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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Kandidaten für den vacanten Sessel der Akademie den Hof machen, drüben in
der Ecke debattiren zwei ergraute Diplomaten die neueste Note des Ministers
des Auswärtigen. Ueberall ist Leben, Bewegung, nirgend Lärm und Ge¬
dränge, man kommt leise und verschwindet ohne Abschiedsfeierlichkeiten um
Andern Platz zu machen. Gegen Mitternacht leert sich der Salon und die
vertrautem Freunde bleiben, man rückt am Theetisch der Frau vom Hause
zusammen und dann beginnt oft erst das interessanteste Gespräch, ein eminenter
Mann nimmt das Wort, ein anderer replicirt. ein dritter wirft eine Bemerkung
dazwischen, Rede und Gegenrede wechseln in rascher Folge und man bemerkt
die Flucht der Zeit nicht. Die' seine Plauderei, das havon' ca-ufm-, durch
seinen Geist dem Geist des Andern Funken entlockend, das ist das Doctor-
diplom des Salons. Ohne Salons hätte Frankreich wol seine Pascal,
Bossuet. Corneille, aber leine La Rochefoucauld, Labruye.re, Vauvenargues,
keinen Fürsten von Ligne, der, obwol Belgier von Geburt, vielleicht der voll¬
endetste Ausdruck des französischen Weltmannes im neunzehnten Jahr¬
hundert war.

Die Restauration ist für die innere Geschichte Frankreichs in der Neuzeit
wol unbedingt die interessanteste Epoche, schon weil sie die merkwürdigsten
Gegensätze in sich schloß. Das Land war mit kriegerischem Ruhm übersättigt
und dann tief gedemüthigt; der Druck, den das Kaiserthum auf das geistige
Leben übte, war abgenommen, man wandte sich den Künsten des Friedens
und den großen Fragen der innern Politik zu, welche damals die besten
Kopfe beschäftigten. Ein Bourbon saß wieder auf dem Thron, die alten
Familien waren zurückgekehrt und ihre Häupter hatten Sitz in der Pairsl'ammer.
wo auch eine Reihe der bedeutendsten Generale Napoleons Platz gefunden hatten.
Der Bonapartismus war zu der Zeit so gut wie todt, Chateaubriand, Villöle,
Lammenais, de Serre, Bonald, de Maistre, Constant standen auf der Hohe
des Ruhms, dem Guizot, Cousin, Thiers, Villemain und andre erst zustrebten.
Die Wissenschaft hatte Cuvier, Laplace, Nenouard, Remusat. Lamartine, de
Bigny, Victor Hugo, Delavigne begannen damals ihre Laufbahn, die Theater
waren im vollsten Glänze, namentlich entwickelte sich das Vaudeville und
das seine Konversationsstück aus dem Thvatre de Madame, dem spätern
Gymnase. Ackerbau und Industrie waren in wunderbarem Aufschwung
und doch war der Cultus des Goldes noch nicht allmächtig, wie er
es später ward. Man kann sagen, daß trotz aller.folgenschweren Mißgriffe
der Negierung und der Regierten die Zeit der Restauration doch die glücklichste
Epoche der neuern Geschichte Frankreichs war. Unter solchen Bedingungen
mußte der Salon, wie wir ihn oben definirten, gedeihen, wenn jene Gleich¬
heit der Intelligenz, die für ihn erforderlich >se, angenommen wird, so dienen
bis zu einem gewissen Maße die Gegensätze nur dazu, den Verkehr zu beleben


Grenzboten I. 18L3. . 57

Kandidaten für den vacanten Sessel der Akademie den Hof machen, drüben in
der Ecke debattiren zwei ergraute Diplomaten die neueste Note des Ministers
des Auswärtigen. Ueberall ist Leben, Bewegung, nirgend Lärm und Ge¬
dränge, man kommt leise und verschwindet ohne Abschiedsfeierlichkeiten um
Andern Platz zu machen. Gegen Mitternacht leert sich der Salon und die
vertrautem Freunde bleiben, man rückt am Theetisch der Frau vom Hause
zusammen und dann beginnt oft erst das interessanteste Gespräch, ein eminenter
Mann nimmt das Wort, ein anderer replicirt. ein dritter wirft eine Bemerkung
dazwischen, Rede und Gegenrede wechseln in rascher Folge und man bemerkt
die Flucht der Zeit nicht. Die' seine Plauderei, das havon' ca-ufm-, durch
seinen Geist dem Geist des Andern Funken entlockend, das ist das Doctor-
diplom des Salons. Ohne Salons hätte Frankreich wol seine Pascal,
Bossuet. Corneille, aber leine La Rochefoucauld, Labruye.re, Vauvenargues,
keinen Fürsten von Ligne, der, obwol Belgier von Geburt, vielleicht der voll¬
endetste Ausdruck des französischen Weltmannes im neunzehnten Jahr¬
hundert war.

