Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

halten, so wie daneben auf die betreffenden Gegenliste, unter welchen das
berühmte Mithrid aliena aus 54 Ingredienzien zusammengesetzt werden
mußte.. Und ebenso übel bestellt blieb es mit den quacksalbernden Droguisten
auch später unter den Byzantinern. Nicht einmal der kaiserliche Hof in Kon¬
stantinopel besaß einen zuverlässigen Apotheker, sondern ein Garderobier be¬
sorgte die seiner Aufsicht unterstellte Sammlung von- Salben, Pflastern,
Giften und Gegengiften für Menschen und Vieh. Bei solchen Uebelständen
finden wir die Klagen römischer Schriftsteller über die Ungcstraftheit und
UnVerantwortlichkeit der Aerzte völlig begründet, wenn sie auch bei der Un¬
sicherheit der schwierigen Wissenschaft auf alle Zeiten Anwendung finden.
"Jedem, der sich Doctor nennt," sagt Plinius, "schenkt man sogleich Glauben,
während doch mit keiner Lüge eine größere Gefahr verbunden ist. Wer unter
den Aerzten nur ein gutes Mundwerk besitzt, wird sogleich unser unumschränk¬
ter Herr über Leben und Tod. Das beachten wir aber nicht; so schmeichelnd
ist sür jeden Kranken die Süßigkeit der Hoffnung. Außerdem gibt es kein
Gesetz, das die Unwissenheit unschädlich mache und kein Beispiel der Todesstrafe.
Sie lernen durch unsere Gefahren und werden an Erfahrung reicher durch
Todesfälle, und nur dem Arzte bleibt es völlig ungeahndet, einen Menschen
getödtet zu haben." Auch Martial verschont den Stand nicht mit seinem
Spotte:


Neulich noch war er ein Arzt, jetzt Leichenträger, Diaulos,
Was er als Träger betreibt, that er als Doctor schon längst.

Bist Gladiator geworden und sendest doch früher die Augen?
Als Mediciner bereits erlebst du dieselbige Kunst!


Ebenso braucht auch Juvenal, um den Begriff einer hohen Zahl zu
geben die Ausrede:


Lieber noch nenn' ich die Zahl von Hippias vielen Geliebten
Oder die Kranken, die stets zur Herbstzeit Thcmison würgte.

Sogar über die Sucht, die Krankheiten zu vergrößern, um höhern Nuhm
durch die Heilung zu ernten, klagt schon Seneca mit den Worten: "Viele
Aerzte können die Krankheiten, wenn sie dieselben ihres Ruhmes wegen ver¬
mehrt und gesteigert haben, gar nicht mehr verscheuchen oder bezwingen sie
endlich nur unter großen Leiden der Patienten.

Die große Masse der Armen blieb unter diesen Umständen natürlich von
ärztlicher Hilfe ausgeschlossen und nur der Hefe erbärmlicher Quacksalber über¬
lassen. Nur die Gladiatoren und Circussactioncn hatten ihre eignen Aerzte
und seit dem ersten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung auch die Legionen,
deren Aerzte doppelten Sold erhielten, Rüstung trugen und ihre Kranken schon
in Feldlazarethen behandelten. Desto erfreulicher war die Anstellung wirklicher


32*

halten, so wie daneben auf die betreffenden Gegenliste, unter welchen das
berühmte Mithrid aliena aus 54 Ingredienzien zusammengesetzt werden
mußte.. Und ebenso übel bestellt blieb es mit den quacksalbernden Droguisten
auch später unter den Byzantinern. Nicht einmal der kaiserliche Hof in Kon¬
stantinopel besaß einen zuverlässigen Apotheker, sondern ein Garderobier be¬
sorgte die seiner Aufsicht unterstellte Sammlung von- Salben, Pflastern,
Giften und Gegengiften für Menschen und Vieh. Bei solchen Uebelständen
finden wir die Klagen römischer Schriftsteller über die Ungcstraftheit und
UnVerantwortlichkeit der Aerzte völlig begründet, wenn sie auch bei der Un¬
sicherheit der schwierigen Wissenschaft auf alle Zeiten Anwendung finden.
„Jedem, der sich Doctor nennt," sagt Plinius, „schenkt man sogleich Glauben,
während doch mit keiner Lüge eine größere Gefahr verbunden ist. Wer unter
den Aerzten nur ein gutes Mundwerk besitzt, wird sogleich unser unumschränk¬
ter Herr über Leben und Tod. Das beachten wir aber nicht; so schmeichelnd
ist sür jeden Kranken die Süßigkeit der Hoffnung. Außerdem gibt es kein
Gesetz, das die Unwissenheit unschädlich mache und kein Beispiel der Todesstrafe.
Sie lernen durch unsere Gefahren und werden an Erfahrung reicher durch
Todesfälle, und nur dem Arzte bleibt es völlig ungeahndet, einen Menschen
getödtet zu haben." Auch Martial verschont den Stand nicht mit seinem
Spotte:


Neulich noch war er ein Arzt, jetzt Leichenträger, Diaulos,
Was er als Träger betreibt, that er als Doctor schon längst.

