Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Gleichen. Die andern plünderten als rohe Barbaren, und indem sie die
innere Gemeinheit ihrer Natur offen an den Tag legten, erregten sie bei denen,
die sie ausplünderten, nicht blos Haß. sondern auch Verachtung, die denn doch
bei aller Furcht mitunter zum Vorschein kam, Siepers dagegen war stets der
feine, gebildete, selbst vornehme Manu, der sich nur herabließ, wenn er
Tribut nahm. Für seine Kollegen war brutale Gewalt das erste und letzte
Wort, sie wußten nur zu schelten, zu drohen und zu fluchen. Siepers war
nicht blos der liebenswürdige Gesellschafter, der alle Damen bezauberte und
der die traurige Verpflichtung, täglich die glänzendste Gesellschaft um sich zu
sehn -- er klagt fast in jedem seiner Briefe darüber -- mit vollendeter Mei¬
sterschaft ausübte, sein Mund strömte über von Tugend und Menschenliebe, er
dachte nur daran die Welt zu beglücken, er unterhielt mit seinen Töchtern die
zärtlichste Korrespondenz und las diese Korrespondenz dem König von Polen
und den andern Großen vor. in demselben Augenblick, wo er ihnen seinen
Fuß mit dem ganzen Gewicht des russischen Reichs aus den Nacken setzte.
Wie gerührt waren sie über diesen edlen Familienvater! wie fest überzeugt,
daß aus einem so empfindsamen Gemüth nur edle Handlungen hervorgehn
könnten! das Jnteressanteste ist, daß er diesen Ton auch in den Briefen an
seine Töchter beibehält. Freilich schildert er zuweilen mit nicht geringem Selbst¬
gefühl, wie alles sich vor ihm beugt, alles vor ihm zittert, wie er laut seiner
Instruction den König von Polen schlimmer behandelt als einen ehrlosen
Knecht, er vergleicht sich gern mit dem römischen Abgeordneten, der um den
König von Syrien einen Kreis zog und ihn nöthigte sich zu unterwerfen, be¬
vor er aus diesem Kreise trat, aber er versäumt nie hinzuzusetzen, das alles
geschehe nur zum Besten der Menschheit, und sein Gemüth, das in diesem
Glanz und dieser Herrlichkeit sich einsam fühle, sehne sich nach den stillen
Freuden seines Landguts. Kurz wenn es erlaubt ist, diese feine aristokratische
Physiognomie mit einem plumpen Holzschnitt zu vergleichen, so haben wir
den vollendeten Pecksniff vor uns. Dieser Mann war seinen Standesgenossen
und seiner Gebieterin keineswegs bequem, denn es kommt dnn Despotismus
nicht blos auf gefügige und brauchbare Werkzeuge an, sondern auf solche,
die man gelegentlich mit Fußtritten behandeln, denen man die gründlichste
Verachtung offen an den Tag legen kann. So lange man aber überhaupt
mit Siepers verkehrte, mußte man auf seinen Ton eingehn und in der ganzen
Korrespondenz finden wir nur den einen Brief des braven Jgelström, der einen
Augenblick aus der Rolle fällt. Siepers behandelt einen der polnischen Hal-
lunken, welche den Ruin ihres Landes benutzen, um sich zu mästen, etwas
unhöflich, weil er zu unverschämt stiehlt. Was in aller Welt, fragt Jgel¬
ström, können Sie nur gegen diefen Mann haben? da er uns doch immer
den Löwenantheil läßt! -- das sind nicht genau die Worte, aber das ist der


Gleichen. Die andern plünderten als rohe Barbaren, und indem sie die
innere Gemeinheit ihrer Natur offen an den Tag legten, erregten sie bei denen,
die sie ausplünderten, nicht blos Haß. sondern auch Verachtung, die denn doch
bei aller Furcht mitunter zum Vorschein kam, Siepers dagegen war stets der
feine, gebildete, selbst vornehme Manu, der sich nur herabließ, wenn er
Tribut nahm. Für seine Kollegen war brutale Gewalt das erste und letzte
Wort, sie wußten nur zu schelten, zu drohen und zu fluchen. Siepers war
nicht blos der liebenswürdige Gesellschafter, der alle Damen bezauberte und
der die traurige Verpflichtung, täglich die glänzendste Gesellschaft um sich zu
sehn — er klagt fast in jedem seiner Briefe darüber — mit vollendeter Mei¬
sterschaft ausübte, sein Mund strömte über von Tugend und Menschenliebe, er
dachte nur daran die Welt zu beglücken, er unterhielt mit seinen Töchtern die
zärtlichste Korrespondenz und las diese Korrespondenz dem König von Polen
und den andern Großen vor. in demselben Augenblick, wo er ihnen seinen
Fuß mit dem ganzen Gewicht des russischen Reichs aus den Nacken setzte.
