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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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gingen durch seine Erpressungen zu Grunde; ganze Bezirke wurden durch seine
Habsucht entvölkert; viele verließen ihre väterlichen Wohnsitze und flohen in
andere Provinzen. Als Cassius Gallus, der Statthalter von Syrien (welchem der
Procurator von Judäa untergeben war) um die Zeit des Passahfestes nach
Jerusalem kam, umringte ihn das ganze zu dieser Feier zusammengeströmte
Volk (nach Josephus nicht weniger als drei Millionen) mit flehentlichen Bit¬
ten um Erbarmen und Abhilfe. Aber diese hatten keinen andern Erfolg, als
daß Florus nur um seine Sicherheit besorgt zu werden anfing und den Druck
bis zum Unerträglichen steigerte, um einen Aufstand herbeizuführen, weil er
dann hoffen konnte, die Juden in Rom als den schuldigen Theil erscheinen
zu lassen.

Die nächste Veranlassung des Aufstandes war ein Raub, den Florus am
Tempelschatz verübte. Diese freche Gewaltthat erregte lautes. Murren. Der
Procurator, ohne Zweifel sehr froh einen Conflict herbeigeführt zu haben, er¬
schien mit Truppen in Jerusalem. Vergebens baten die Hohenpriester und
Vornehmen, nicht das ganze Volk die Aeußerungen einiger Unzufriedenen ent¬
gelten zu lassen. Florus gab die wehrlose Stadt seinen Soldaten Preis, die
nun wie in einer eroberten Festung plünderten und mordeten. Juden, die
römische Ritter waren, wurden gegeißelt und ans Kreuz geschlagen; die Ge-
sammtzahl der an diesem Tage Angekommenen betrug mit Einschluß der
Weiber und Kinder 3600, und doch gelang es nach diesem furchtbaren Ge¬
metzel den Hohenpriestern, das Volk zu besänftigen; so tief war die Furcht
vor der römischen Macht eingewurzelt. Aber Florus, seinem System getreu,
fachte den Aufruhr durch eine neue Gewaltthat wieder an. Jetzt endlich setzte
sich das Volk zur Wehr, und Florus verließ Jerusalem. Cassius Gallus
überzog nun mit einer Armee von 30,0000 Mann Judäa, um die Empörung
zu unterdrücken. Die offenen Städte und Dörfer wurden niedergebrannt, die
Einwohner zu Tausenden geschlachtet; aber gegen Jerusalem einen entscheiden¬
den Schlag zu führen, war der römische Feldherr nicht im Stande. Er trat
den Rückzug an, und auf diesem Rückzüge gelang es den Juden, ihm in'
mehren Gefechten bedeutenden Schaden zuzufügen, so daß er im Ganzen
Legen 6000 Mann verlor. Dieses war der Anfang des Endes. Der Bruch
mit Rom war nun unwiderruflich, die Kriegspartei fand kaum noch Wider¬
spruch, die Stimmung des Landes ging in hohen Wogen. Der Gott Israels,
der sein Volk aus Aegypten. von den Assyrern und aus der babylonischen
Knechtschaft erlöst hatte, schien ihm jetzt wieder sichtbar die Hand zu seiner
Befreiung zu bieten. Bis aus den letzten Augenblick blieb die Ueberzeugung
der Gläubigen unerschütterlich, Jerusalem könne nicht in Feindes Hand fallen,
der Tempel nicht untergehn. Gott werde ein Wunder thun. Diese begeisterte
Zuversicht nährten falsche Messiasse. mehr Schwärmer als Betrüger, die Be-


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gingen durch seine Erpressungen zu Grunde; ganze Bezirke wurden durch seine
Habsucht entvölkert; viele verließen ihre väterlichen Wohnsitze und flohen in
andere Provinzen. Als Cassius Gallus, der Statthalter von Syrien (welchem der
Procurator von Judäa untergeben war) um die Zeit des Passahfestes nach
Jerusalem kam, umringte ihn das ganze zu dieser Feier zusammengeströmte
Volk (nach Josephus nicht weniger als drei Millionen) mit flehentlichen Bit¬
ten um Erbarmen und Abhilfe. Aber diese hatten keinen andern Erfolg, als
daß Florus nur um seine Sicherheit besorgt zu werden anfing und den Druck
bis zum Unerträglichen steigerte, um einen Aufstand herbeizuführen, weil er
dann hoffen konnte, die Juden in Rom als den schuldigen Theil erscheinen
zu lassen.

Die nächste Veranlassung des Aufstandes war ein Raub, den Florus am
Tempelschatz verübte. Diese freche Gewaltthat erregte lautes. Murren. Der
Procurator, ohne Zweifel sehr froh einen Conflict herbeigeführt zu haben, er¬
schien mit Truppen in Jerusalem. Vergebens baten die Hohenpriester und
Vornehmen, nicht das ganze Volk die Aeußerungen einiger Unzufriedenen ent¬
gelten zu lassen. Florus gab die wehrlose Stadt seinen Soldaten Preis, die
nun wie in einer eroberten Festung plünderten und mordeten. Juden, die
römische Ritter waren, wurden gegeißelt und ans Kreuz geschlagen; die Ge-
sammtzahl der an diesem Tage Angekommenen betrug mit Einschluß der
Weiber und Kinder 3600, und doch gelang es nach diesem furchtbaren Ge¬
metzel den Hohenpriestern, das Volk zu besänftigen; so tief war die Furcht
vor der römischen Macht eingewurzelt. Aber Florus, seinem System getreu,
fachte den Aufruhr durch eine neue Gewaltthat wieder an. Jetzt endlich setzte
sich das Volk zur Wehr, und Florus verließ Jerusalem. Cassius Gallus
überzog nun mit einer Armee von 30,0000 Mann Judäa, um die Empörung
zu unterdrücken. Die offenen Städte und Dörfer wurden niedergebrannt, die
Einwohner zu Tausenden geschlachtet; aber gegen Jerusalem einen entscheiden¬
den Schlag zu führen, war der römische Feldherr nicht im Stande. Er trat
den Rückzug an, und auf diesem Rückzüge gelang es den Juden, ihm in'
mehren Gefechten bedeutenden Schaden zuzufügen, so daß er im Ganzen
Legen 6000 Mann verlor. Dieses war der Anfang des Endes. Der Bruch
mit Rom war nun unwiderruflich, die Kriegspartei fand kaum noch Wider¬
spruch, die Stimmung des Landes ging in hohen Wogen. Der Gott Israels,
der sein Volk aus Aegypten. von den Assyrern und aus der babylonischen
Knechtschaft erlöst hatte, schien ihm jetzt wieder sichtbar die Hand zu seiner
Befreiung zu bieten. Bis aus den letzten Augenblick blieb die Ueberzeugung
der Gläubigen unerschütterlich, Jerusalem könne nicht in Feindes Hand fallen,
der Tempel nicht untergehn. Gott werde ein Wunder thun. Diese begeisterte
Zuversicht nährten falsche Messiasse. mehr Schwärmer als Betrüger, die Be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/347>, abgerufen am 28.07.2024.