Bist Gladiator geworden und sendest doch früher die Augen?
Als Mediciner bereits erlebst du dieselbige Kunst!


Ebenso braucht auch Juvenal, um den Begriff einer hohen Zahl zu
geben die Ausrede:


Lieber noch nenn' ich die Zahl von Hippias vielen Geliebten
Oder die Kranken, die stets zur Herbstzeit Thcmison würgte.

Sogar über die Sucht, die Krankheiten zu vergrößern, um höhern Nuhm
durch die Heilung zu ernten, klagt schon Seneca mit den Worten: „Viele
Aerzte können die Krankheiten, wenn sie dieselben ihres Ruhmes wegen ver¬
mehrt und gesteigert haben, gar nicht mehr verscheuchen oder bezwingen sie
endlich nur unter großen Leiden der Patienten.

Die große Masse der Armen blieb unter diesen Umständen natürlich von
ärztlicher Hilfe ausgeschlossen und nur der Hefe erbärmlicher Quacksalber über¬
lassen. Nur die Gladiatoren und Circussactioncn hatten ihre eignen Aerzte
und seit dem ersten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung auch die Legionen,
deren Aerzte doppelten Sold erhielten, Rüstung trugen und ihre Kranken schon
in Feldlazarethen behandelten. Desto erfreulicher war die Anstellung wirklicher


