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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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Wie die Baukunst selbst zerfallen ihre Producte zunächst in einen Jnnen-
und einen Außenbau. Der Innenbau dient auch bei ihnen vorzugsweise dem
alltäglichen Bedürfnisse und ist deshalb im Verhältniß zur Außenseite wenig¬
stens schmucklos und ungegliedert. Das Aeußere dagegen ist für das Auge
und den Schönheitssinn geschaffen, es will anziehen und blenden, es will uns
die Bestimmung seines Innern zwar keineswegs verhüllen, aber doch auch
grade nicht ganz unverhüllt zeigen, mit einem Wort, es will, wie in der Bau¬
kunst, vornehmlich unser sinnliches Wohlgefallen erregen.

So wie in. jedem gebildeten architektonischen Werk eine strenge Drei¬
gliederung, im Sockel, im eigentlichen Körper und in der Bedachung hervor¬
tritt, oder, nehmen wir einen speciellen Theil desselben, die Säule, im Fuß, im
Schaft und im Capital sich zeigt, so enthält auch jeder Ofen, Schub oder
Schrank diese Theilung. Noch treuer ist der Zusammenhang dieser Handwerke
mit der Architektur in der speciellen Gliederung gewahrt geblieben.

Alle die in Rede stehenden Handwerke kennen nicht nur die einzelnen
Glieder der griechischen Baukunst, sondern führen sogar größten Theiles noch
deren Benennungen bis zu dieser Stunde sort. Der gewöhnlichste Tischler
spricht vom Karnieß und weiß vermöge seines Metiers, was Wulst (Echinus),
Pfühl (Torus) Hohlkehle (Trochilus). Welle. (Kyma). Rundstab, Riemen oder
Leistchen. Platte (Plinthus oder Abalus) bedeutet, selbst die romanische Lisene
oder Lesine ist ihm nicht nur der Form, sondern sogar auch noch dem Namen
nach bekannt.

Daß wir ferner nicht nur von romanischen, gothischen Renaissance-, und
Rococogebäuden. sondern ebenso gut von derartigen Kästchen, Kelchen, Mon¬
stranzen, Siegeln, Tischen und Stühlen und anderen Dingen reden, brauche
ich kaum erst zu erwähnen. Wer sich das königliche Bibliothekgebäude zu
Berlin auch nur flüchtig betrachtet, wird im Zweifel sein, ob der Architekt
dem Tischler oder umgekehrt dieser jenem das Muster dazu abgesehen hat.
Dies Beispiel mag für die Zopfzeit genügen; von der unsrigen gilt auch für
diese der Architektur verwandten Handwerke, was ich früher schon von unsrer
Kleidertracht bemerkt habe, sie sind ohne Typus.

Bei allen diesen Handwerken spricht also ihre Verschwisterung mit der
Kunst nicht nur aus der Ornamentik, die alle Handwerke mehr oder weniger
mit derselben gemein haben, sondern sogar aus ihren Grundbedingungen:
den Grundrissen, den Aufrissen, den speciellen Gliederungen, der ganzen
Zeichnung und dem Ausbau ihrer Erzeugnisse überhaupt.

Der Leser wird uns eine nähere Darlegung dieses verwandtschaftlichen
Verhältnisses zwischen Kunst und Handwerk bei denjenigen Gewerben, welche
der höheren bildenden Kunst gleichsam in die Hände arbeiten, gern er¬
lassen. Ich rechne hierher die gewöhnliche Maurerei, Steinmetzenarbeit,


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Wie die Baukunst selbst zerfallen ihre Producte zunächst in einen Jnnen-
und einen Außenbau. Der Innenbau dient auch bei ihnen vorzugsweise dem
alltäglichen Bedürfnisse und ist deshalb im Verhältniß zur Außenseite wenig¬
stens schmucklos und ungegliedert. Das Aeußere dagegen ist für das Auge
und den Schönheitssinn geschaffen, es will anziehen und blenden, es will uns
die Bestimmung seines Innern zwar keineswegs verhüllen, aber doch auch
grade nicht ganz unverhüllt zeigen, mit einem Wort, es will, wie in der Bau¬
kunst, vornehmlich unser sinnliches Wohlgefallen erregen.

So wie in. jedem gebildeten architektonischen Werk eine strenge Drei¬
gliederung, im Sockel, im eigentlichen Körper und in der Bedachung hervor¬
tritt, oder, nehmen wir einen speciellen Theil desselben, die Säule, im Fuß, im
Schaft und im Capital sich zeigt, so enthält auch jeder Ofen, Schub oder
Schrank diese Theilung. Noch treuer ist der Zusammenhang dieser Handwerke
mit der Architektur in der speciellen Gliederung gewahrt geblieben.

Alle die in Rede stehenden Handwerke kennen nicht nur die einzelnen
Glieder der griechischen Baukunst, sondern führen sogar größten Theiles noch
deren Benennungen bis zu dieser Stunde sort. Der gewöhnlichste Tischler
spricht vom Karnieß und weiß vermöge seines Metiers, was Wulst (Echinus),
Pfühl (Torus) Hohlkehle (Trochilus). Welle. (Kyma). Rundstab, Riemen oder
Leistchen. Platte (Plinthus oder Abalus) bedeutet, selbst die romanische Lisene
oder Lesine ist ihm nicht nur der Form, sondern sogar auch noch dem Namen
nach bekannt.