Wie gerührt waren sie über diesen edlen Familienvater! wie fest überzeugt,
daß aus einem so empfindsamen Gemüth nur edle Handlungen hervorgehn
könnten! das Jnteressanteste ist, daß er diesen Ton auch in den Briefen an
seine Töchter beibehält. Freilich schildert er zuweilen mit nicht geringem Selbst¬
gefühl, wie alles sich vor ihm beugt, alles vor ihm zittert, wie er laut seiner
Instruction den König von Polen schlimmer behandelt als einen ehrlosen
Knecht, er vergleicht sich gern mit dem römischen Abgeordneten, der um den
König von Syrien einen Kreis zog und ihn nöthigte sich zu unterwerfen, be¬
vor er aus diesem Kreise trat, aber er versäumt nie hinzuzusetzen, das alles
geschehe nur zum Besten der Menschheit, und sein Gemüth, das in diesem
Glanz und dieser Herrlichkeit sich einsam fühle, sehne sich nach den stillen
Freuden seines Landguts. Kurz wenn es erlaubt ist, diese feine aristokratische
Physiognomie mit einem plumpen Holzschnitt zu vergleichen, so haben wir
den vollendeten Pecksniff vor uns. Dieser Mann war seinen Standesgenossen
und seiner Gebieterin keineswegs bequem, denn es kommt dnn Despotismus
nicht blos auf gefügige und brauchbare Werkzeuge an, sondern auf solche,
die man gelegentlich mit Fußtritten behandeln, denen man die gründlichste
Verachtung offen an den Tag legen kann. So lange man aber überhaupt
mit Siepers verkehrte, mußte man auf seinen Ton eingehn und in der ganzen
Korrespondenz finden wir nur den einen Brief des braven Jgelström, der einen
Augenblick aus der Rolle fällt. Siepers behandelt einen der polnischen Hal-
lunken, welche den Ruin ihres Landes benutzen, um sich zu mästen, etwas
unhöflich, weil er zu unverschämt stiehlt. Was in aller Welt, fragt Jgel¬
ström, können Sie nur gegen diefen Mann haben? da er uns doch immer
den Löwenantheil läßt! — das sind nicht genau die Worte, aber das ist der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0308" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105585"/>
          <p xml:id="ID_807" prev="#ID_806" next="#ID_808"> Gleichen. Die andern plünderten als rohe Barbaren, und indem sie die<lb/>
innere Gemeinheit ihrer Natur offen an den Tag legten, erregten sie bei denen,<lb/>
die sie ausplünderten, nicht blos Haß. sondern auch Verachtung, die denn doch<lb/>
bei aller Furcht mitunter zum Vorschein kam, Siepers dagegen war stets der<lb/>
feine, gebildete, selbst vornehme Manu, der sich nur herabließ, wenn er<lb/>
Tribut nahm. Für seine Kollegen war brutale Gewalt das erste und letzte<lb/>
Wort, sie wußten nur zu schelten, zu drohen und zu fluchen. Siepers war<lb/>
nicht blos der liebenswürdige Gesellschafter, der alle Damen bezauberte und<lb/>
der die traurige Verpflichtung, täglich die glänzendste Gesellschaft um sich zu<lb/>
sehn &#x2014; er klagt fast in jedem seiner Briefe darüber &#x2014; mit vollendeter Mei¬<lb/>
sterschaft ausübte, sein Mund strömte über von Tugend und Menschenliebe, er<lb/>
dachte nur daran die Welt zu beglücken, er unterhielt mit seinen Töchtern die<lb/>
zärtlichste Korrespondenz und las diese Korrespondenz dem König von Polen<lb/>
und den andern Großen vor. in demselben Augenblick, wo er ihnen seinen<lb/>
Fuß mit dem ganzen Gewicht des russischen Reichs aus den Nacken setzte.<lb/>
Wie gerührt waren sie über diesen edlen Familienvater! wie fest überzeugt,<lb/>
daß aus einem so empfindsamen Gemüth nur edle Handlungen hervorgehn<lb/>
könnten! das Jnteressanteste ist, daß er diesen Ton auch in den Briefen an<lb/>
seine Töchter beibehält. Freilich schildert er zuweilen mit nicht geringem Selbst¬<lb/>
gefühl, wie alles sich vor ihm beugt, alles vor ihm zittert, wie er laut seiner<lb/>
Instruction den König von Polen schlimmer behandelt als einen ehrlosen<lb/>
Knecht, er vergleicht sich gern mit dem römischen Abgeordneten, der um den<lb/>
König von Syrien einen Kreis zog und ihn nöthigte sich zu unterwerfen, be¬<lb/>
vor er aus diesem Kreise trat, aber er versäumt nie hinzuzusetzen, das alles<lb/>
geschehe nur zum Besten der Menschheit, und sein Gemüth, das in diesem<lb/>
Glanz und dieser Herrlichkeit sich einsam fühle, sehne sich nach den stillen<lb/>
Freuden seines Landguts. Kurz wenn es erlaubt ist, diese feine aristokratische<lb/>
