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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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cifischen Charakter verliehen, der es nach dem Urtheil aller zum schönsten
stempelte, welches in der Schweiz je gefeiert wurde. Der Geist, der
hier herrschte, war die in den Frieden übersetzte Kampffreudigkeit des
vorangegangenen Winters. Man freute sich innig, nach einem Vierteljahr¬
hundert wechselvoller, zuweilen blutiger innerer Kämpfe sich eben wieder zu
einer Nation zusammengefunden zu haben. Man war stolz darauf, der Welt
als einiges, entschlossenes, zur Vertheidigung seiner Existenz ganz anständig
ausgestattetes Volk erschienen zu sein. Man gelobte sich, in ähnlichen Krisen
ebenso treu und entschlossen wieder zusammenzustehn. mochten unterdessen die
verschiedenen Parteien ihre kleinen Zänkereien noch so eifrig miteinander ausge-
fochten haben. Alles ohne Offensive oder Drohung oder Hochmuth, am aller¬
wenigsten propagandistisch gefärbt. Das war der Charat'er des Festes. Und
wie sehr man geneigt war, fremde Gäste an unserer nationalen Freude Theil
nehmen zu lassen, davon wissen die Schützen aus Bremen zu e.rzählen. Viel¬
leicht auch einer Ihrer unmittelbaren Landsleute. Hier wenigstens wurde ver¬
sichert, jener deutsche Minister, der sich eines Mittags incognito durch
die Festhütte führen ließ und von einem treuherzigen traiter Reiger
und trefflichen Pontonieroffizier in Civil angerufen wurde: "Herr Mi¬
nister! wollen Sie mit einem radicalen Berner anstoßen? -- ""Warum
nicht?"" -- Prosit! es lebe die Schweiz und alle vernünftigen Leute! -- --
und welcher Minister beim Weggehen geäußert haben soll, seine Begriffe von
republikanischen Thun und Treiben hätten einen bedeutenden Stoß erlitten,
dieser Minister, heißt es, sei eine Ihrer sächsischen Excellenzen gewesen.

Rechnen Sie zu jener politischen Stimmung hinzu: zehn Tage unver¬
gleichlichen Wetters, die weltberühmte Schönheit des Festplatzes (der Enge)
mit herrlicher Aussicht in die Alpen, die gleichzeitige Industrieausstellung, den
eben erfolgten Ausbau des neuen Bundespalastes, den sich der Souverain
auch einmal besehen wollte, die Neuheit der Eisenbahn, -- dann glauben Sie
auch an die nationale Völkerwanderung, die sich in diesen Tagen nach Bern
wälzte und zeitweise den Festplatz so stark anfüllte, wie der süße Mob von
London den Hydepark, wenn er gegen die Sonntagsstrenge oder Louis Napo¬
leon demonstriren will, nur mit dem Unterschied, daß sich unser Souverain
bei weitem manierlicher ausführte.

Fast gleichzeitig mit dem Schützenfest wurde die allgemeine schweizerische Aus¬
stellung eröffnet. Sie zerfiel in vier Abtheilungen: in eine literarische, künst¬
lerische, industrielle und landwirtschaftliche. Die' ersten beiden beherbergte
das Bundesrathhaus, die dritte eine neuerrichtete Kaserne, die vierte (erst
im Herbst eröffnete) fand Unterkunft in den Gebäulichkeiten des Schützen¬
festes. Diese Zerstreuung in verschiedene, größtentheils voneinander ziem¬
lich entfernte Localitäten deutet schon um, daß man auf ein knappes Bub-


cifischen Charakter verliehen, der es nach dem Urtheil aller zum schönsten
stempelte, welches in der Schweiz je gefeiert wurde. Der Geist, der
hier herrschte, war die in den Frieden übersetzte Kampffreudigkeit des
vorangegangenen Winters. Man freute sich innig, nach einem Vierteljahr¬
hundert wechselvoller, zuweilen blutiger innerer Kämpfe sich eben wieder zu
einer Nation zusammengefunden zu haben. Man war stolz darauf, der Welt
als einiges, entschlossenes, zur Vertheidigung seiner Existenz ganz anständig
ausgestattetes Volk erschienen zu sein. Man gelobte sich, in ähnlichen Krisen
ebenso treu und entschlossen wieder zusammenzustehn. mochten unterdessen die
verschiedenen Parteien ihre kleinen Zänkereien noch so eifrig miteinander ausge-
fochten haben. Alles ohne Offensive oder Drohung oder Hochmuth, am aller¬
wenigsten propagandistisch gefärbt. Das war der Charat'er des Festes. Und
wie sehr man geneigt war, fremde Gäste an unserer nationalen Freude Theil
nehmen zu lassen, davon wissen die Schützen aus Bremen zu e.rzählen. Viel¬
leicht auch einer Ihrer unmittelbaren Landsleute. Hier wenigstens wurde ver¬
sichert, jener deutsche Minister, der sich eines Mittags incognito durch
die Festhütte führen ließ und von einem treuherzigen traiter Reiger
und trefflichen Pontonieroffizier in Civil angerufen wurde: „Herr Mi¬
nister! wollen Sie mit einem radicalen Berner anstoßen? — „„Warum
nicht?"" — Prosit! es lebe die Schweiz und alle vernünftigen Leute! — —
und welcher Minister beim Weggehen geäußert haben soll, seine Begriffe von
republikanischen Thun und Treiben hätten einen bedeutenden Stoß erlitten,
dieser Minister, heißt es, sei eine Ihrer sächsischen Excellenzen gewesen.

