Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.decorativer Theile; in den einfachen Drei- und Vierecken, aus welchen doch decorativer Theile; in den einfachen Drei- und Vierecken, aus welchen doch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0136" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105413"/> <p xml:id="ID_309" prev="#ID_308" next="#ID_310"> decorativer Theile; in den einfachen Drei- und Vierecken, aus welchen doch<lb/> die seltsamsten und verwickeltsten Formen hervorgehn, wähnt er eine magische<lb/> Macht verborgen, unwillkürlich lebt er sich, weil ihm die mathematische Be¬<lb/> gründung dunkel bleibt, in eine mystische Gedankenreihe hinein und knüpft<lb/> an die Architektur die fremdartigsten Vorstellungen von Musik und Harmonie.<lb/> Unserem ehrenwerthen Schneider begegnete das Gleiche. Daß er sich um den Ban<lb/> von Se. Petronio vielfach kümmerte, kann nicht befremden. Wir haben ja<lb/> gesehen, wie seit Menschenaltern sich alle Gemüther mit der gleichen Angelegen¬<lb/> heit beschäftigten und das Interesse sür die Gothik in Bologna fortwährend<lb/> genährt wurde. Schneider sind bekanntlich nach den Schustern die größten<lb/> Grübler. Carlo begnügte sich nicht, wie die übrigen Bürger von Bologna,<lb/> im Allgemeinen Partei zu nehmen sür den alten Bau', er suchte sich ein<lb/> tieferes Verständniß von der Sache zu verschaffen und griff nach dem nächsten,<lb/> dein einzigen.Buche, welches das Wesen der Gothik den Italienern zugänglich<lb/> machte, nach Cesare Cesarianos Commentar zu Vitruv. Hier fand er den „vor¬<lb/> nehmsten und höchsten Sleinmetzengruud des Triangels" verzeichnet und alle<lb/> Proportionen auf die Grundlage des gleichseitigen Dreiecks zurückgeführt.<lb/> Natürlich glaubte er sich im Besitze des Steines der Weisen. Er begann zu<lb/> zeichnen und zu messen und zu vergleichen, und da er entdeckte, daß Terri-<lb/> bilias Gewölbe durchaus uicht nach dem System des gleichseitigen Dreiecks<lb/> entworfen sind, mit diesem verglichen niedrig und stumpf erscheinen. so trat<lb/> er öffentlich für seine verworfenen und verletzten Triangeln in die Schranken.<lb/> Er gewann großen Anhang zunächst unter den Handwerkern und Bauleuten,<lb/> dann aber auch unter den „^«zlitilumriiiri xrmeiMli ävUa eitta." Den Schnei¬<lb/> der allein hätte man ausgelacht und zum Schweigen gebracht, im Rücken<lb/> gedeckt von der gesammten Einwohnerschaft Bolognas wurde'er eine unab¬<lb/> weisbare Autorität. Gutachten von Sachverständigen wurden abgefordert,<lb/> dem Architekten Terrivilia eine Vertheidigung und Rechtfertigung ausgetragen,<lb/> nach Rom fragend berichtet, was in der Sache weiter geschehen solle. Gay in<lb/> seinem Carteggio theilt zwei solcher Gutachten mit. Beide schließe» gegen<lb/> den Schneider, das eine unbedingt, das andere mit einer kühlen Anerkennung<lb/> der Regel vom gleichseitigen Dreiecke und einem trockenen Lobe der „mathe¬<lb/> matischen und musikalischen Subtilitäten", welche die Gegner vorgebracht<lb/> haben. Auch Terribilias Vertheidigungsschrift wurde veröffentlicht. Und<lb/> wenn wir uns an sie halten, so erhalten wir von unseres Schneiders archi¬<lb/> tektonischen Anschauungen kein glänzendes Bild. Ihm scheint die Architektur<lb/> in eine geometrische Mystik sich verflüchtigt zu haben, er wird beschuldigt, in<lb/> der Baukunst eine geheimnißvalle Art von Musik und Philosophie zu erblicken<lb/> und die Logik mit einer groben Elle zu messen. Vitruv wird von ihm auf<lb/> der einen Seite als Autorität angerufen, und auf der nächsten doch wieder</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0136]
decorativer Theile; in den einfachen Drei- und Vierecken, aus welchen doch
die seltsamsten und verwickeltsten Formen hervorgehn, wähnt er eine magische
Macht verborgen, unwillkürlich lebt er sich, weil ihm die mathematische Be¬
gründung dunkel bleibt, in eine mystische Gedankenreihe hinein und knüpft
an die Architektur die fremdartigsten Vorstellungen von Musik und Harmonie.