Die Restauration ist für die innere Geschichte Frankreichs in der Neuzeit
wol unbedingt die interessanteste Epoche, schon weil sie die merkwürdigsten
Gegensätze in sich schloß. Das Land war mit kriegerischem Ruhm übersättigt
und dann tief gedemüthigt; der Druck, den das Kaiserthum auf das geistige
Leben übte, war abgenommen, man wandte sich den Künsten des Friedens
und den großen Fragen der innern Politik zu, welche damals die besten
Kopfe beschäftigten. Ein Bourbon saß wieder auf dem Thron, die alten
Familien waren zurückgekehrt und ihre Häupter hatten Sitz in der Pairsl'ammer.
wo auch eine Reihe der bedeutendsten Generale Napoleons Platz gefunden hatten.
Der Bonapartismus war zu der Zeit so gut wie todt, Chateaubriand, Villöle,
Lammenais, de Serre, Bonald, de Maistre, Constant standen auf der Hohe
des Ruhms, dem Guizot, Cousin, Thiers, Villemain und andre erst zustrebten.
Die Wissenschaft hatte Cuvier, Laplace, Nenouard, Remusat. Lamartine, de
Bigny, Victor Hugo, Delavigne begannen damals ihre Laufbahn, die Theater
waren im vollsten Glänze, namentlich entwickelte sich das Vaudeville und
das seine Konversationsstück aus dem Thvatre de Madame, dem spätern
Gymnase. Ackerbau und Industrie waren in wunderbarem Aufschwung
und doch war der Cultus des Goldes noch nicht allmächtig, wie er
es später ward. Man kann sagen, daß trotz aller.folgenschweren Mißgriffe
der Negierung und der Regierten die Zeit der Restauration doch die glücklichste
Epoche der neuern Geschichte Frankreichs war. Unter solchen Bedingungen
mußte der Salon, wie wir ihn oben definirten, gedeihen, wenn jene Gleich¬
heit der Intelligenz, die für ihn erforderlich >se, angenommen wird, so dienen
bis zu einem gewissen Maße die Gegensätze nur dazu, den Verkehr zu beleben


Grenzboten I. 18L3. . 57
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[0457] Kandidaten für den vacanten Sessel der Akademie den Hof machen, drüben in der Ecke debattiren zwei ergraute Diplomaten die neueste Note des Ministers des Auswärtigen. Ueberall ist Leben, Bewegung, nirgend Lärm und Ge¬ dränge, man kommt leise und verschwindet ohne Abschiedsfeierlichkeiten um Andern Platz zu machen. Gegen Mitternacht leert sich der Salon und die vertrautem Freunde bleiben, man rückt am Theetisch der Frau vom Hause zusammen und dann beginnt oft erst das interessanteste Gespräch, ein eminenter Mann nimmt das Wort, ein anderer replicirt. ein dritter wirft eine Bemerkung dazwischen, Rede und Gegenrede wechseln in rascher Folge und man bemerkt die Flucht der Zeit nicht. Die' seine Plauderei, das havon' ca-ufm-, durch seinen Geist dem Geist des Andern Funken entlockend, das ist das Doctor- diplom des Salons. Ohne Salons hätte Frankreich wol seine Pascal, Bossuet. Corneille, aber leine La Rochefoucauld, Labruye.re, Vauvenargues, keinen Fürsten von Ligne, der, obwol Belgier von Geburt, vielleicht der voll¬ endetste Ausdruck des französischen Weltmannes im neunzehnten Jahr¬ hundert war. Die Restauration ist für die innere Geschichte Frankreichs in der Neuzeit wol unbedingt die interessanteste Epoche, schon weil sie die merkwürdigsten Gegensätze in sich schloß. Das Land war mit kriegerischem Ruhm übersättigt und dann tief gedemüthigt; der Druck, den das Kaiserthum auf das geistige Leben übte, war abgenommen, man wandte sich den Künsten des Friedens und den großen Fragen der innern Politik zu, welche damals die besten Kopfe beschäftigten. Ein Bourbon saß wieder auf dem Thron, die alten Familien waren zurückgekehrt und ihre Häupter hatten Sitz in der Pairsl'ammer. wo auch eine Reihe der bedeutendsten Generale Napoleons Platz gefunden hatten. Der Bonapartismus war zu der Zeit so gut wie todt, Chateaubriand, Villöle, Lammenais, de Serre, Bonald, de Maistre, Constant standen auf der Hohe des Ruhms, dem Guizot, Cousin, Thiers, Villemain und andre erst zustrebten. Die Wissenschaft hatte Cuvier, Laplace, Nenouard, Remusat. Lamartine, de Bigny, Victor Hugo, Delavigne begannen damals ihre Laufbahn, die Theater waren im vollsten Glänze, namentlich entwickelte sich das Vaudeville und das seine Konversationsstück aus dem Thvatre de Madame, dem spätern Gymnase. Ackerbau und Industrie waren in wunderbarem Aufschwung und doch war der Cultus des Goldes noch nicht allmächtig, wie er es später ward. Man kann sagen, daß trotz aller.folgenschweren Mißgriffe der Negierung und der Regierten die Zeit der Restauration doch die glücklichste Epoche der neuern Geschichte Frankreichs war. Unter solchen Bedingungen mußte der Salon, wie wir ihn oben definirten, gedeihen, wenn jene Gleich¬ heit der Intelligenz, die für ihn erforderlich >se, angenommen wird, so dienen bis zu einem gewissen Maße die Gegensätze nur dazu, den Verkehr zu beleben Grenzboten I. 18L3. . 57

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/457>, abgerufen am 01.09.2024.