Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.ein Wundarzt, soll der erste gewesen sein, und ihm kaufte man auf öffentliche ein Wundarzt, soll der erste gewesen sein, und ihm kaufte man auf öffentliche <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0256" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105533"/> <p xml:id="ID_678" prev="#ID_677" next="#ID_679"> ein Wundarzt, soll der erste gewesen sein, und ihm kaufte man auf öffentliche<lb/> Kosten eine Taverne, in welcher, wie in den Buden der Barbiere, die Kunden<lb/> sich einfanden und vielleicht schon die Müßiggänger ihre Zeit verschwatzten.<lb/> Das ungewohnte Schneiden und Brennen verdarb den Chirurgen aber bald<lb/> den Credit und verschaffte ihnen den Beinamen „Henkersknechte". Zudem<lb/> konnte der Ernst und die fest eingewurzelte Scheu der Römer vor allen aus<lb/> Gelderwerb hinauslaufenden Künsten den Leichtsinn und die gewinnsüchtige<lb/> Rührigkeit der Griechen überhaupt nicht vertragen. Daher schreibt schon un¬<lb/> gefähr fünzig Jahre nach Ankunft des Archagathus der ältere Cato aus<lb/> Athen an seinen Sohn: „Nimm meine Worte für eine Weissagung: Wenn<lb/> uns dieses Volk einst seine Wissenschaften mittheilen wird, so wird alles in<lb/> Verderbniß gerathen und besonders dann, wenn es uns seine Aerzte schicken<lb/> wird. Diese haben sich verschworen, alle Barbaren durch ihre Medicin zu<lb/> tödten. Und selbst dieses thun sie für Lohn, damit man ihnen glaube und<lb/> sie desto leichter ins Unglück stürzen können. Ich untersage dir den Gebrauch<lb/> der Aerzte!" Ist dieses Urtheil aus Widerwillen gegen den griechischen Volks¬<lb/> charakter im Allgemeinen entstanden, so zogen die Nachfolger des Archagathus<lb/> Spott und Verachtung in Rom selbst noch dadurch sich zu, daß sie ihre eigne<lb/> Unwissenheit und den Mangel an persönlichem Vertrauen durch marktschreierische<lb/> Ostentation und Charlatanerie zu verdecken suchten. „Ein jeder Grieche, der<lb/> zu uns kommt," sagt Juvenal, „bringt in sich einen Redekünstler, einen<lb/> Feldmesser, einen Maler, einen Seiltänzer, einen Arzt, einen Apotheker, einen<lb/> Wahrsager, einen Zauberer mit; alles versteht ein hungriger Grieche; sprich:<lb/> fahre gen Himmel! — er wird" es thun." So verspottet auch schon der<lb/> Komiker Plautus die Prahlerei der Jünger Aesculaps, die sich am Abe^d,<lb/> wenn sie von den Patienten kämen, rühmten, diesem Gotte ein Bein, jenem<lb/> einen Arm eingerichtet zu haben, so daß man nicht wisse, ob man einen Arzt<lb/> oder einen Schmied vor. sich habe; und der Arzt, den er in seinen „Zwillings¬<lb/> brüdern" auftreten läßt, ist ein tölpelhafter Ignorant. Doch ersieht man aus<lb/> demselben Stücke, daß die damaligen Aerzte schon Kranke zu sich ins Haus<lb/> nahmen, um sie unter jorgfältigerer Aufsicht zu haben. Trotz des Mißtrauens<lb/> gegen die Griechen blieb jedoch die Medicin in den Händen derselben bis tief<lb/> in die Kaiserzeit hinein. Wenigstens sagt der ältere Plinius, daß bis zu<lb/> seiner Zeit sehr wenige Römer .sich dieser einträglichen Wissenschaft zugewendet<lb/> hätten. Und auch diese Wenigen mußten womöglich sich vollkommen gräcisiren,<lb/> weil „auch solche Leute, welche des Griechischen unkundig find, Aerzten, die<lb/> ihre Kunst nicht griechisch betreiben, kein Vertrauen schenken; ja sie haben<lb/> weniger Zuversicht, wenn sie das verstehen, was zu ihrem Heile dient!" Blieb<lb/> man also in Hinsicht auf körperliches Wohl einerseits in Abhängigkeit von<lb/> Ausländern, so konnte die Ausbildung und der Werth der Arzneikunde selbst</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0256]
ein Wundarzt, soll der erste gewesen sein, und ihm kaufte man auf öffentliche
Kosten eine Taverne, in welcher, wie in den Buden der Barbiere, die Kunden
sich einfanden und vielleicht schon die Müßiggänger ihre Zeit verschwatzten.