Physiognomie mit einem plumpen Holzschnitt zu vergleichen, so haben wir<lb/>
den vollendeten Pecksniff vor uns. Dieser Mann war seinen Standesgenossen<lb/>
und seiner Gebieterin keineswegs bequem, denn es kommt dnn Despotismus<lb/>
nicht blos auf gefügige und brauchbare Werkzeuge an, sondern auf solche,<lb/>
die man gelegentlich mit Fußtritten behandeln, denen man die gründlichste<lb/>
Verachtung offen an den Tag legen kann. So lange man aber überhaupt<lb/>
mit Siepers verkehrte, mußte man auf seinen Ton eingehn und in der ganzen<lb/>
Korrespondenz finden wir nur den einen Brief des braven Jgelström, der einen<lb/>
Augenblick aus der Rolle fällt. Siepers behandelt einen der polnischen Hal-<lb/>
lunken, welche den Ruin ihres Landes benutzen, um sich zu mästen, etwas<lb/>
unhöflich, weil er zu unverschämt stiehlt. Was in aller Welt, fragt Jgel¬<lb/>
ström, können Sie nur gegen diefen Mann haben? da er uns doch immer<lb/>
den Löwenantheil läßt! &#x2014; das sind nicht genau die Worte, aber das ist der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0308] Gleichen. Die andern plünderten als rohe Barbaren, und indem sie die innere Gemeinheit ihrer Natur offen an den Tag legten, erregten sie bei denen, die sie ausplünderten, nicht blos Haß. sondern auch Verachtung, die denn doch bei aller Furcht mitunter zum Vorschein kam, Siepers dagegen war stets der feine, gebildete, selbst vornehme Manu, der sich nur herabließ, wenn er Tribut nahm. Für seine Kollegen war brutale Gewalt das erste und letzte Wort, sie wußten nur zu schelten, zu drohen und zu fluchen. Siepers war nicht blos der liebenswürdige Gesellschafter, der alle Damen bezauberte und der die traurige Verpflichtung, täglich die glänzendste Gesellschaft um sich zu sehn — er klagt fast in jedem seiner Briefe darüber — mit vollendeter Mei¬ sterschaft ausübte, sein Mund strömte über von Tugend und Menschenliebe, er dachte nur daran die Welt zu beglücken, er unterhielt mit seinen Töchtern die zärtlichste Korrespondenz und las diese Korrespondenz dem König von Polen und den andern Großen vor. in demselben Augenblick, wo er ihnen seinen Fuß mit dem ganzen Gewicht des russischen Reichs aus den Nacken setzte. Wie gerührt waren sie über diesen edlen Familienvater! wie fest überzeugt, daß aus einem so empfindsamen Gemüth nur edle Handlungen hervorgehn könnten! das Jnteressanteste ist, daß er diesen Ton auch in den Briefen an seine Töchter beibehält. Freilich schildert er zuweilen mit nicht geringem Selbst¬ gefühl, wie alles sich vor ihm beugt, alles vor ihm zittert, wie er laut seiner Instruction den König von Polen schlimmer behandelt als einen ehrlosen Knecht, er vergleicht sich gern mit dem römischen Abgeordneten, der um den König von Syrien einen Kreis zog und ihn nöthigte sich zu unterwerfen, be¬ vor er aus diesem Kreise trat, aber er versäumt nie hinzuzusetzen, das alles geschehe nur zum Besten der Menschheit, und sein Gemüth, das in diesem Glanz und dieser Herrlichkeit sich einsam fühle, sehne sich nach den stillen Freuden seines Landguts. Kurz wenn es erlaubt ist, diese feine aristokratische Physiognomie mit einem plumpen Holzschnitt zu vergleichen, so haben wir den vollendeten Pecksniff vor uns. Dieser Mann war seinen Standesgenossen und seiner Gebieterin keineswegs bequem, denn es kommt dnn Despotismus nicht blos auf gefügige und brauchbare Werkzeuge an, sondern auf solche, die man gelegentlich mit Fußtritten behandeln, denen man die gründlichste Verachtung offen an den Tag legen kann. So lange man aber überhaupt mit Siepers verkehrte, mußte man auf seinen Ton eingehn und in der ganzen Korrespondenz finden wir nur den einen Brief des braven Jgelström, der einen Augenblick aus der Rolle fällt. Siepers behandelt einen der polnischen Hal- lunken, welche den Ruin ihres Landes benutzen, um sich zu mästen, etwas unhöflich, weil er zu unverschämt stiehlt. Was in aller Welt, fragt Jgel¬ ström, können Sie nur gegen diefen Mann haben? da er uns doch immer den Löwenantheil läßt! — das sind nicht genau die Worte, aber das ist der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/308
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/308>, abgerufen am 22.12.2024.