32*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0259" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105536"/>
          <p xml:id="ID_682" prev="#ID_681"> halten, so wie daneben auf die betreffenden Gegenliste, unter welchen das<lb/>
berühmte Mithrid aliena aus 54 Ingredienzien zusammengesetzt werden<lb/>
mußte.. Und ebenso übel bestellt blieb es mit den quacksalbernden Droguisten<lb/>
auch später unter den Byzantinern. Nicht einmal der kaiserliche Hof in Kon¬<lb/>
stantinopel besaß einen zuverlässigen Apotheker, sondern ein Garderobier be¬<lb/>
sorgte die seiner Aufsicht unterstellte Sammlung von- Salben, Pflastern,<lb/>
Giften und Gegengiften für Menschen und Vieh. Bei solchen Uebelständen<lb/>
finden wir die Klagen römischer Schriftsteller über die Ungcstraftheit und<lb/>
UnVerantwortlichkeit der Aerzte völlig begründet, wenn sie auch bei der Un¬<lb/>
sicherheit der schwierigen Wissenschaft auf alle Zeiten Anwendung finden.<lb/>
&#x201E;Jedem, der sich Doctor nennt," sagt Plinius, &#x201E;schenkt man sogleich Glauben,<lb/>
während doch mit keiner Lüge eine größere Gefahr verbunden ist. Wer unter<lb/>
den Aerzten nur ein gutes Mundwerk besitzt, wird sogleich unser unumschränk¬<lb/>
ter Herr über Leben und Tod. Das beachten wir aber nicht; so schmeichelnd<lb/>
ist sür jeden Kranken die Süßigkeit der Hoffnung. Außerdem gibt es kein<lb/>
Gesetz, das die Unwissenheit unschädlich mache und kein Beispiel der Todesstrafe.<lb/>
Sie lernen durch unsere Gefahren und werden an Erfahrung reicher durch<lb/>
Todesfälle, und nur dem Arzte bleibt es völlig ungeahndet, einen Menschen<lb/>
getödtet zu haben." Auch Martial verschont den Stand nicht mit seinem<lb/>
Spotte:</p><lb/>
          <quote>
            <p xml:id="ID_683"> Neulich noch war er ein Arzt, jetzt Leichenträger, Diaulos,<lb/>
Was er als Träger betreibt, that er als Doctor schon längst.</p>
            <p xml:id="ID_684"> Bist Gladiator geworden und sendest doch früher die Augen?<lb/>
Als Mediciner bereits erlebst du dieselbige Kunst!</p>
          </quote><lb/>
          <p xml:id="ID_685"> Ebenso braucht auch Juvenal, um den Begriff einer hohen Zahl zu<lb/>
geben die Ausrede:</p><lb/>
          <quote> Lieber noch nenn' ich die Zahl von Hippias vielen Geliebten<lb/>
Oder die Kranken, die stets zur Herbstzeit Thcmison würgte.</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_686"> Sogar über die Sucht, die Krankheiten zu vergrößern, um höhern Nuhm<lb/>
durch die Heilung zu ernten, klagt schon Seneca mit den Worten: &#x201E;Viele<lb/>
Aerzte können die Krankheiten, wenn sie dieselben ihres Ruhmes wegen ver¬<lb/>
mehrt und gesteigert haben, gar nicht mehr verscheuchen oder bezwingen sie<lb/>
endlich nur unter großen Leiden der Patienten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_687" next="#ID_688"> Die große Masse der Armen blieb unter diesen Umständen natürlich von<lb/>
ärztlicher Hilfe ausgeschlossen und nur der Hefe erbärmlicher Quacksalber über¬<lb/>
lassen. Nur die Gladiatoren und Circussactioncn hatten ihre eignen Aerzte<lb/>
und seit dem ersten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung auch die Legionen,<lb/>
deren Aerzte doppelten Sold erhielten, Rüstung trugen und ihre Kranken schon<lb/>
in Feldlazarethen behandelten. Desto erfreulicher war die Anstellung wirklicher</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> 32*</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0259] halten, so wie daneben auf die betreffenden Gegenliste, unter welchen das berühmte Mithrid aliena aus 54 Ingredienzien zusammengesetzt werden mußte.. Und ebenso übel bestellt blieb es mit den quacksalbernden Droguisten auch später unter den Byzantinern. Nicht einmal der kaiserliche Hof in Kon¬ stantinopel besaß einen zuverlässigen Apotheker, sondern ein Garderobier be¬ sorgte die seiner Aufsicht unterstellte Sammlung von- Salben, Pflastern, Giften und Gegengiften für Menschen und Vieh. Bei solchen Uebelständen finden wir die Klagen römischer Schriftsteller über die Ungcstraftheit und UnVerantwortlichkeit der Aerzte völlig begründet, wenn sie auch bei der Un¬ sicherheit der schwierigen Wissenschaft auf alle Zeiten Anwendung finden. „Jedem, der sich Doctor nennt," sagt Plinius, „schenkt man sogleich Glauben, während doch mit keiner Lüge eine größere Gefahr verbunden ist. Wer unter den Aerzten nur ein gutes Mundwerk besitzt, wird sogleich unser unumschränk¬ ter Herr über Leben und Tod. Das beachten wir aber nicht; so schmeichelnd ist sür jeden Kranken die Süßigkeit der Hoffnung. Außerdem gibt es kein Gesetz, das die Unwissenheit unschädlich mache und kein Beispiel der Todesstrafe. Sie lernen durch unsere Gefahren und werden an Erfahrung reicher durch Todesfälle, und nur dem Arzte bleibt es völlig ungeahndet, einen Menschen getödtet zu haben." Auch Martial verschont den Stand nicht mit seinem Spotte: Neulich noch war er ein Arzt, jetzt Leichenträger, Diaulos, Was er als Träger betreibt, that er als Doctor schon längst. Bist Gladiator geworden und sendest doch früher die Augen? Als Mediciner bereits erlebst du dieselbige Kunst! Ebenso braucht auch Juvenal, um den Begriff einer hohen Zahl zu geben die Ausrede: Lieber noch nenn' ich die Zahl von Hippias vielen Geliebten Oder die Kranken, die stets zur Herbstzeit Thcmison würgte. Sogar über die Sucht, die Krankheiten zu vergrößern, um höhern Nuhm durch die Heilung zu ernten, klagt schon Seneca mit den Worten: „Viele Aerzte können die Krankheiten, wenn sie dieselben ihres Ruhmes wegen ver¬ mehrt und gesteigert haben, gar nicht mehr verscheuchen oder bezwingen sie endlich nur unter großen Leiden der Patienten. Die große Masse der Armen blieb unter diesen Umständen natürlich von ärztlicher Hilfe ausgeschlossen und nur der Hefe erbärmlicher Quacksalber über¬ lassen. Nur die Gladiatoren und Circussactioncn hatten ihre eignen Aerzte und seit dem ersten Jahrhundert christlicher Zeitrechnung auch die Legionen, deren Aerzte doppelten Sold erhielten, Rüstung trugen und ihre Kranken schon in Feldlazarethen behandelten. Desto erfreulicher war die Anstellung wirklicher 32*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/259
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/259>, abgerufen am 22.12.2024.