Das ungewohnte Schneiden und Brennen verdarb den Chirurgen aber bald
den Credit und verschaffte ihnen den Beinamen „Henkersknechte". Zudem
konnte der Ernst und die fest eingewurzelte Scheu der Römer vor allen aus
Gelderwerb hinauslaufenden Künsten den Leichtsinn und die gewinnsüchtige
Rührigkeit der Griechen überhaupt nicht vertragen. Daher schreibt schon un¬
gefähr fünzig Jahre nach Ankunft des Archagathus der ältere Cato aus
Athen an seinen Sohn: „Nimm meine Worte für eine Weissagung: Wenn
uns dieses Volk einst seine Wissenschaften mittheilen wird, so wird alles in
Verderbniß gerathen und besonders dann, wenn es uns seine Aerzte schicken
wird. Diese haben sich verschworen, alle Barbaren durch ihre Medicin zu
tödten. Und selbst dieses thun sie für Lohn, damit man ihnen glaube und
sie desto leichter ins Unglück stürzen können. Ich untersage dir den Gebrauch
der Aerzte!" Ist dieses Urtheil aus Widerwillen gegen den griechischen Volks¬
charakter im Allgemeinen entstanden, so zogen die Nachfolger des Archagathus
Spott und Verachtung in Rom selbst noch dadurch sich zu, daß sie ihre eigne
Unwissenheit und den Mangel an persönlichem Vertrauen durch marktschreierische
Ostentation und Charlatanerie zu verdecken suchten. „Ein jeder Grieche, der
zu uns kommt," sagt Juvenal, „bringt in sich einen Redekünstler, einen
Feldmesser, einen Maler, einen Seiltänzer, einen Arzt, einen Apotheker, einen
Wahrsager, einen Zauberer mit; alles versteht ein hungriger Grieche; sprich:
fahre gen Himmel! — er wird" es thun." So verspottet auch schon der
Komiker Plautus die Prahlerei der Jünger Aesculaps, die sich am Abe^d,
wenn sie von den Patienten kämen, rühmten, diesem Gotte ein Bein, jenem
einen Arm eingerichtet zu haben, so daß man nicht wisse, ob man einen Arzt
oder einen Schmied vor. sich habe; und der Arzt, den er in seinen „Zwillings¬
brüdern" auftreten läßt, ist ein tölpelhafter Ignorant. Doch ersieht man aus
demselben Stücke, daß die damaligen Aerzte schon Kranke zu sich ins Haus
nahmen, um sie unter jorgfältigerer Aufsicht zu haben. Trotz des Mißtrauens
gegen die Griechen blieb jedoch die Medicin in den Händen derselben bis tief
in die Kaiserzeit hinein. Wenigstens sagt der ältere Plinius, daß bis zu
seiner Zeit sehr wenige Römer .sich dieser einträglichen Wissenschaft zugewendet
hätten. Und auch diese Wenigen mußten womöglich sich vollkommen gräcisiren,
weil „auch solche Leute, welche des Griechischen unkundig find, Aerzten, die
ihre Kunst nicht griechisch betreiben, kein Vertrauen schenken; ja sie haben
weniger Zuversicht, wenn sie das verstehen, was zu ihrem Heile dient!" Blieb
man also in Hinsicht auf körperliches Wohl einerseits in Abhängigkeit von
Ausländern, so konnte die Ausbildung und der Werth der Arzneikunde selbst
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