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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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furchtbare Knechtschaft wenigstens länger ertragen, wäre nicht sein theueres
Gut, der Glaube und das Gesetz seiner Väter, mit Rohheit verhöhnt und an¬
getastet worden. Aber hier war die Grenze der Geduld, hier stieß die römische
Gewaltherrschaft auf einen Widerstand, den sie weder zu biegen noch zu
brechen vermochte. Als Pontius Pilatus (Procurator seit 25 nach Chr.) zuerst die
Bilder des Kaisers Tiber nach Jerusalem bringen lassen wollte (was das jüdische
Gesetz verbot), strömte eine zahllose Volksmenge nach seiner Residenz Cäsarea,
um ihn zur'Zurücknahme des Befehls zu bewegen. "Da Pilatus die Bitte
abschlug, warfen sie sich zu Boden und, blieben fünf Tage und ebenso viel
Nächte liegen, ohne sich zu rühren." Der Herr Uebersetzer erinnert hier sehr
passend an ein ähnliches Verfahren, womit das gemeine Volk in Indien zu¬
weilen die Behörden zur Gewährung von Bitten zu bewegen sucht, das so¬
genannte Sthirnasitzen. "Am folgenden sechsten Tage setzte sich Pilatus in
der großen Rennbahn auf den Richterstuhl. und ließ das Volk zu sich rufen,
wie um ihm Bescheid zu geben, hatte jedoch zuvor den Soldaten den Befehl
ertheilt, auf ein gegebenes Zeichen die Juden mit den Waffen in der Hand
zu umringen. Plötzlich von einer dreifachen Linie Bewaffneter eingeschlossen,
gaben die Juden in der Bestürzung über diesen Anblick keinen Laut von sich;
als aber Pilatus erklärte, er werde sie niederhauen lassen, wenn sie nicht die
Bilder des Kaisers aufnahmen, und demgemäß den Soldaten den Befehl gab,
ihre Schwerter zu entblößen, da sielen die Juden wie auf geschehene Verab¬
redung sämmtlich nieder, streckten ihre Hälse dar und riefen laut, lieber woll¬
ten sie sich umbringen lassen, als das Gesetz übertreten. Erstaunt über diesen
religiösen Heldenmuth gab Pilatus Befehl, die Bilder sogleich aus Jerusalem
zu entfernen." Ein Versuch, den Caligula machte, seine Standbilder im Tem¬
pel aufrichten zu lassen, scheiterte an demselben einmüthigen todesverachtenden
Widerstande. Der römische Feldherr Petroninus, den Caligula mit einer bedeu¬
tenden Truppenabtheilung nach Judäa schickte, um seinem Willen Gehorsam
zu erzwingen, überzeugte sich, daß er durch Anwendung von Gewalt ebenso
wenig ausrichten würde, als durch Bitten und Drohungen. Es war in der
Saatzeit; in der allgemeinen Aufregung des Landes blieben die Felder un¬
bestellt, schon fünfzig Tage waren mit fruchtlosen Verhandlungen vergangen,
da entschloß sich Petroninus. um die drohende Hungersnoth abzuwenden, von
der Erzwingung des kaiserlichen Befehls aus eigne Gefahr abzustehen. Cali-
gulas Ermordung beendete bald darauf diese Krisis.

Noch eine Reihe von Jahren ließ sich die aufs Aeußerste gereizte Stim¬
mung der Nation beschwichtigen. Endlich brachte die brutale Gemeinheit des
Procurators Cassius Florus (64 nach Chr.) die Empörung zum Ausbruch.
Ohne Mitleid und ohne Scham mißhandelte er das unglückliche Land aufs
furchtbarste. Ganze Städte, sagt Josephus, verarmten, ganze Gemeinden


furchtbare Knechtschaft wenigstens länger ertragen, wäre nicht sein theueres
Gut, der Glaube und das Gesetz seiner Väter, mit Rohheit verhöhnt und an¬
getastet worden. Aber hier war die Grenze der Geduld, hier stieß die römische
Gewaltherrschaft auf einen Widerstand, den sie weder zu biegen noch zu
brechen vermochte. Als Pontius Pilatus (Procurator seit 25 nach Chr.) zuerst die
Bilder des Kaisers Tiber nach Jerusalem bringen lassen wollte (was das jüdische
Gesetz verbot), strömte eine zahllose Volksmenge nach seiner Residenz Cäsarea,
um ihn zur'Zurücknahme des Befehls zu bewegen. „Da Pilatus die Bitte
abschlug, warfen sie sich zu Boden und, blieben fünf Tage und ebenso viel
Nächte liegen, ohne sich zu rühren." Der Herr Uebersetzer erinnert hier sehr
passend an ein ähnliches Verfahren, womit das gemeine Volk in Indien zu¬
weilen die Behörden zur Gewährung von Bitten zu bewegen sucht, das so¬
genannte Sthirnasitzen. „Am folgenden sechsten Tage setzte sich Pilatus in
der großen Rennbahn auf den Richterstuhl. und ließ das Volk zu sich rufen,
wie um ihm Bescheid zu geben, hatte jedoch zuvor den Soldaten den Befehl
ertheilt, auf ein gegebenes Zeichen die Juden mit den Waffen in der Hand
zu umringen. Plötzlich von einer dreifachen Linie Bewaffneter eingeschlossen,
gaben die Juden in der Bestürzung über diesen Anblick keinen Laut von sich;
als aber Pilatus erklärte, er werde sie niederhauen lassen, wenn sie nicht die
Bilder des Kaisers aufnahmen, und demgemäß den Soldaten den Befehl gab,
ihre Schwerter zu entblößen, da sielen die Juden wie auf geschehene Verab¬
redung sämmtlich nieder, streckten ihre Hälse dar und riefen laut, lieber woll¬
ten sie sich umbringen lassen, als das Gesetz übertreten. Erstaunt über diesen
religiösen Heldenmuth gab Pilatus Befehl, die Bilder sogleich aus Jerusalem
zu entfernen." Ein Versuch, den Caligula machte, seine Standbilder im Tem¬
pel aufrichten zu lassen, scheiterte an demselben einmüthigen todesverachtenden
Widerstande. Der römische Feldherr Petroninus, den Caligula mit einer bedeu¬
tenden Truppenabtheilung nach Judäa schickte, um seinem Willen Gehorsam
zu erzwingen, überzeugte sich, daß er durch Anwendung von Gewalt ebenso
wenig ausrichten würde, als durch Bitten und Drohungen. Es war in der
Saatzeit; in der allgemeinen Aufregung des Landes blieben die Felder un¬
bestellt, schon fünfzig Tage waren mit fruchtlosen Verhandlungen vergangen,
da entschloß sich Petroninus. um die drohende Hungersnoth abzuwenden, von
der Erzwingung des kaiserlichen Befehls aus eigne Gefahr abzustehen. Cali-
gulas Ermordung beendete bald darauf diese Krisis.

