontel. De la Harpe, David und Champcenetz. das Epigramm
der französischen Sprache, wie er genannt wurde, der, vom Revolutions¬
gerichte zum Tode verurtheilt, fragte, ob er sich einen Stellvertreter wie in
der Nntionaigardc suchen dürfe. Die liebenswürdige Herrin dieses Salons
flüchtete sich bei den ersten Symptomen der Republik nach Italien, wandte sich
später nach Se. Petersburg, wo sie von Katharina und ihrem Hofe sehr ge¬
feiert ward und kehrte über Wien und Berlin nach Frankreich zurück. Unter
der Restauration war ihr Haus ein Mittelpunkt für strebende junge Künstler
und ihre alten Freunde, die sie fast alle überlebte.

Einen sehr verschiednen Kreis sammelte eine andere malerische Größe
um sich, der Baron Görard, der, obwol wir die Bewunderung von Mad.
Ancelot für seinen Belisar und seinen Amor und Psyche nicht theilen, doch
namentlich im Porträt einer der ersten Namen des neuen Frankreich bleibt.
Im Anfang der Restauration stand er auf dem Höhepunkt, er malte 1815


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[0458] und mannigfaltig zu machen, unter der Restauration berührten sich der Geist des alten und des neuen Frankreich. Man sah Edelleute, die ihre Erziehung noch vor 1789 empfangen und im Exil mit ihrer Treue gegen die Bourbonen alle Traditionen der alten Zeit bewahrt hatten, viele derselben wie z. B. Graf Latour du Pin und Graf Se. Priese waren vollkommne Typen der graziösen Urbanität und Würde des französischen Grand Seigneur; aber wie das wiederhergestellte Königthum mit seiner Charte und den beibehaltnen bona¬ partistischen Institutionen doch nicht mehr die alte Monarchie war, so machte sich selbst in den hochroyalistischen Kreisen ein neues Element geltend, das die Alten fremd anwehte. Die Freiheit der Sitte, die einzige, die Frankreich wirklich und seit langer Zeit besessen, genügte dem jungen Geschlecht nicht mehr, man wollte politische Institutionen nach englischem Muster, es war eine Zeit des Strebens und Werdens, welcher der zu vollständige Sieg der neuen Ideen und bald nachher der Verfall folgte. Je mehr wir jetzt mit Be¬ dauern dem Sinken des französischen geistigen Lebens zusehen, je mehr der Materialismus überhandnimmt, desto dankenswerther ist es, daß eine fein¬ gebildete Frau, wie Mad. Ancelot, ihre Erinnerungen aus der Zeit mittheilt, wo jenes Leben in hoffnungsvollen Aufschwung begriffen war. Sie führt uns zuerst in den Salon der berühmten Malerin, Madame Lebrun. deren Blüte noch unter Ludwig XVI. fällt, die Marie Antoinette und den ganzen Hof von Trianon porträtirt hat. Die Gunst der königlichen Familie hob die junge Künstlerin, die bald der Liebling der ganzen Gesell¬ schaft ward, alles wollte von ihr gemalt sein, ihr kleiner Salon in der Rue de Cl6ry faßte nicht die Menge der Gäste, man sah Marschälle und Herzöge in Ermanglung von Sesseln sich auf bey Fußboden setzen. Neben den großen Heroen wie Nonilles, Vaudreuil, S6gur, Ligne sah man Diderot, d Alembert. Marmontel. De la Harpe, David und Champcenetz. das Epigramm der französischen Sprache, wie er genannt wurde, der, vom Revolutions¬ gerichte zum Tode verurtheilt, fragte, ob er sich einen Stellvertreter wie in der Nntionaigardc suchen dürfe. Die liebenswürdige Herrin dieses Salons flüchtete sich bei den ersten Symptomen der Republik nach Italien, wandte sich später nach Se. Petersburg, wo sie von Katharina und ihrem Hofe sehr ge¬ feiert ward und kehrte über Wien und Berlin nach Frankreich zurück. Unter der Restauration war ihr Haus ein Mittelpunkt für strebende junge Künstler und ihre alten Freunde, die sie fast alle überlebte. Einen sehr verschiednen Kreis sammelte eine andere malerische Größe um sich, der Baron Görard, der, obwol wir die Bewunderung von Mad. Ancelot für seinen Belisar und seinen Amor und Psyche nicht theilen, doch namentlich im Porträt einer der ersten Namen des neuen Frankreich bleibt. Im Anfang der Restauration stand er auf dem Höhepunkt, er malte 1815

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/458>, abgerufen am 28.07.2024.