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Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.

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litischcn Verfassung bilden, so bildet noch bis heute die Landmacht den Kern seiner
Wehrkraft." -- ,

Bis hierher haben wir dem Verfasser in allen Hauptsachen folgen können; jetzt,
wo er im fünften Capitel zur Allianz mit Oestreich kommt, werden wir bedenklich.
Er folgert 'es zunächst daraus, daß England Oestreichs natürlicher Bundesgenosse
sei und wir nicht der Feind von unsers Freundes Freund sein dürften. Es ist
wahr, daß viele Bündnisse zwischen London und Wien gezeichnet sind, indeß schlecht¬
weg würden wir doch nicht Oestreich den natürlichen Alliirten Großbritanniens
nennen; ob letzteres z. B. in Italien zu seinen Gunsten einschreiten würde, ist fraglich,
fraglich auch, ob es seine Partei genommen hätte, wenn 1850 der Krieg mit Preu¬
ßen ausbrach. Andrerseits wissen wir zwar sehr wohl, daß in Bezug auf die Türkei, ^
auf Eroberungsgelüstc Frankreichs beide Länder zusammenstehen.'und leugnen auch
gar nicht, daß gegen das Ausland eine Allianz zwischen Oestreich und Preußen ge¬
boten sein wird, aber der Verfasser nimmt es zu leicht mit der Nebenbuhlerschaft
beider Staaten. Um Schlesien handelt es sich freilich nicht mehr, sondern um ein
größeres Subject, die Führerschaft in Deutschland ; es ist doch sehr fraglich, ob Friedrich
der Große, wenn er jetzt lebte, wie der Verfasser denkt, sagen würde: "Wir (Oestreich
und Preußen) haben uns jetzt genug durchgcbläut und wollen eine Politik ergreifen,
welche Zerwürfnisse unmöglich macht." Er würde nicht so sprechen, weil die tiefere
Verschiedenheit der Interessen, die sich Deutschland gegenüber gegenseitig ausschließen,
es unmöglich machen würde. Wenn die Augsburger Allgemeine Zeitung von Zeit
zu Zeit dafür schwärmt, Oestreich als das Haupt und Preußen als das Schwert
Deutschlands zu sehen, so ist das von diesem östreichischen Constilutiounel ganz
politisch, weil es daraus herauskommen würde, daß Preußen sich zu Oestreich schlüge,
aber es ist im preußischen Interesse eben doch unmöglich. Aber das wünschen wir
mit dem Verfasser, daß beide gegen das Ausland einig seien, und daß sie es auf¬
geben, sich mit kleinen Eifersüchteleien zu ärgern, mögen sie ihre Gegensätze zurück¬
treten lassen bis zum Tage, wo sie dieselben austragen können. Daß, wenn Preu¬
ßen und Oestreich einig sind, das übrige Deutschland mit muß, ist gewiß nicht zu,
bestreiten, aber sie können ihren Lebensbedingungen nach eben oft und in Haupt¬
sachen nicht einig sein. Die Betrachtungen über das deutsche StaatcnsystcM und
das germanische Princip sind die schwächsten Abschnitte der Schrift, letzteres mag
immerhin eine gewisse Bedeutung haben, aber dieselbe darf vom Gesichtspunkte der
praktischen Politik nicht überschätzt werden. Hiervon abgesehen glauben wir unsern
Lesern die Schrift angelegentlich empfehlen zu können, man wird sie selbst da gern
lesen, wo man ihr nicht folgen kann, der Sinn ist ehrenwerth, die Ansichten be¬
stimmt und verständig vorgetragen, nur wäre im Interesse des guten Geschmackes
zu wünschen gewesen, daß Ausdrücke wie "Wischiwaschi" oder Preußen möge seine
Rippen vcrassecurircn, weggeblieben wären.




litischcn Verfassung bilden, so bildet noch bis heute die Landmacht den Kern seiner
Wehrkraft." — ,

