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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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gewendeten Fronte verhältnißmäßig nur äußerst wenig geschehen ist. Friedrich
der Große sah Schlesien militärisch nur als eine Oestreich zugewendete Grenz¬
provinz an und demgemäß hatte er im Besondern seine fortisiccitorischen
Arrangements getroffen, die alle darauf hinzielten, das Riesengebirge und die
Sudeten zur Basis zu nehmen und mehr offensiver wie defensiver Natur
waren. Seine Festungen waren Schweidnitz, Glatz, Silberberg, Neisse und
Kösel; Glogau fand er um der Oder vor (wie die genannten Plätze) und
verstärkte es, aber für Breslau, welches nur halb als Festung gelten konnte,
und nachher geschleift wurde, that er nichts. Heute ist die Hauptbedeutung
Schlesiens in militärischer Beziehung, daß es preußische Grenzprovinz wider
Rußland und Oestreich zugleich ist. Ein Landestheil, der dermaßen strategisch
in die Klammer gefaßt werden kann, bedarf augenscheinlich eines festen und
starken Kerns, damit der Widerstand einen Haltpunkt besitze und nicht sofort
das Feld räumen müsse. In Breslau wäre dieser Punkt gesunden; es ist
anerkannt, und zwar in den entscheidenden Kreisen, daß diese Capitale als
Festung unentbehrlich ist, aber bis heute mangelten noch die Mittel,
um den längst gefaßten und sicher in Hinsicht auf den Kostenpunkt bereits
genau überrechneten Plan zur Ausführung zu bringen. Wir müssen ab¬
warten, ob die nächste bevorstehende Vermehrung der Staatseinnahmen
für den großen Zweck einen Ausweg bietet. So lange Breslau
in das hier besprochene Landcsbefestigungssystem als mächtige Mitte des
rechten Flügels der Ostfronte nicht einbegriffen ist, wird die preußische Dcfensiv-
etablirung nicht als vollendet angesehen werden dürfen. Wir halten heute
einen gemeinsamen Krieg Rußlands und Oestreichs wider uns, wie die Dinge
glücklicherweise liegen, kaum für möglich; aber erinnern müssen wir hier
dennoch daran, wie dieser Krieg im Herbst 1850 nahe vor die Thür gerückt
war, und ihm von Preußen nur durch eine ziemlich weit gehende Nachgiebig¬
keit ausgewichen werden konnte.

Mit dem westlichen Besestigungssystem in seinem jetzigen Zustande ver¬
glichen erweist sich das östliche insofern von ihm verschieden, als es ein noch
unvollendetes ist. Danzig und Posen müssen unter den fertigen Festungen
heute als die wahren Strebepfeiler der Vertheidigung angesehen werden/
Wenn Königsberg vollendet sein wird, mag es von bedeutendem Gewicht
werden, daß alsdann dieser Platz, in Verbindung mit Pillau. mit Danzig
und dessen Dependenzien (Weichsclmünde und Neufähr, 'so wie das Fort am
Durchbruch) ein System im Kleinen ausmachen wird, welches durch die See.
das frische Haff und die Nehrung dreifach untereinander verbunden, nur
durch Einnahme eines der beiden Hauptpunkte gesprengt werden dürfte. Lager
die Bastionen von Lötzen bei Wehlau. so würde dadurch das kleine Netz eine


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gewendeten Fronte verhältnißmäßig nur äußerst wenig geschehen ist. Friedrich
der Große sah Schlesien militärisch nur als eine Oestreich zugewendete Grenz¬
provinz an und demgemäß hatte er im Besondern seine fortisiccitorischen
Arrangements getroffen, die alle darauf hinzielten, das Riesengebirge und die
Sudeten zur Basis zu nehmen und mehr offensiver wie defensiver Natur
waren. Seine Festungen waren Schweidnitz, Glatz, Silberberg, Neisse und
Kösel; Glogau fand er um der Oder vor (wie die genannten Plätze) und
verstärkte es, aber für Breslau, welches nur halb als Festung gelten konnte,
und nachher geschleift wurde, that er nichts. Heute ist die Hauptbedeutung
Schlesiens in militärischer Beziehung, daß es preußische Grenzprovinz wider
Rußland und Oestreich zugleich ist. Ein Landestheil, der dermaßen strategisch
in die Klammer gefaßt werden kann, bedarf augenscheinlich eines festen und
starken Kerns, damit der Widerstand einen Haltpunkt besitze und nicht sofort
das Feld räumen müsse. In Breslau wäre dieser Punkt gesunden; es ist
anerkannt, und zwar in den entscheidenden Kreisen, daß diese Capitale als
Festung unentbehrlich ist, aber bis heute mangelten noch die Mittel,
um den längst gefaßten und sicher in Hinsicht auf den Kostenpunkt bereits
genau überrechneten Plan zur Ausführung zu bringen. Wir müssen ab¬
warten, ob die nächste bevorstehende Vermehrung der Staatseinnahmen
für den großen Zweck einen Ausweg bietet. So lange Breslau
in das hier besprochene Landcsbefestigungssystem als mächtige Mitte des
rechten Flügels der Ostfronte nicht einbegriffen ist, wird die preußische Dcfensiv-
etablirung nicht als vollendet angesehen werden dürfen. Wir halten heute
einen gemeinsamen Krieg Rußlands und Oestreichs wider uns, wie die Dinge
glücklicherweise liegen, kaum für möglich; aber erinnern müssen wir hier
dennoch daran, wie dieser Krieg im Herbst 1850 nahe vor die Thür gerückt
war, und ihm von Preußen nur durch eine ziemlich weit gehende Nachgiebig¬
keit ausgewichen werden konnte.

