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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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freiung vom römischen Joch verhießen und Tausende von Anhängern fanden.
Eine Weissagung, daß um diese Zeit einer aus Judäa die Weltherrschaft er¬
langen würde, bestärkte die messianischen Hoffnungen. Auch die Römer er¬
wähnen sie. sie ist nachher auf Vespasian bezogen worden. Es war also
mehr als hinreichender Zündstoff vorhanden, um die leidenschaftliche Auf¬
regung und den religiösen Fanatismus zum lodernden Brande anzufachen;
aber auch eine ruhigere Erwägung der Situation konnte das Gelingen der
Erhebung kalten als unmöglich erscheinen lassen. Daß es nicht unmöglich
sein werde, den Römern Widerstand zu leisten, hatten die eben über Cassius
errungenen Vortheile gezeigt. Die Kriegsbereitschaft des Volkes konnte man
, sehr hoch anschlagen, ebenso die materiellen Hilfsquellen des Landes. Von
dem benachbarten Königreiche Adiabcne. dessen Regentenfamilie dem Juden¬
tum eifrig ergeben war, durfte man nachdrückliche Unterstützung erwarten,
und vielleicht ließ sich das mächtige parthische Reich zur Bundesgenossenschaft
oder doch zu Demonstrationen bewegen. Von den in Vorderasien, Aegypten
und Kyrene und auf den Inseln des Archipels zahlreich angesiedelten Glau¬
bensgenossen hatte man Zuzug und Beiträge zur Vertheidigung des National-
heiligthums zu hoffen. In Aegypten allein wohnte eine Million Juden (un¬
gefähr der achte Theil der ganzen Bevölkerung). Gelang es. in dieser hochwich¬
tigen Provinz einen Aufstand herbeizuführen, so sonnte dadurch sür Rom eine
sehr ernste Verlegenheit entstehen.

Alle diese Hoffnungen waren freilich chimärisch, wenn es der Empörung
an militärischer Organisation und einheitlicher Leitung gebrach-, und beides
fehlte gänzlich. Vielleicht wäre Josephus im Stande gewesen, die militärische
Leitung zu übernehmen. Die Führer der Patnotcnvartei aber scheinen reine
Naturalisten gewesen zu sein, denen außer einer wilden Tapferkeit zu Feldherrn
nichts weniger als alles abging. Die kämpfende Mannschaft war zahlreich und
kühn bis zur Verwegenheit, aber mangelhaft bewaffnet, undisciplinirt bis zur
Zügellosigkeit. ungeschult und ungeübt. In Anerkennung ihres todesver¬
achtenden Muthes sind Tacitus und Josephus einstimmig. Der Tod, sagt der
letztere, schien ihnen ein geringfügiges Uebel, wenn es ihnen nur zugleich ge¬
lang, einen Feind mitzutödten. Der Ungestüm ihrer Angriffe war so groß,
daß sie oft die Feinde durch die Last ihrer Leiber umwarfen, mit denen sie
sich in die vorgehaltenen Speere stürzten. Aber diese tollkühne Wuth vermochte
die festen Colonnen der vortrefflich disciplinirten und angeführten römischen
Legionen nicht zu brechen, und Tausende opferten sich in nutzlosen Heroismus.
Dagegen vermochten sie den Römern, denen sie im offenen Felde niemals ge¬
wachsen waren, im Festungskriege die Spitze zu bieten, ja sogar die Ober¬
hand zu behalten: also dieselbe Erscheinung, die sich in allen orientalischen
Kriegen wiederholt hat. Josephus leitet sie bei den Juden aus der ihnen


freiung vom römischen Joch verhießen und Tausende von Anhängern fanden.
Eine Weissagung, daß um diese Zeit einer aus Judäa die Weltherrschaft er¬
langen würde, bestärkte die messianischen Hoffnungen. Auch die Römer er¬
wähnen sie. sie ist nachher auf Vespasian bezogen worden. Es war also
mehr als hinreichender Zündstoff vorhanden, um die leidenschaftliche Auf¬
regung und den religiösen Fanatismus zum lodernden Brande anzufachen;
aber auch eine ruhigere Erwägung der Situation konnte das Gelingen der
Erhebung kalten als unmöglich erscheinen lassen. Daß es nicht unmöglich
sein werde, den Römern Widerstand zu leisten, hatten die eben über Cassius
errungenen Vortheile gezeigt. Die Kriegsbereitschaft des Volkes konnte man
, sehr hoch anschlagen, ebenso die materiellen Hilfsquellen des Landes. Von
dem benachbarten Königreiche Adiabcne. dessen Regentenfamilie dem Juden¬
tum eifrig ergeben war, durfte man nachdrückliche Unterstützung erwarten,
und vielleicht ließ sich das mächtige parthische Reich zur Bundesgenossenschaft
oder doch zu Demonstrationen bewegen. Von den in Vorderasien, Aegypten
und Kyrene und auf den Inseln des Archipels zahlreich angesiedelten Glau¬
bensgenossen hatte man Zuzug und Beiträge zur Vertheidigung des National-
heiligthums zu hoffen. In Aegypten allein wohnte eine Million Juden (un¬
gefähr der achte Theil der ganzen Bevölkerung). Gelang es. in dieser hochwich¬
tigen Provinz einen Aufstand herbeizuführen, so sonnte dadurch sür Rom eine
sehr ernste Verlegenheit entstehen.

