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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Asylrecht. Wenn das Attentat nur von einigen fremden Verbrechern aus¬
ging, weshalb denn Maßregeln gegen das ganze Volk nehmen? -- Ohne
Zweifel war Mornys Rede dem Kaiser zur Censur vorher vorgelegt und derselbe
überließ es einem seiner Diener, weitgehende Wünsche zu äußern, deren Er¬
füllung er als unmöglich weiß, um nachher seine Mäßigung in einem um so
vortheilhaftern Lichte zu zeigen, indem er nichts oder wenig von dem Gefor¬
derten thut. Den eigentlichen Schlüssel zu den Anerbietungen des Grafen aber
gibt die Rede des Kaisers bei Eröffnung der Sitzung der gesetzgebenden
Körper. Ohne Zweifel wußte der vertraute Rath der Regierung um die
Vorschläge, mit welchen jene Versammlungen überrascht werden sollten, die
Mißstimmung in den höhern Kreisen, die Meinung, daß die Gefahr, was
man auch sage, nicht in übermäßiges Gewalt der Negierung, sondern in einen:
Mangel an niederhaltenden Gesetzen liege, ist älter als das Attentat, sie schreibt
sich von den Wahlen im Anfang des Sommers, von der Haltung der Presse
im letzten Jahre her.

Während die Ruhe und Befriedigung Frankreichs, die Anhänglichkeit an
die kaiserliche Dynastie Jahre lang verkündet war, zeigte sich, sobald nur die
geringste Möglichkeit einer Meinungsäußerung vorhanden war, ein Gegenstrom.
Grade in Paris wurden mehre Candidaten der demokratischen Partei erwählt,
man sah, daß dies so vielfach verhätschelte eiMnt toriM" doch mit wohl¬
feilen Brot. Bauten, Festen und Ruhm Frankreichs noch nicht zufrieden
war und den ersten Anlaß benutzte, der Regierung eine Faust zu machen.
Denn weiter war die Demonstration freilich nichts, der Ernst, mit dem viele
französische Blätter für jene demokratischen oder gar constitutionellen Candidaten >
kämpften und die Entwicklungsfähigkeit der Verfassung proclmnirten, war
naiv und zeugte nicht von großer politischer Einsicht. Die Parteien konnten
dadurch wenig oder gar nichts gewinnen, da sie sich doch einer überwäl¬
tigenden Majorität gegenüber befanden, aber für das Kaiserthum waren
jene Wahlen sehr unangenehme Kundgebungen, und es folgten sogleich schär¬
fere Maßregeln gegen die Presse. Gegen die Ansicht des Kaisers, die natür¬
lich Gesetz werden wird, daß künftig schon die Kandidaten den Eid auf die
Verfassung zu leisten haben, um die Verweigerung des Eides der Erwählten
zu verhüten, läßt sich wenig einwenden, eine ähnliche Vorschrift in England
oder Belgien würde der Freiheit jener Länder keine Gefahr bringen. Aber
was soll man außerdem unter den angekündigten repressiven Gesetzen ver¬
stehen? Man fragt sich unwillkürlich, was die Regierung noch fordern kann,
was sie nicht schon hat: thut sie nicht alles, so kann sie doch alles. Die
kaiserlichen Decrete, welche den Spectateur und die Revue de Paris unter¬
drücken, sind die erste Antwort auf diese Frage. Wir bekennen, für keins
dieser beiden Journale Vorliebe zu hegen, der Minister Billault hat Recht,
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Asylrecht. Wenn das Attentat nur von einigen fremden Verbrechern aus¬
ging, weshalb denn Maßregeln gegen das ganze Volk nehmen? — Ohne
Zweifel war Mornys Rede dem Kaiser zur Censur vorher vorgelegt und derselbe
überließ es einem seiner Diener, weitgehende Wünsche zu äußern, deren Er¬
füllung er als unmöglich weiß, um nachher seine Mäßigung in einem um so
vortheilhaftern Lichte zu zeigen, indem er nichts oder wenig von dem Gefor¬
derten thut. Den eigentlichen Schlüssel zu den Anerbietungen des Grafen aber
gibt die Rede des Kaisers bei Eröffnung der Sitzung der gesetzgebenden
Körper. Ohne Zweifel wußte der vertraute Rath der Regierung um die
Vorschläge, mit welchen jene Versammlungen überrascht werden sollten, die
Mißstimmung in den höhern Kreisen, die Meinung, daß die Gefahr, was
man auch sage, nicht in übermäßiges Gewalt der Negierung, sondern in einen:
Mangel an niederhaltenden Gesetzen liege, ist älter als das Attentat, sie schreibt
sich von den Wahlen im Anfang des Sommers, von der Haltung der Presse
im letzten Jahre her.

Während die Ruhe und Befriedigung Frankreichs, die Anhänglichkeit an
die kaiserliche Dynastie Jahre lang verkündet war, zeigte sich, sobald nur die
geringste Möglichkeit einer Meinungsäußerung vorhanden war, ein Gegenstrom.