Mit dem westlichen Besestigungssystem in seinem jetzigen Zustande ver¬
glichen erweist sich das östliche insofern von ihm verschieden, als es ein noch
unvollendetes ist. Danzig und Posen müssen unter den fertigen Festungen
heute als die wahren Strebepfeiler der Vertheidigung angesehen werden/
Wenn Königsberg vollendet sein wird, mag es von bedeutendem Gewicht
werden, daß alsdann dieser Platz, in Verbindung mit Pillau. mit Danzig
und dessen Dependenzien (Weichsclmünde und Neufähr, 'so wie das Fort am
Durchbruch) ein System im Kleinen ausmachen wird, welches durch die See.
das frische Haff und die Nehrung dreifach untereinander verbunden, nur
durch Einnahme eines der beiden Hauptpunkte gesprengt werden dürfte. Lager
die Bastionen von Lötzen bei Wehlau. so würde dadurch das kleine Netz eine


Grenzboten I. 13ö8. 3'4
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[0273] gewendeten Fronte verhältnißmäßig nur äußerst wenig geschehen ist. Friedrich der Große sah Schlesien militärisch nur als eine Oestreich zugewendete Grenz¬ provinz an und demgemäß hatte er im Besondern seine fortisiccitorischen Arrangements getroffen, die alle darauf hinzielten, das Riesengebirge und die Sudeten zur Basis zu nehmen und mehr offensiver wie defensiver Natur waren. Seine Festungen waren Schweidnitz, Glatz, Silberberg, Neisse und Kösel; Glogau fand er um der Oder vor (wie die genannten Plätze) und verstärkte es, aber für Breslau, welches nur halb als Festung gelten konnte, und nachher geschleift wurde, that er nichts. Heute ist die Hauptbedeutung Schlesiens in militärischer Beziehung, daß es preußische Grenzprovinz wider Rußland und Oestreich zugleich ist. Ein Landestheil, der dermaßen strategisch in die Klammer gefaßt werden kann, bedarf augenscheinlich eines festen und starken Kerns, damit der Widerstand einen Haltpunkt besitze und nicht sofort das Feld räumen müsse. In Breslau wäre dieser Punkt gesunden; es ist anerkannt, und zwar in den entscheidenden Kreisen, daß diese Capitale als Festung unentbehrlich ist, aber bis heute mangelten noch die Mittel, um den längst gefaßten und sicher in Hinsicht auf den Kostenpunkt bereits genau überrechneten Plan zur Ausführung zu bringen. Wir müssen ab¬ warten, ob die nächste bevorstehende Vermehrung der Staatseinnahmen für den großen Zweck einen Ausweg bietet. So lange Breslau in das hier besprochene Landcsbefestigungssystem als mächtige Mitte des rechten Flügels der Ostfronte nicht einbegriffen ist, wird die preußische Dcfensiv- etablirung nicht als vollendet angesehen werden dürfen. Wir halten heute einen gemeinsamen Krieg Rußlands und Oestreichs wider uns, wie die Dinge glücklicherweise liegen, kaum für möglich; aber erinnern müssen wir hier dennoch daran, wie dieser Krieg im Herbst 1850 nahe vor die Thür gerückt war, und ihm von Preußen nur durch eine ziemlich weit gehende Nachgiebig¬ keit ausgewichen werden konnte. Mit dem westlichen Besestigungssystem in seinem jetzigen Zustande ver¬ glichen erweist sich das östliche insofern von ihm verschieden, als es ein noch unvollendetes ist. Danzig und Posen müssen unter den fertigen Festungen heute als die wahren Strebepfeiler der Vertheidigung angesehen werden/ Wenn Königsberg vollendet sein wird, mag es von bedeutendem Gewicht werden, daß alsdann dieser Platz, in Verbindung mit Pillau. mit Danzig und dessen Dependenzien (Weichsclmünde und Neufähr, 'so wie das Fort am Durchbruch) ein System im Kleinen ausmachen wird, welches durch die See. das frische Haff und die Nehrung dreifach untereinander verbunden, nur durch Einnahme eines der beiden Hauptpunkte gesprengt werden dürfte. Lager die Bastionen von Lötzen bei Wehlau. so würde dadurch das kleine Netz eine Grenzboten I. 13ö8. 3'4

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/273>, abgerufen am 28.07.2024.