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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Deutsche Fürsten auf dem Reichstage.
1547.

Die Schlacht bei Mühlberg war dem Kaiser gewonnen, der schmalkaldischc
Bund ruhmlos zerfallen. Die protestantischen Fürsten und Städte beeilten
sich, ihren Frieden mit dem Herrn von halb Europa zu machen, dem sie in
unheilvoller Stunde, die Herrschaft über ihre Häupter entgegengetragen hatten.
Karl V. stand auf der Höhe seiner Macht. Von der Saale zog er, den ge¬
fangenen Kurfürsten von Sachsen und den verhafteten Landgrafen von Hessen
mit sich führend, im Triumphzuge, geleitet von seinem Kriegsheer, spanischen
und niederländischen Söldnern und deutschen Landsknechten, nach Augsburg.
Dort strömte zum Reichstag fast alles zusammen, was Deutschland an Gewal¬
tigen besaß, um Verzeihung oder Belohnung zu erwerben, dem mächtigsten Ge¬
bieter, den Deutschland seit Jahrhunderten gefühllosen Hof zu machen, die
eigne und des Landes Zukunft zu entscheiden, Abenteuer und Vergnügen zu
finden. In diesem Gewühl von Souveränen und Dynasten. Höflingen, Gau¬
nern, Kriegsleuten und Bürgerdcputationen war auch ein Bürgersohn'aus Greifs-
wald thätig, Bartholomäus Sastrow, Agent der Herzöge von Pommern, welche,
durch ihre protestantische Verbindung stark compromittirt, vorzogen, nicht selbst
vor den Augen des Kaisers zu erscheinen. Bartholomäus Sastrow hat in
seinem Lebenslauf (herausgegeben von Mohnike, Greifswald. 1323 ff.
3 Theile) einige lebhafte Schilderungen hinterlassen von dem, was er nach
der Schlacht bei Mühlberg, auf dem Siegeszuge des Kaisers nach Augsburg
und auf dem Reichstage sah. Der historische Werth seiner Erzählung ist nicht
unbedeutend. Zwar sah und hörte er in seiner untergeordneten Stellung von
den großen politischen Actionen nicht viel mehr, als was durch fliegende Blät¬
ter und voluminöse Druckwerke dem gesammten Deutschland bekannt wurde,
und seine Kenntniß der Hauptspicler in der großen deutschen Tragödie beruht
fast nur auf dem, was damals in Augsburg Stadtgespräch war/ aber für
die Geschichte der Sitten, der gesellschaftlichen Zustände und der öffentlichen Mei¬
nung ist doch viel aus ihm zu lernen. Er sah gut, urtheilte nüchtern, und


Grenzlwten I. 1853. 3L
Bilder ans der deutschen Vergangenheit.
Deutsche Fürsten auf dem Reichstage.
1547.