Alle diese Hoffnungen waren freilich chimärisch, wenn es der Empörung
an militärischer Organisation und einheitlicher Leitung gebrach-, und beides
fehlte gänzlich. Vielleicht wäre Josephus im Stande gewesen, die militärische
Leitung zu übernehmen. Die Führer der Patnotcnvartei aber scheinen reine
Naturalisten gewesen zu sein, denen außer einer wilden Tapferkeit zu Feldherrn
nichts weniger als alles abging. Die kämpfende Mannschaft war zahlreich und
kühn bis zur Verwegenheit, aber mangelhaft bewaffnet, undisciplinirt bis zur
Zügellosigkeit. ungeschult und ungeübt. In Anerkennung ihres todesver¬
achtenden Muthes sind Tacitus und Josephus einstimmig. Der Tod, sagt der
letztere, schien ihnen ein geringfügiges Uebel, wenn es ihnen nur zugleich ge¬
lang, einen Feind mitzutödten. Der Ungestüm ihrer Angriffe war so groß,
daß sie oft die Feinde durch die Last ihrer Leiber umwarfen, mit denen sie
sich in die vorgehaltenen Speere stürzten. Aber diese tollkühne Wuth vermochte
die festen Colonnen der vortrefflich disciplinirten und angeführten römischen
Legionen nicht zu brechen, und Tausende opferten sich in nutzlosen Heroismus.
Dagegen vermochten sie den Römern, denen sie im offenen Felde niemals ge¬
wachsen waren, im Festungskriege die Spitze zu bieten, ja sogar die Ober¬
hand zu behalten: also dieselbe Erscheinung, die sich in allen orientalischen
Kriegen wiederholt hat. Josephus leitet sie bei den Juden aus der ihnen


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[0348] freiung vom römischen Joch verhießen und Tausende von Anhängern fanden. Eine Weissagung, daß um diese Zeit einer aus Judäa die Weltherrschaft er¬ langen würde, bestärkte die messianischen Hoffnungen. Auch die Römer er¬ wähnen sie. sie ist nachher auf Vespasian bezogen worden. Es war also mehr als hinreichender Zündstoff vorhanden, um die leidenschaftliche Auf¬ regung und den religiösen Fanatismus zum lodernden Brande anzufachen; aber auch eine ruhigere Erwägung der Situation konnte das Gelingen der Erhebung kalten als unmöglich erscheinen lassen. Daß es nicht unmöglich sein werde, den Römern Widerstand zu leisten, hatten die eben über Cassius errungenen Vortheile gezeigt. Die Kriegsbereitschaft des Volkes konnte man , sehr hoch anschlagen, ebenso die materiellen Hilfsquellen des Landes. Von dem benachbarten Königreiche Adiabcne. dessen Regentenfamilie dem Juden¬ tum eifrig ergeben war, durfte man nachdrückliche Unterstützung erwarten, und vielleicht ließ sich das mächtige parthische Reich zur Bundesgenossenschaft oder doch zu Demonstrationen bewegen. Von den in Vorderasien, Aegypten und Kyrene und auf den Inseln des Archipels zahlreich angesiedelten Glau¬ bensgenossen hatte man Zuzug und Beiträge zur Vertheidigung des National- heiligthums zu hoffen. In Aegypten allein wohnte eine Million Juden (un¬ gefähr der achte Theil der ganzen Bevölkerung). Gelang es. in dieser hochwich¬ tigen Provinz einen Aufstand herbeizuführen, so sonnte dadurch sür Rom eine sehr ernste Verlegenheit entstehen. Alle diese Hoffnungen waren freilich chimärisch, wenn es der Empörung an militärischer Organisation und einheitlicher Leitung gebrach-, und beides fehlte gänzlich. Vielleicht wäre Josephus im Stande gewesen, die militärische Leitung zu übernehmen. Die Führer der Patnotcnvartei aber scheinen reine Naturalisten gewesen zu sein, denen außer einer wilden Tapferkeit zu Feldherrn nichts weniger als alles abging. Die kämpfende Mannschaft war zahlreich und kühn bis zur Verwegenheit, aber mangelhaft bewaffnet, undisciplinirt bis zur Zügellosigkeit. ungeschult und ungeübt. In Anerkennung ihres todesver¬ achtenden Muthes sind Tacitus und Josephus einstimmig. Der Tod, sagt der letztere, schien ihnen ein geringfügiges Uebel, wenn es ihnen nur zugleich ge¬ lang, einen Feind mitzutödten. Der Ungestüm ihrer Angriffe war so groß, daß sie oft die Feinde durch die Last ihrer Leiber umwarfen, mit denen sie sich in die vorgehaltenen Speere stürzten. Aber diese tollkühne Wuth vermochte die festen Colonnen der vortrefflich disciplinirten und angeführten römischen Legionen nicht zu brechen, und Tausende opferten sich in nutzlosen Heroismus. Dagegen vermochten sie den Römern, denen sie im offenen Felde niemals ge¬ wachsen waren, im Festungskriege die Spitze zu bieten, ja sogar die Ober¬ hand zu behalten: also dieselbe Erscheinung, die sich in allen orientalischen Kriegen wiederholt hat. Josephus leitet sie bei den Juden aus der ihnen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/348>, abgerufen am 28.07.2024.