Rechnen Sie zu jener politischen Stimmung hinzu: zehn Tage unver¬
gleichlichen Wetters, die weltberühmte Schönheit des Festplatzes (der Enge)
mit herrlicher Aussicht in die Alpen, die gleichzeitige Industrieausstellung, den
eben erfolgten Ausbau des neuen Bundespalastes, den sich der Souverain
auch einmal besehen wollte, die Neuheit der Eisenbahn, — dann glauben Sie
auch an die nationale Völkerwanderung, die sich in diesen Tagen nach Bern
wälzte und zeitweise den Festplatz so stark anfüllte, wie der süße Mob von
London den Hydepark, wenn er gegen die Sonntagsstrenge oder Louis Napo¬
leon demonstriren will, nur mit dem Unterschied, daß sich unser Souverain
bei weitem manierlicher ausführte.

Fast gleichzeitig mit dem Schützenfest wurde die allgemeine schweizerische Aus¬
stellung eröffnet. Sie zerfiel in vier Abtheilungen: in eine literarische, künst¬
lerische, industrielle und landwirtschaftliche. Die' ersten beiden beherbergte
das Bundesrathhaus, die dritte eine neuerrichtete Kaserne, die vierte (erst
im Herbst eröffnete) fand Unterkunft in den Gebäulichkeiten des Schützen¬
festes. Diese Zerstreuung in verschiedene, größtentheils voneinander ziem¬
lich entfernte Localitäten deutet schon um, daß man auf ein knappes Bub-


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[0412] cifischen Charakter verliehen, der es nach dem Urtheil aller zum schönsten stempelte, welches in der Schweiz je gefeiert wurde. Der Geist, der hier herrschte, war die in den Frieden übersetzte Kampffreudigkeit des vorangegangenen Winters. Man freute sich innig, nach einem Vierteljahr¬ hundert wechselvoller, zuweilen blutiger innerer Kämpfe sich eben wieder zu einer Nation zusammengefunden zu haben. Man war stolz darauf, der Welt als einiges, entschlossenes, zur Vertheidigung seiner Existenz ganz anständig ausgestattetes Volk erschienen zu sein. Man gelobte sich, in ähnlichen Krisen ebenso treu und entschlossen wieder zusammenzustehn. mochten unterdessen die verschiedenen Parteien ihre kleinen Zänkereien noch so eifrig miteinander ausge- fochten haben. Alles ohne Offensive oder Drohung oder Hochmuth, am aller¬ wenigsten propagandistisch gefärbt. Das war der Charat'er des Festes. Und wie sehr man geneigt war, fremde Gäste an unserer nationalen Freude Theil nehmen zu lassen, davon wissen die Schützen aus Bremen zu e.rzählen. Viel¬ leicht auch einer Ihrer unmittelbaren Landsleute. Hier wenigstens wurde ver¬ sichert, jener deutsche Minister, der sich eines Mittags incognito durch die Festhütte führen ließ und von einem treuherzigen traiter Reiger und trefflichen Pontonieroffizier in Civil angerufen wurde: „Herr Mi¬ nister! wollen Sie mit einem radicalen Berner anstoßen? — „„Warum nicht?"" — Prosit! es lebe die Schweiz und alle vernünftigen Leute! — — und welcher Minister beim Weggehen geäußert haben soll, seine Begriffe von republikanischen Thun und Treiben hätten einen bedeutenden Stoß erlitten, dieser Minister, heißt es, sei eine Ihrer sächsischen Excellenzen gewesen. Rechnen Sie zu jener politischen Stimmung hinzu: zehn Tage unver¬ gleichlichen Wetters, die weltberühmte Schönheit des Festplatzes (der Enge) mit herrlicher Aussicht in die Alpen, die gleichzeitige Industrieausstellung, den eben erfolgten Ausbau des neuen Bundespalastes, den sich der Souverain auch einmal besehen wollte, die Neuheit der Eisenbahn, — dann glauben Sie auch an die nationale Völkerwanderung, die sich in diesen Tagen nach Bern wälzte und zeitweise den Festplatz so stark anfüllte, wie der süße Mob von London den Hydepark, wenn er gegen die Sonntagsstrenge oder Louis Napo¬ leon demonstriren will, nur mit dem Unterschied, daß sich unser Souverain bei weitem manierlicher ausführte. Fast gleichzeitig mit dem Schützenfest wurde die allgemeine schweizerische Aus¬ stellung eröffnet. Sie zerfiel in vier Abtheilungen: in eine literarische, künst¬ lerische, industrielle und landwirtschaftliche. Die' ersten beiden beherbergte das Bundesrathhaus, die dritte eine neuerrichtete Kaserne, die vierte (erst im Herbst eröffnete) fand Unterkunft in den Gebäulichkeiten des Schützen¬ festes. Diese Zerstreuung in verschiedene, größtentheils voneinander ziem¬ lich entfernte Localitäten deutet schon um, daß man auf ein knappes Bub-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/412>, abgerufen am 28.07.2024.