Die Schlacht bei Mühlberg war dem Kaiser gewonnen, der schmalkaldischc
Bund ruhmlos zerfallen. Die protestantischen Fürsten und Städte beeilten
sich, ihren Frieden mit dem Herrn von halb Europa zu machen, dem sie in
unheilvoller Stunde, die Herrschaft über ihre Häupter entgegengetragen hatten.
Karl V. stand auf der Höhe seiner Macht. Von der Saale zog er, den ge¬
fangenen Kurfürsten von Sachsen und den verhafteten Landgrafen von Hessen
mit sich führend, im Triumphzuge, geleitet von seinem Kriegsheer, spanischen
und niederländischen Söldnern und deutschen Landsknechten, nach Augsburg.
Dort strömte zum Reichstag fast alles zusammen, was Deutschland an Gewal¬
tigen besaß, um Verzeihung oder Belohnung zu erwerben, dem mächtigsten Ge¬
bieter, den Deutschland seit Jahrhunderten gefühllosen Hof zu machen, die
eigne und des Landes Zukunft zu entscheiden, Abenteuer und Vergnügen zu
finden. In diesem Gewühl von Souveränen und Dynasten. Höflingen, Gau¬
nern, Kriegsleuten und Bürgerdcputationen war auch ein Bürgersohn'aus Greifs-
wald thätig, Bartholomäus Sastrow, Agent der Herzöge von Pommern, welche,
durch ihre protestantische Verbindung stark compromittirt, vorzogen, nicht selbst
vor den Augen des Kaisers zu erscheinen. Bartholomäus Sastrow hat in
seinem Lebenslauf (herausgegeben von Mohnike, Greifswald. 1323 ff.
3 Theile) einige lebhafte Schilderungen hinterlassen von dem, was er nach
der Schlacht bei Mühlberg, auf dem Siegeszuge des Kaisers nach Augsburg
und auf dem Reichstage sah. Der historische Werth seiner Erzählung ist nicht
unbedeutend. Zwar sah und hörte er in seiner untergeordneten Stellung von
den großen politischen Actionen nicht viel mehr, als was durch fliegende Blät¬
ter und voluminöse Druckwerke dem gesammten Deutschland bekannt wurde,
und seine Kenntniß der Hauptspicler in der großen deutschen Tragödie beruht
fast nur auf dem, was damals in Augsburg Stadtgespräch war/ aber für
die Geschichte der Sitten, der gesellschaftlichen Zustände und der öffentlichen Mei¬
nung ist doch viel aus ihm zu lernen. Er sah gut, urtheilte nüchtern, und


Grenzlwten I. 1853. 3L
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[0289] Bilder ans der deutschen Vergangenheit. Deutsche Fürsten auf dem Reichstage. 1547. Die Schlacht bei Mühlberg war dem Kaiser gewonnen, der schmalkaldischc Bund ruhmlos zerfallen. Die protestantischen Fürsten und Städte beeilten sich, ihren Frieden mit dem Herrn von halb Europa zu machen, dem sie in unheilvoller Stunde, die Herrschaft über ihre Häupter entgegengetragen hatten. Karl V. stand auf der Höhe seiner Macht. Von der Saale zog er, den ge¬ fangenen Kurfürsten von Sachsen und den verhafteten Landgrafen von Hessen mit sich führend, im Triumphzuge, geleitet von seinem Kriegsheer, spanischen und niederländischen Söldnern und deutschen Landsknechten, nach Augsburg. Dort strömte zum Reichstag fast alles zusammen, was Deutschland an Gewal¬ tigen besaß, um Verzeihung oder Belohnung zu erwerben, dem mächtigsten Ge¬ bieter, den Deutschland seit Jahrhunderten gefühllosen Hof zu machen, die eigne und des Landes Zukunft zu entscheiden, Abenteuer und Vergnügen zu finden. In diesem Gewühl von Souveränen und Dynasten. Höflingen, Gau¬ nern, Kriegsleuten und Bürgerdcputationen war auch ein Bürgersohn'aus Greifs- wald thätig, Bartholomäus Sastrow, Agent der Herzöge von Pommern, welche, durch ihre protestantische Verbindung stark compromittirt, vorzogen, nicht selbst vor den Augen des Kaisers zu erscheinen. Bartholomäus Sastrow hat in seinem Lebenslauf (herausgegeben von Mohnike, Greifswald. 1323 ff. 3 Theile) einige lebhafte Schilderungen hinterlassen von dem, was er nach der Schlacht bei Mühlberg, auf dem Siegeszuge des Kaisers nach Augsburg und auf dem Reichstage sah. Der historische Werth seiner Erzählung ist nicht unbedeutend. Zwar sah und hörte er in seiner untergeordneten Stellung von den großen politischen Actionen nicht viel mehr, als was durch fliegende Blät¬ ter und voluminöse Druckwerke dem gesammten Deutschland bekannt wurde, und seine Kenntniß der Hauptspicler in der großen deutschen Tragödie beruht fast nur auf dem, was damals in Augsburg Stadtgespräch war/ aber für die Geschichte der Sitten, der gesellschaftlichen Zustände und der öffentlichen Mei¬ nung ist doch viel aus ihm zu lernen. Er sah gut, urtheilte nüchtern, und Grenzlwten I. 1853. 3L

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/289>, abgerufen am 22.12.2024.