Grade in Paris wurden mehre Candidaten der demokratischen Partei erwählt,
man sah, daß dies so vielfach verhätschelte eiMnt toriM« doch mit wohl¬
feilen Brot. Bauten, Festen und Ruhm Frankreichs noch nicht zufrieden
war und den ersten Anlaß benutzte, der Regierung eine Faust zu machen.
Denn weiter war die Demonstration freilich nichts, der Ernst, mit dem viele
französische Blätter für jene demokratischen oder gar constitutionellen Candidaten >
kämpften und die Entwicklungsfähigkeit der Verfassung proclmnirten, war
naiv und zeugte nicht von großer politischer Einsicht. Die Parteien konnten
dadurch wenig oder gar nichts gewinnen, da sie sich doch einer überwäl¬
tigenden Majorität gegenüber befanden, aber für das Kaiserthum waren
jene Wahlen sehr unangenehme Kundgebungen, und es folgten sogleich schär¬
fere Maßregeln gegen die Presse. Gegen die Ansicht des Kaisers, die natür¬
lich Gesetz werden wird, daß künftig schon die Kandidaten den Eid auf die
Verfassung zu leisten haben, um die Verweigerung des Eides der Erwählten
zu verhüten, läßt sich wenig einwenden, eine ähnliche Vorschrift in England
oder Belgien würde der Freiheit jener Länder keine Gefahr bringen. Aber
was soll man außerdem unter den angekündigten repressiven Gesetzen ver¬
stehen? Man fragt sich unwillkürlich, was die Regierung noch fordern kann,
was sie nicht schon hat: thut sie nicht alles, so kann sie doch alles. Die
kaiserlichen Decrete, welche den Spectateur und die Revue de Paris unter¬
drücken, sind die erste Antwort auf diese Frage. Wir bekennen, für keins
dieser beiden Journale Vorliebe zu hegen, der Minister Billault hat Recht,
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[0243] .- Asylrecht. Wenn das Attentat nur von einigen fremden Verbrechern aus¬ ging, weshalb denn Maßregeln gegen das ganze Volk nehmen? — Ohne Zweifel war Mornys Rede dem Kaiser zur Censur vorher vorgelegt und derselbe überließ es einem seiner Diener, weitgehende Wünsche zu äußern, deren Er¬ füllung er als unmöglich weiß, um nachher seine Mäßigung in einem um so vortheilhaftern Lichte zu zeigen, indem er nichts oder wenig von dem Gefor¬ derten thut. Den eigentlichen Schlüssel zu den Anerbietungen des Grafen aber gibt die Rede des Kaisers bei Eröffnung der Sitzung der gesetzgebenden Körper. Ohne Zweifel wußte der vertraute Rath der Regierung um die Vorschläge, mit welchen jene Versammlungen überrascht werden sollten, die Mißstimmung in den höhern Kreisen, die Meinung, daß die Gefahr, was man auch sage, nicht in übermäßiges Gewalt der Negierung, sondern in einen: Mangel an niederhaltenden Gesetzen liege, ist älter als das Attentat, sie schreibt sich von den Wahlen im Anfang des Sommers, von der Haltung der Presse im letzten Jahre her. Während die Ruhe und Befriedigung Frankreichs, die Anhänglichkeit an die kaiserliche Dynastie Jahre lang verkündet war, zeigte sich, sobald nur die geringste Möglichkeit einer Meinungsäußerung vorhanden war, ein Gegenstrom. Grade in Paris wurden mehre Candidaten der demokratischen Partei erwählt, man sah, daß dies so vielfach verhätschelte eiMnt toriM« doch mit wohl¬ feilen Brot. Bauten, Festen und Ruhm Frankreichs noch nicht zufrieden war und den ersten Anlaß benutzte, der Regierung eine Faust zu machen. Denn weiter war die Demonstration freilich nichts, der Ernst, mit dem viele französische Blätter für jene demokratischen oder gar constitutionellen Candidaten > kämpften und die Entwicklungsfähigkeit der Verfassung proclmnirten, war naiv und zeugte nicht von großer politischer Einsicht. Die Parteien konnten dadurch wenig oder gar nichts gewinnen, da sie sich doch einer überwäl¬ tigenden Majorität gegenüber befanden, aber für das Kaiserthum waren jene Wahlen sehr unangenehme Kundgebungen, und es folgten sogleich schär¬ fere Maßregeln gegen die Presse. Gegen die Ansicht des Kaisers, die natür¬ lich Gesetz werden wird, daß künftig schon die Kandidaten den Eid auf die Verfassung zu leisten haben, um die Verweigerung des Eides der Erwählten zu verhüten, läßt sich wenig einwenden, eine ähnliche Vorschrift in England oder Belgien würde der Freiheit jener Länder keine Gefahr bringen. Aber was soll man außerdem unter den angekündigten repressiven Gesetzen ver¬ stehen? Man fragt sich unwillkürlich, was die Regierung noch fordern kann, was sie nicht schon hat: thut sie nicht alles, so kann sie doch alles. Die kaiserlichen Decrete, welche den Spectateur und die Revue de Paris unter¬ drücken, sind die erste Antwort auf diese Frage. Wir bekennen, für keins dieser beiden Journale Vorliebe zu hegen, der Minister Billault hat Recht, ' 30*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/243>, abgerufen am 01.09.2024.