Bis hierher haben wir dem Verfasser in allen Hauptsachen folgen können; jetzt,
wo er im fünften Capitel zur Allianz mit Oestreich kommt, werden wir bedenklich.
Er folgert 'es zunächst daraus, daß England Oestreichs natürlicher Bundesgenosse
sei und wir nicht der Feind von unsers Freundes Freund sein dürften. Es ist
wahr, daß viele Bündnisse zwischen London und Wien gezeichnet sind, indeß schlecht¬
weg würden wir doch nicht Oestreich den natürlichen Alliirten Großbritanniens
nennen; ob letzteres z. B. in Italien zu seinen Gunsten einschreiten würde, ist fraglich,
fraglich auch, ob es seine Partei genommen hätte, wenn 1850 der Krieg mit Preu¬
ßen ausbrach. Andrerseits wissen wir zwar sehr wohl, daß in Bezug auf die Türkei, ^
auf Eroberungsgelüstc Frankreichs beide Länder zusammenstehen.'und leugnen auch
gar nicht, daß gegen das Ausland eine Allianz zwischen Oestreich und Preußen ge¬
boten sein wird, aber der Verfasser nimmt es zu leicht mit der Nebenbuhlerschaft
beider Staaten. Um Schlesien handelt es sich freilich nicht mehr, sondern um ein
größeres Subject, die Führerschaft in Deutschland ; es ist doch sehr fraglich, ob Friedrich
der Große, wenn er jetzt lebte, wie der Verfasser denkt, sagen würde: „Wir (Oestreich
und Preußen) haben uns jetzt genug durchgcbläut und wollen eine Politik ergreifen,
welche Zerwürfnisse unmöglich macht." Er würde nicht so sprechen, weil die tiefere
Verschiedenheit der Interessen, die sich Deutschland gegenüber gegenseitig ausschließen,
es unmöglich machen würde. Wenn die Augsburger Allgemeine Zeitung von Zeit
zu Zeit dafür schwärmt, Oestreich als das Haupt und Preußen als das Schwert
Deutschlands zu sehen, so ist das von diesem östreichischen Constilutiounel ganz
politisch, weil es daraus herauskommen würde, daß Preußen sich zu Oestreich schlüge,
aber es ist im preußischen Interesse eben doch unmöglich. Aber das wünschen wir
mit dem Verfasser, daß beide gegen das Ausland einig seien, und daß sie es auf¬
geben, sich mit kleinen Eifersüchteleien zu ärgern, mögen sie ihre Gegensätze zurück¬
treten lassen bis zum Tage, wo sie dieselben austragen können. Daß, wenn Preu¬
ßen und Oestreich einig sind, das übrige Deutschland mit muß, ist gewiß nicht zu,
bestreiten, aber sie können ihren Lebensbedingungen nach eben oft und in Haupt¬
sachen nicht einig sein. Die Betrachtungen über das deutsche StaatcnsystcM und
das germanische Princip sind die schwächsten Abschnitte der Schrift, letzteres mag
immerhin eine gewisse Bedeutung haben, aber dieselbe darf vom Gesichtspunkte der
praktischen Politik nicht überschätzt werden. Hiervon abgesehen glauben wir unsern
Lesern die Schrift angelegentlich empfehlen zu können, man wird sie selbst da gern
lesen, wo man ihr nicht folgen kann, der Sinn ist ehrenwerth, die Ansichten be¬
stimmt und verständig vorgetragen, nur wäre im Interesse des guten Geschmackes
zu wünschen gewesen, daß Ausdrücke wie „Wischiwaschi" oder Preußen möge seine
Rippen vcrassecurircn, weggeblieben wären.




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[0125] litischcn Verfassung bilden, so bildet noch bis heute die Landmacht den Kern seiner Wehrkraft." — , Bis hierher haben wir dem Verfasser in allen Hauptsachen folgen können; jetzt, wo er im fünften Capitel zur Allianz mit Oestreich kommt, werden wir bedenklich. Er folgert 'es zunächst daraus, daß England Oestreichs natürlicher Bundesgenosse sei und wir nicht der Feind von unsers Freundes Freund sein dürften. Es ist wahr, daß viele Bündnisse zwischen London und Wien gezeichnet sind, indeß schlecht¬ weg würden wir doch nicht Oestreich den natürlichen Alliirten Großbritanniens nennen; ob letzteres z. B. in Italien zu seinen Gunsten einschreiten würde, ist fraglich, fraglich auch, ob es seine Partei genommen hätte, wenn 1850 der Krieg mit Preu¬ ßen ausbrach. Andrerseits wissen wir zwar sehr wohl, daß in Bezug auf die Türkei, ^ auf Eroberungsgelüstc Frankreichs beide Länder zusammenstehen.'und leugnen auch gar nicht, daß gegen das Ausland eine Allianz zwischen Oestreich und Preußen ge¬ boten sein wird, aber der Verfasser nimmt es zu leicht mit der Nebenbuhlerschaft beider Staaten. Um Schlesien handelt es sich freilich nicht mehr, sondern um ein größeres Subject, die Führerschaft in Deutschland ; es ist doch sehr fraglich, ob Friedrich der Große, wenn er jetzt lebte, wie der Verfasser denkt, sagen würde: „Wir (Oestreich und Preußen) haben uns jetzt genug durchgcbläut und wollen eine Politik ergreifen, welche Zerwürfnisse unmöglich macht." Er würde nicht so sprechen, weil die tiefere Verschiedenheit der Interessen, die sich Deutschland gegenüber gegenseitig ausschließen, es unmöglich machen würde. Wenn die Augsburger Allgemeine Zeitung von Zeit zu Zeit dafür schwärmt, Oestreich als das Haupt und Preußen als das Schwert Deutschlands zu sehen, so ist das von diesem östreichischen Constilutiounel ganz politisch, weil es daraus herauskommen würde, daß Preußen sich zu Oestreich schlüge, aber es ist im preußischen Interesse eben doch unmöglich. Aber das wünschen wir mit dem Verfasser, daß beide gegen das Ausland einig seien, und daß sie es auf¬ geben, sich mit kleinen Eifersüchteleien zu ärgern, mögen sie ihre Gegensätze zurück¬ treten lassen bis zum Tage, wo sie dieselben austragen können. Daß, wenn Preu¬ ßen und Oestreich einig sind, das übrige Deutschland mit muß, ist gewiß nicht zu, bestreiten, aber sie können ihren Lebensbedingungen nach eben oft und in Haupt¬ sachen nicht einig sein. Die Betrachtungen über das deutsche StaatcnsystcM und das germanische Princip sind die schwächsten Abschnitte der Schrift, letzteres mag immerhin eine gewisse Bedeutung haben, aber dieselbe darf vom Gesichtspunkte der praktischen Politik nicht überschätzt werden. Hiervon abgesehen glauben wir unsern Lesern die Schrift angelegentlich empfehlen zu können, man wird sie selbst da gern lesen, wo man ihr nicht folgen kann, der Sinn ist ehrenwerth, die Ansichten be¬ stimmt und verständig vorgetragen, nur wäre im Interesse des guten Geschmackes zu wünschen gewesen, daß Ausdrücke wie „Wischiwaschi" oder Preußen möge seine Rippen vcrassecurircn, weggeblieben wären.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341588_105276/125>, abgerufen am 27.07.2024.