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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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haben gezeigt, daß eine Partei in Serbien die Unsicherheit seiner Stellung
ausbeuten wollte, ihn zu stürzen, zuletzt sogar durch einen ruchlosen Mord.

Demohngeachtet ist Serbien 1856 durch den pariser Frieden in eine neue
Phase seiner Entwicklung getreten. Während das staatsrechtliche Verhältniß des
Landes zu seinem Suzerän seit der ersten serbischen Revolution nur durch Ver¬
träge der ottomanischen Pforte mit Rußland geschützt war. ist das Territorium
seit dem orientalischen Kriege unter die Collectivgarantie sämmtlicher Theil-
nehmer am pariser Frieden gestellt. Dadurch ist die politische Stellung des
Fürstenthums radical geändert worden. Und da eine künftige Lösung der gro¬
ßen orientalischen Frage durch diese Veränderung stark beeinflußt werden kann,
hat dieser kleine Staat im Süden der Donau Anspruch aus größere Beachtung
der deutschen Leser, als sie ihm bis jetzt wol gegönnt haben.

Noch vor 50 Jahren kannte man in Serbien außer wenigen religiösen
Büchern keine Literatur, die eintönigen Klänge der Gusle allein verkündeten
Thaten, Liebe und Haß des rohen, aber kräftigen Stammes. Daß jetzt in
deutscher Sprache ein Staatsrecht des Fürstenthums Serbien erscheint, darf,
wenn auch weiter nichts von den Fortschritten der Bildung in jenem Lande
bekannt wäre, als ein Zeichen betrachtet werden, daß das Ringen nach staat¬
licher Selbstständigfeit auch dort schon in den gebahnten Wegen des modernen Le¬
bens vorwärts geht. Noch erfreulicher ist, daß das Buch als die Arbeit eines
wissenschaftlich gebildeten Mannes gerühmt werden kann, der uns einer nord¬
deutschen Universität als Jurist geschult wurde und im Staatsrecht, wie in den
philosophischen Disciplinen ein nicht gemeines Wissen bewährt. Sein Werk
umfaßt in zwei Büchern Verfassungs- und Verwaltungsrecht und lehrt die
Theorie der Gesetzgebung und Verwaltung, Polizei, Rechtspflege, Heer, Finan¬
zen, Landwirihschaft, Gewerbe, Handel und Bildungsinstitute in übersichtlicher
Weise kennen. Allerdings empfindet man an einzelnen Stellen heraus, daß der
Verfasser das Interesse hat, die legalen Zustände des jungen Staates in gutem
Lichte zu zeigen, doch verletzt seine bescheidene Interpretation der Gesetze nir¬
gend. Das Werk verdient die Beachtung nicht nur des Politikers von Fach,
sondern aller, welche an Politik ein ernstes Interesse nehmen.

Hier wird es Veranlassung zu einem schnellen Blick auf die gegenwärtige
Lage der Südslavenländer. Es ist bekannt, daß der große Serbenstamm,
welcher von den dalmatischen Bergen bis an die Küste des schwarzen Meeres
reicht und die türkischen Landschaften: die Herzegowina, Montenegro, Serbien
und Bulgarien umfaßt, durch gemeinsame Sprache, Sitten und Traditionen und
in neuerer Zeit durch gemeinsame Wünsche verbunden ist. Zum größten Theil
durch Waffengewalt den Türken unterworfen, hatte er im Gegensatz zu den
Rumänen seine politische Selbstständigfeit in den vorigen Jahrhunderten ganz
verloren. Am meisten in der Herzegowina und Bosnien, wo der alte, Land-


haben gezeigt, daß eine Partei in Serbien die Unsicherheit seiner Stellung
ausbeuten wollte, ihn zu stürzen, zuletzt sogar durch einen ruchlosen Mord.

Demohngeachtet ist Serbien 1856 durch den pariser Frieden in eine neue
Phase seiner Entwicklung getreten. Während das staatsrechtliche Verhältniß des
Landes zu seinem Suzerän seit der ersten serbischen Revolution nur durch Ver¬
träge der ottomanischen Pforte mit Rußland geschützt war. ist das Territorium
seit dem orientalischen Kriege unter die Collectivgarantie sämmtlicher Theil-
nehmer am pariser Frieden gestellt. Dadurch ist die politische Stellung des
Fürstenthums radical geändert worden. Und da eine künftige Lösung der gro¬
ßen orientalischen Frage durch diese Veränderung stark beeinflußt werden kann,
hat dieser kleine Staat im Süden der Donau Anspruch aus größere Beachtung
der deutschen Leser, als sie ihm bis jetzt wol gegönnt haben.

Noch vor 50 Jahren kannte man in Serbien außer wenigen religiösen
Büchern keine Literatur, die eintönigen Klänge der Gusle allein verkündeten
Thaten, Liebe und Haß des rohen, aber kräftigen Stammes. Daß jetzt in
deutscher Sprache ein Staatsrecht des Fürstenthums Serbien erscheint, darf,
wenn auch weiter nichts von den Fortschritten der Bildung in jenem Lande
bekannt wäre, als ein Zeichen betrachtet werden, daß das Ringen nach staat¬
licher Selbstständigfeit auch dort schon in den gebahnten Wegen des modernen Le¬
bens vorwärts geht. Noch erfreulicher ist, daß das Buch als die Arbeit eines
wissenschaftlich gebildeten Mannes gerühmt werden kann, der uns einer nord¬
deutschen Universität als Jurist geschult wurde und im Staatsrecht, wie in den
philosophischen Disciplinen ein nicht gemeines Wissen bewährt. Sein Werk
umfaßt in zwei Büchern Verfassungs- und Verwaltungsrecht und lehrt die
Theorie der Gesetzgebung und Verwaltung, Polizei, Rechtspflege, Heer, Finan¬
zen, Landwirihschaft, Gewerbe, Handel und Bildungsinstitute in übersichtlicher
Weise kennen. Allerdings empfindet man an einzelnen Stellen heraus, daß der
Verfasser das Interesse hat, die legalen Zustände des jungen Staates in gutem
Lichte zu zeigen, doch verletzt seine bescheidene Interpretation der Gesetze nir¬
gend. Das Werk verdient die Beachtung nicht nur des Politikers von Fach,
sondern aller, welche an Politik ein ernstes Interesse nehmen.

Hier wird es Veranlassung zu einem schnellen Blick auf die gegenwärtige
Lage der Südslavenländer. Es ist bekannt, daß der große Serbenstamm,
welcher von den dalmatischen Bergen bis an die Küste des schwarzen Meeres
reicht und die türkischen Landschaften: die Herzegowina, Montenegro, Serbien
und Bulgarien umfaßt, durch gemeinsame Sprache, Sitten und Traditionen und
in neuerer Zeit durch gemeinsame Wünsche verbunden ist. Zum größten Theil
durch Waffengewalt den Türken unterworfen, hatte er im Gegensatz zu den
Rumänen seine politische Selbstständigfeit in den vorigen Jahrhunderten ganz
verloren. Am meisten in der Herzegowina und Bosnien, wo der alte, Land-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/429>, abgerufen am 27.07.2024.