Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.Der gothische Schneider von Bologna. In den letzten Jahren verfolgt die östreichische Regierung mit großer und Gmizbvten I. 1856. , 16
Der gothische Schneider von Bologna. In den letzten Jahren verfolgt die östreichische Regierung mit großer und Gmizbvten I. 1856. , 16
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Der gothische Schneider von Bologna.
In den letzten Jahren verfolgt die östreichische Regierung mit großer und
nachhaltiger Energie das Streben, der italienischen Bevölkerung ihres Reichs
die deutsche Bildung näher zu bringen. Der deutsche Sprachunterricht in den
Mittelschulen ist nicht mehr wie früher eine leere Formalität, von welcher
Lehrer und Schüler gleich gern absehen, und auch den beiden Universitäten
zu Padua und Pavia ist es nicht länger vergönnt, das nationale civile t'-ri'
ni(;»t.t; aus die Wissenschaft zu übertragen und in böotischer Ruhe zu beharren.
Widerwillig genug beobachten die Italiener das allmälige Vordringen deutscher
Gelehrsamkeit. Aber sie haben niemals den Ruhm „geschmackloser Vielwisse-
rei" den nordischen Barbaren verweigert und finden daher, so lange es sich
blos um einzelne Fachdisciplinen handelt, ihren Stolz nicht verletzt. Nun
hat die östreichische Regierung einen weiter» Schritt gewagt und durch die
Berufung deutscher Künstler an die Mailänder Akademie ihre Absicht, auch
die italienische Phantasie zu germanisiren, offen ausgesprochen. Ein härterer
Schlag konnte die durch vielhundertjährige Huldigungen genährte National¬
eitelkeit nicht treffen. Mußte auch der unbefangene Italiener zugeben, in
anderen wesentlichen Dingen sei sein Stamm hinter den übrigen Völkern
zurückgeblieben, so betrachtete er dennoch das feine Kunstgefühl als seine
eigentliche Domäne. Er leugnete den Kunstverfall im gegenwärtigen Geschlechte
nicht ab, aber hielt nur desto hartnäckiger an dem Ruhm seiner Vorfahren
fest und sah in der Rückkehr zur Weise derselben den ausschließlichen Weg
des Heiles. Ja. wenn er als Lehrer einen Mann zu begrüßen hätte, dessen
Geschmack und Phantasie sich vollständig italienisirt haben, der, wie so viele
deutsche Künstler am Anfange unseres Jahrhunderts, heißer für Italiens
Größe schwärmt, als der Eingeborene, und zu dem Grundsatze sich bekennt,
nur in Italien, nur in Rom könne man als Künstler leben und wirken —
er Hütte wenigstens eine mittelbare Huldigung darin erblickt. Der Mann
aber, in dessen Hände die Wiederbelebung der mailändischen Kunst wesentlich
gelegt wird, bekennt sich nicht zu solchen Anschauungen, seine Mission ist
keine andere, als alle hergebrachten Traditionen zu brechen und dies auf einem
Kunstgebiete, wo die italienische Anschauung sich bis jetzt am sprödesten er-
Gmizbvten I. 1856. , 16
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