Unserem ehrenwerthen Schneider begegnete das Gleiche. Daß er sich um den Ban
von Se. Petronio vielfach kümmerte, kann nicht befremden. Wir haben ja
gesehen, wie seit Menschenaltern sich alle Gemüther mit der gleichen Angelegen¬
heit beschäftigten und das Interesse sür die Gothik in Bologna fortwährend
genährt wurde. Schneider sind bekanntlich nach den Schustern die größten
Grübler. Carlo begnügte sich nicht, wie die übrigen Bürger von Bologna,
im Allgemeinen Partei zu nehmen sür den alten Bau', er suchte sich ein
tieferes Verständniß von der Sache zu verschaffen und griff nach dem nächsten,
dein einzigen.Buche, welches das Wesen der Gothik den Italienern zugänglich
machte, nach Cesare Cesarianos Commentar zu Vitruv. Hier fand er den „vor¬
nehmsten und höchsten Sleinmetzengruud des Triangels" verzeichnet und alle
Proportionen auf die Grundlage des gleichseitigen Dreiecks zurückgeführt.
Natürlich glaubte er sich im Besitze des Steines der Weisen. Er begann zu
zeichnen und zu messen und zu vergleichen, und da er entdeckte, daß Terri-
bilias Gewölbe durchaus uicht nach dem System des gleichseitigen Dreiecks
entworfen sind, mit diesem verglichen niedrig und stumpf erscheinen. so trat
er öffentlich für seine verworfenen und verletzten Triangeln in die Schranken.
Er gewann großen Anhang zunächst unter den Handwerkern und Bauleuten,
dann aber auch unter den „^«zlitilumriiiri xrmeiMli ävUa eitta." Den Schnei¬
der allein hätte man ausgelacht und zum Schweigen gebracht, im Rücken
gedeckt von der gesammten Einwohnerschaft Bolognas wurde'er eine unab¬
weisbare Autorität. Gutachten von Sachverständigen wurden abgefordert,
dem Architekten Terrivilia eine Vertheidigung und Rechtfertigung ausgetragen,
nach Rom fragend berichtet, was in der Sache weiter geschehen solle. Gay in
seinem Carteggio theilt zwei solcher Gutachten mit. Beide schließe» gegen
den Schneider, das eine unbedingt, das andere mit einer kühlen Anerkennung
der Regel vom gleichseitigen Dreiecke und einem trockenen Lobe der „mathe¬
matischen und musikalischen Subtilitäten", welche die Gegner vorgebracht
haben. Auch Terribilias Vertheidigungsschrift wurde veröffentlicht. Und
wenn wir uns an sie halten, so erhalten wir von unseres Schneiders archi¬
tektonischen Anschauungen kein glänzendes Bild. Ihm scheint die Architektur
in eine geometrische Mystik sich verflüchtigt zu haben, er wird beschuldigt, in
der Baukunst eine geheimnißvalle Art von Musik und Philosophie zu erblicken
und die Logik mit einer groben Elle zu messen. Vitruv wird von ihm auf
der einen Seite als Autorität angerufen, und auf der nächsten doch wieder
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