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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Aber diese Staatsweisheit wagt sich glücklicherweise doch nur sehr schüchtern
hervor.

Und selbst in diesem Fall stünden wir den Schweizern nach. Bei den
Eidgenossen war in der Zeit der ncueuburger Angelegenheit, obgleich es sich
um eine ungerechte Sache handelte, alles einig, die Partejung verstummte
und man war zu jedem Opfer entschlossen. In Deutschland kommt es vor,
daß ein Staat gegen den andern intriguirt. wenn dieser seine Macht ver¬
größern, z. B. einen Kriegshafen anlegen will, und die alten Traditionen
sind noch nicht so weit vergessen, daß nicht die kleinern und mittlern Staaten
den deutschen Dualismus gern benutzten, jedes energische Auftreten z"
hintertreiben, und daß sich nicht der Gedanke bei ihnen regte, gegen die
etwaigen Uebergriffe der beiden Großmächte sich anderweitig Rath zu erholen.
Hierin liegt die größte Gefahr sür Deutschland, eine Gefahr, die vielleicht
schon für die nächste Zukunft droht. Mehr und mehr müssen wir uns daran
gewöhnen, das Treiben unserer westlichen Nachbarn als etwas Unberechenbares
zu betrachten. Sollte einmal eine russisch-französische Allianz zu Stande kom¬
men, sollten in derselben Zeit durch irgend einen Zufall Oestreich und Preußen
in einem gespannten Verhältniß stehen, so könnten wir leicht wieder einen
baseler Frieden, einen Rheinbund und alles Uebrige erleben: denn der Bundes¬
tag schützt nur, wo keine Gefahr ist. /

Wir haben auf diese Uebelstände hingewiesen, ohne eine Lösung anzu¬
geben. Das Volk oder wenn man will das Publicum hat sich jetzt unfrei¬
willig von aller Action zurückgezogen, und die Politik ist Sache der Fürsten
geworden. Aber wenn diese auch bei dem besten Willen denjenigen Uebel¬
ständen nicht abhelfen können, die in der Natur der Sache liegen, so haben
sie wenigstens ein Mittel in der Hand, den Einheitsgedanken zu kräftigen
und sich selbst eine mächtige Popularität zu verschaffen. Glücklicherweise gibt
es einen Punkt, in welchem die ganze Nation einig ist und der auch mit dem
Interesse keines einzelnen Fürsten cvllidirt: die Sache Schleswig-Holsteins.
Sollte sich der Bundestag zu dem Aufschwung erheben, hier einmal einen
entscheidenden Schritt zu thun auf die Gefahr, die diesmal keine ist, auf die
Gefahr eines Krieges, so könnte er eine Popularität erwerben, wie sie seit
Friedrich dem Großen noch keine deutsche Negierung besessen hat. Und das
Erhebende der Popularität liegt doch keineswegs in der eitlen Freude an dem
Beifall der Menge, sondern in dem stolzen Bewußtsein der Negierung, mit
der Nation Eins zu sein, das Höchste, was sie erreichen kann.

Noch zu keiner Zeit ist die Lage sür einen großen Entschluß Deutschlands
so günstig gewesen. Rußland ist mit Vorbereitungen für die Zukunft be¬
schäftigt, die es für jetzt außerhalb der Action halten, und wir erleben das
unerhörte Schauspiel, daß russische Zeitungen uns Muth einsprechen, daß sie


Aber diese Staatsweisheit wagt sich glücklicherweise doch nur sehr schüchtern
hervor.

Und selbst in diesem Fall stünden wir den Schweizern nach. Bei den
Eidgenossen war in der Zeit der ncueuburger Angelegenheit, obgleich es sich
um eine ungerechte Sache handelte, alles einig, die Partejung verstummte
und man war zu jedem Opfer entschlossen. In Deutschland kommt es vor,
daß ein Staat gegen den andern intriguirt. wenn dieser seine Macht ver¬
größern, z. B. einen Kriegshafen anlegen will, und die alten Traditionen
sind noch nicht so weit vergessen, daß nicht die kleinern und mittlern Staaten
den deutschen Dualismus gern benutzten, jedes energische Auftreten z»
hintertreiben, und daß sich nicht der Gedanke bei ihnen regte, gegen die
etwaigen Uebergriffe der beiden Großmächte sich anderweitig Rath zu erholen.
Hierin liegt die größte Gefahr sür Deutschland, eine Gefahr, die vielleicht
schon für die nächste Zukunft droht. Mehr und mehr müssen wir uns daran
gewöhnen, das Treiben unserer westlichen Nachbarn als etwas Unberechenbares
zu betrachten. Sollte einmal eine russisch-französische Allianz zu Stande kom¬
men, sollten in derselben Zeit durch irgend einen Zufall Oestreich und Preußen
in einem gespannten Verhältniß stehen, so könnten wir leicht wieder einen
baseler Frieden, einen Rheinbund und alles Uebrige erleben: denn der Bundes¬
tag schützt nur, wo keine Gefahr ist. /

Wir haben auf diese Uebelstände hingewiesen, ohne eine Lösung anzu¬
geben. Das Volk oder wenn man will das Publicum hat sich jetzt unfrei¬
willig von aller Action zurückgezogen, und die Politik ist Sache der Fürsten
geworden. Aber wenn diese auch bei dem besten Willen denjenigen Uebel¬
ständen nicht abhelfen können, die in der Natur der Sache liegen, so haben
sie wenigstens ein Mittel in der Hand, den Einheitsgedanken zu kräftigen
und sich selbst eine mächtige Popularität zu verschaffen. Glücklicherweise gibt
es einen Punkt, in welchem die ganze Nation einig ist und der auch mit dem
Interesse keines einzelnen Fürsten cvllidirt: die Sache Schleswig-Holsteins.
Sollte sich der Bundestag zu dem Aufschwung erheben, hier einmal einen
entscheidenden Schritt zu thun auf die Gefahr, die diesmal keine ist, auf die
Gefahr eines Krieges, so könnte er eine Popularität erwerben, wie sie seit
Friedrich dem Großen noch keine deutsche Negierung besessen hat. Und das
Erhebende der Popularität liegt doch keineswegs in der eitlen Freude an dem
Beifall der Menge, sondern in dem stolzen Bewußtsein der Negierung, mit
der Nation Eins zu sein, das Höchste, was sie erreichen kann.

Noch zu keiner Zeit ist die Lage sür einen großen Entschluß Deutschlands
so günstig gewesen. Rußland ist mit Vorbereitungen für die Zukunft be¬
schäftigt, die es für jetzt außerhalb der Action halten, und wir erleben das
unerhörte Schauspiel, daß russische Zeitungen uns Muth einsprechen, daß sie


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/452>, abgerufen am 28.07.2024.