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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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selbst jedes Fischweih auf meinem Zuge auspfeifen. Die Völker sind jetzt zu
aufgeklärt, man kann nichts Großes mehr unternehmen!" -- Nun sind diese
Aeußerungen freilich nicht so ernst zu nehmen, als der Erzähler sie auffaßt;
Napoleon hat offenbar einen Scherz machen wollen, aber im Scherz verräth
sich zuweilen mehr von dem, was in den Tiefen der Seele vorgeht, als man
selber ahnt. Napoleon glaubte in der That an seinen Dämon, wie Cäsar,
wie Wallenstein; die Zeiten ändern darin nichts, sie geben nur dem Aber¬
glauben eine andere Farbe. Die vorstehende Anekdote wird durch ein spä¬
teres Gespräch mit dem Cardinal Fesch ergänzt, der sich seit seiner Standes¬
erhöhung als ein eifriger Verfechter der Kirche zeigte. Eines Tages stritt
Fesch zu Fvntaineblenu mit Bitterkeit, wie er dies hinlänglich gewohnt war;
der Kaiser ärgerte sich und sagte ihm, daß es ihm wohl anstände, diesen
gleißnerischen Ton anzustimmen, ihm dem Freigeist, Ungläubigen u. s. w.
"Das ist möglich, das ist möglich," erwiderte Fesch, "aber das hindert nicht,
daß Sie eine Ungerechtigkeit begehn; Sie sind ohne Vernunft, ohne Rechte, ohne
Ausflucht; Sie sind der ungerechteste Mann." Endlich nimmt ihn der Kaiser
an der Hand, öffnet sein Fenster und sührt ihn auf den Balcon. "Blicken
Sie nach oben," sagt er ihm, "sehen Sie etwas?" -- "Nein," erwidert Fesch,
"ich sehe nichts." --"Nun lernen Sie dann schweigen," entgegnet der Kaiser,
"ich sehe meinen Stern; er ist es, der mich leitet. Vergleichen Sie nicht mehr
Ihre schwachen und unvollkommenen Fähigkeiten mit meiner höhern Orga¬
nisation." -- Vielleicht ist auch hier eine Reminiszenz mit im Spiel, denn
Napoleon hatte die Geschichten seiner Vorgänger wohl im Gedächtniß, all?r
es ist auch innere Verwandtschaft. Ohne einen solchen Glauben an die Ge¬
stirne unternimmt man nicht so Ungeheures wie die vom Schicksal bezeich¬
neten Männer, deren abenteuerlichen Irrfahrten die Welt eine andere' Ge¬
stalt verdankt. Freilich rächt sich dann das Schicksal, indem es die Menschen
in trügliche Sicherheit einwiegt.

Als Marmont 1809 von seinem Aufenthalt in Illyrien zurückkam, voll
von der Größe des Kaiserreichs, das jetzt in seinem vollsten Glanz strahlte,
sprach er mit seinem Freunde, dem Marineminister Decres, demselben, dem
wir jene erste Anekdote verdanken. "Er fand mich sehr befriedigt, sehr
feurig in meinen Berichten. Er ließ mich sprechen, hörte zu und sagte
dann: Nun, Marmont, Sie sind sehr zufrieden, weil Sie Marschall ge¬
worden sind. Sie sehen alles in schönem Lichte. Wollen Sie, daß ich
Ihnen die Wahrheit sage, daß ich Ihnen die Zukunft enthülle? Der Kai¬
ser ist toll, vollständig toll und wird uns alle, so viel wir sind, Hals
über Kops stürzen und dies alles wird mit einer entsetzlichen Katastrophe
enden. -- Ich trat zwei Schritte zurück und sagte: Sind Sie selbst toll, so
zu sprechen oder wollen Sie mich auf die Probe stellen? -- Weder das eine


selbst jedes Fischweih auf meinem Zuge auspfeifen. Die Völker sind jetzt zu
aufgeklärt, man kann nichts Großes mehr unternehmen!" — Nun sind diese
Aeußerungen freilich nicht so ernst zu nehmen, als der Erzähler sie auffaßt;
Napoleon hat offenbar einen Scherz machen wollen, aber im Scherz verräth
sich zuweilen mehr von dem, was in den Tiefen der Seele vorgeht, als man
selber ahnt. Napoleon glaubte in der That an seinen Dämon, wie Cäsar,
wie Wallenstein; die Zeiten ändern darin nichts, sie geben nur dem Aber¬
glauben eine andere Farbe. Die vorstehende Anekdote wird durch ein spä¬
teres Gespräch mit dem Cardinal Fesch ergänzt, der sich seit seiner Standes¬
erhöhung als ein eifriger Verfechter der Kirche zeigte. Eines Tages stritt
Fesch zu Fvntaineblenu mit Bitterkeit, wie er dies hinlänglich gewohnt war;
der Kaiser ärgerte sich und sagte ihm, daß es ihm wohl anstände, diesen
gleißnerischen Ton anzustimmen, ihm dem Freigeist, Ungläubigen u. s. w.
„Das ist möglich, das ist möglich," erwiderte Fesch, „aber das hindert nicht,
daß Sie eine Ungerechtigkeit begehn; Sie sind ohne Vernunft, ohne Rechte, ohne
Ausflucht; Sie sind der ungerechteste Mann." Endlich nimmt ihn der Kaiser
an der Hand, öffnet sein Fenster und sührt ihn auf den Balcon. „Blicken
Sie nach oben," sagt er ihm, „sehen Sie etwas?" — „Nein," erwidert Fesch,
„ich sehe nichts." —„Nun lernen Sie dann schweigen," entgegnet der Kaiser,
„ich sehe meinen Stern; er ist es, der mich leitet. Vergleichen Sie nicht mehr
Ihre schwachen und unvollkommenen Fähigkeiten mit meiner höhern Orga¬
nisation." — Vielleicht ist auch hier eine Reminiszenz mit im Spiel, denn
Napoleon hatte die Geschichten seiner Vorgänger wohl im Gedächtniß, all?r
es ist auch innere Verwandtschaft. Ohne einen solchen Glauben an die Ge¬
stirne unternimmt man nicht so Ungeheures wie die vom Schicksal bezeich¬
neten Männer, deren abenteuerlichen Irrfahrten die Welt eine andere' Ge¬
stalt verdankt. Freilich rächt sich dann das Schicksal, indem es die Menschen
in trügliche Sicherheit einwiegt.

Als Marmont 1809 von seinem Aufenthalt in Illyrien zurückkam, voll
von der Größe des Kaiserreichs, das jetzt in seinem vollsten Glanz strahlte,
sprach er mit seinem Freunde, dem Marineminister Decres, demselben, dem
wir jene erste Anekdote verdanken. „Er fand mich sehr befriedigt, sehr
feurig in meinen Berichten. Er ließ mich sprechen, hörte zu und sagte
dann: Nun, Marmont, Sie sind sehr zufrieden, weil Sie Marschall ge¬
worden sind. Sie sehen alles in schönem Lichte. Wollen Sie, daß ich
Ihnen die Wahrheit sage, daß ich Ihnen die Zukunft enthülle? Der Kai¬
ser ist toll, vollständig toll und wird uns alle, so viel wir sind, Hals
über Kops stürzen und dies alles wird mit einer entsetzlichen Katastrophe
enden. — Ich trat zwei Schritte zurück und sagte: Sind Sie selbst toll, so
zu sprechen oder wollen Sie mich auf die Probe stellen? — Weder das eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/333>, abgerufen am 28.07.2024.