Daß wir ferner nicht nur von romanischen, gothischen Renaissance-, und
Rococogebäuden. sondern ebenso gut von derartigen Kästchen, Kelchen, Mon¬
stranzen, Siegeln, Tischen und Stühlen und anderen Dingen reden, brauche
ich kaum erst zu erwähnen. Wer sich das königliche Bibliothekgebäude zu
Berlin auch nur flüchtig betrachtet, wird im Zweifel sein, ob der Architekt
dem Tischler oder umgekehrt dieser jenem das Muster dazu abgesehen hat.
Dies Beispiel mag für die Zopfzeit genügen; von der unsrigen gilt auch für
diese der Architektur verwandten Handwerke, was ich früher schon von unsrer
Kleidertracht bemerkt habe, sie sind ohne Typus.

Bei allen diesen Handwerken spricht also ihre Verschwisterung mit der
Kunst nicht nur aus der Ornamentik, die alle Handwerke mehr oder weniger
mit derselben gemein haben, sondern sogar aus ihren Grundbedingungen:
den Grundrissen, den Aufrissen, den speciellen Gliederungen, der ganzen
Zeichnung und dem Ausbau ihrer Erzeugnisse überhaupt.

Der Leser wird uns eine nähere Darlegung dieses verwandtschaftlichen
Verhältnisses zwischen Kunst und Handwerk bei denjenigen Gewerben, welche
der höheren bildenden Kunst gleichsam in die Hände arbeiten, gern er¬
lassen. Ich rechne hierher die gewöhnliche Maurerei, Steinmetzenarbeit,


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[0195] .. Wie die Baukunst selbst zerfallen ihre Producte zunächst in einen Jnnen- und einen Außenbau. Der Innenbau dient auch bei ihnen vorzugsweise dem alltäglichen Bedürfnisse und ist deshalb im Verhältniß zur Außenseite wenig¬ stens schmucklos und ungegliedert. Das Aeußere dagegen ist für das Auge und den Schönheitssinn geschaffen, es will anziehen und blenden, es will uns die Bestimmung seines Innern zwar keineswegs verhüllen, aber doch auch grade nicht ganz unverhüllt zeigen, mit einem Wort, es will, wie in der Bau¬ kunst, vornehmlich unser sinnliches Wohlgefallen erregen. So wie in. jedem gebildeten architektonischen Werk eine strenge Drei¬ gliederung, im Sockel, im eigentlichen Körper und in der Bedachung hervor¬ tritt, oder, nehmen wir einen speciellen Theil desselben, die Säule, im Fuß, im Schaft und im Capital sich zeigt, so enthält auch jeder Ofen, Schub oder Schrank diese Theilung. Noch treuer ist der Zusammenhang dieser Handwerke mit der Architektur in der speciellen Gliederung gewahrt geblieben. Alle die in Rede stehenden Handwerke kennen nicht nur die einzelnen Glieder der griechischen Baukunst, sondern führen sogar größten Theiles noch deren Benennungen bis zu dieser Stunde sort. Der gewöhnlichste Tischler spricht vom Karnieß und weiß vermöge seines Metiers, was Wulst (Echinus), Pfühl (Torus) Hohlkehle (Trochilus). Welle. (Kyma). Rundstab, Riemen oder Leistchen. Platte (Plinthus oder Abalus) bedeutet, selbst die romanische Lisene oder Lesine ist ihm nicht nur der Form, sondern sogar auch noch dem Namen nach bekannt. Daß wir ferner nicht nur von romanischen, gothischen Renaissance-, und Rococogebäuden. sondern ebenso gut von derartigen Kästchen, Kelchen, Mon¬ stranzen, Siegeln, Tischen und Stühlen und anderen Dingen reden, brauche ich kaum erst zu erwähnen. Wer sich das königliche Bibliothekgebäude zu Berlin auch nur flüchtig betrachtet, wird im Zweifel sein, ob der Architekt dem Tischler oder umgekehrt dieser jenem das Muster dazu abgesehen hat. Dies Beispiel mag für die Zopfzeit genügen; von der unsrigen gilt auch für diese der Architektur verwandten Handwerke, was ich früher schon von unsrer Kleidertracht bemerkt habe, sie sind ohne Typus. Bei allen diesen Handwerken spricht also ihre Verschwisterung mit der Kunst nicht nur aus der Ornamentik, die alle Handwerke mehr oder weniger mit derselben gemein haben, sondern sogar aus ihren Grundbedingungen: den Grundrissen, den Aufrissen, den speciellen Gliederungen, der ganzen Zeichnung und dem Ausbau ihrer Erzeugnisse überhaupt. Der Leser wird uns eine nähere Darlegung dieses verwandtschaftlichen Verhältnisses zwischen Kunst und Handwerk bei denjenigen Gewerben, welche der höheren bildenden Kunst gleichsam in die Hände arbeiten, gern er¬ lassen. Ich rechne hierher die gewöhnliche Maurerei, Steinmetzenarbeit, 24*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/195>, abgerufen am 22.12.2024.