Noch eine Reihe von Jahren ließ sich die aufs Aeußerste gereizte Stim¬
mung der Nation beschwichtigen. Endlich brachte die brutale Gemeinheit des
Procurators Cassius Florus (64 nach Chr.) die Empörung zum Ausbruch.
Ohne Mitleid und ohne Scham mißhandelte er das unglückliche Land aufs
furchtbarste. Ganze Städte, sagt Josephus, verarmten, ganze Gemeinden


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[0346] furchtbare Knechtschaft wenigstens länger ertragen, wäre nicht sein theueres Gut, der Glaube und das Gesetz seiner Väter, mit Rohheit verhöhnt und an¬ getastet worden. Aber hier war die Grenze der Geduld, hier stieß die römische Gewaltherrschaft auf einen Widerstand, den sie weder zu biegen noch zu brechen vermochte. Als Pontius Pilatus (Procurator seit 25 nach Chr.) zuerst die Bilder des Kaisers Tiber nach Jerusalem bringen lassen wollte (was das jüdische Gesetz verbot), strömte eine zahllose Volksmenge nach seiner Residenz Cäsarea, um ihn zur'Zurücknahme des Befehls zu bewegen. „Da Pilatus die Bitte abschlug, warfen sie sich zu Boden und, blieben fünf Tage und ebenso viel Nächte liegen, ohne sich zu rühren." Der Herr Uebersetzer erinnert hier sehr passend an ein ähnliches Verfahren, womit das gemeine Volk in Indien zu¬ weilen die Behörden zur Gewährung von Bitten zu bewegen sucht, das so¬ genannte Sthirnasitzen. „Am folgenden sechsten Tage setzte sich Pilatus in der großen Rennbahn auf den Richterstuhl. und ließ das Volk zu sich rufen, wie um ihm Bescheid zu geben, hatte jedoch zuvor den Soldaten den Befehl ertheilt, auf ein gegebenes Zeichen die Juden mit den Waffen in der Hand zu umringen. Plötzlich von einer dreifachen Linie Bewaffneter eingeschlossen, gaben die Juden in der Bestürzung über diesen Anblick keinen Laut von sich; als aber Pilatus erklärte, er werde sie niederhauen lassen, wenn sie nicht die Bilder des Kaisers aufnahmen, und demgemäß den Soldaten den Befehl gab, ihre Schwerter zu entblößen, da sielen die Juden wie auf geschehene Verab¬ redung sämmtlich nieder, streckten ihre Hälse dar und riefen laut, lieber woll¬ ten sie sich umbringen lassen, als das Gesetz übertreten. Erstaunt über diesen religiösen Heldenmuth gab Pilatus Befehl, die Bilder sogleich aus Jerusalem zu entfernen." Ein Versuch, den Caligula machte, seine Standbilder im Tem¬ pel aufrichten zu lassen, scheiterte an demselben einmüthigen todesverachtenden Widerstande. Der römische Feldherr Petroninus, den Caligula mit einer bedeu¬ tenden Truppenabtheilung nach Judäa schickte, um seinem Willen Gehorsam zu erzwingen, überzeugte sich, daß er durch Anwendung von Gewalt ebenso wenig ausrichten würde, als durch Bitten und Drohungen. Es war in der Saatzeit; in der allgemeinen Aufregung des Landes blieben die Felder un¬ bestellt, schon fünfzig Tage waren mit fruchtlosen Verhandlungen vergangen, da entschloß sich Petroninus. um die drohende Hungersnoth abzuwenden, von der Erzwingung des kaiserlichen Befehls aus eigne Gefahr abzustehen. Cali- gulas Ermordung beendete bald darauf diese Krisis. Noch eine Reihe von Jahren ließ sich die aufs Aeußerste gereizte Stim¬ mung der Nation beschwichtigen. Endlich brachte die brutale Gemeinheit des Procurators Cassius Florus (64 nach Chr.) die Empörung zum Ausbruch. Ohne Mitleid und ohne Scham mißhandelte er das unglückliche Land aufs furchtbarste. Ganze Städte, sagt Josephus, verarmten, ganze Gemeinden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/346>, abgerufen am 23.12.2024.