Die Grenzboten. Jg. 17, 1858, I. Semester. I. Band.nur dach die Sucht, mit wichtigen und interessanten Neuigkeiten groß zu nur dach die Sucht, mit wichtigen und interessanten Neuigkeiten groß zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0114" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105391"/> <p xml:id="ID_255" prev="#ID_254" next="#ID_256"> nur dach die Sucht, mit wichtigen und interessanten Neuigkeiten groß zu<lb/> thun veranlaßt. Seneca leitet diese Umträgerei aus dem Bedürfniß des<lb/> beschäftigten Müßiggangs" ab. die Zeit zu füllen, „daher." sagt er. „rührt<lb/> jenes scheußlichste Laster, die Horcherei, und Aufspürung von öffentlichen und<lb/> geheimen Angelegenheiten und die Wissenschaft vieler Dinge, die weder sicher<lb/> angehört noch sicher mitgetheilt werden." Dieser Umträgerei leisteten die un¬<lb/> geheuern Dienerschaften der großen Häuser außerordentlichen Vorschub. Ein<lb/> Reicher, sagt Juvenal. hat nie ein Geheimniß. Wenn seine Sklaven schwei¬<lb/> gen, reden seine Pferde und Hunde, seine Thürpfosten und Marmorwäude.<lb/> Er schließe seine Fenster, verstopfe die Spalten, lösche das Licht, und wenn<lb/> niemand bei ihm schläft, weiß doch vor Tagesanbruch der nächste Schenkwirth,<lb/> was er um die Zeit des zweiten Hahnenschreis gethan hat. Die Sklaven<lb/> fanden noch größeres Vergnügen darin, die Geheimnisse ihrer Herrschaft aus¬<lb/> zuplaudern, als gestohlenen Falerner zu trinken, und rächten sich für empfangene<lb/> Prügel durch Geschichten, die zu erfinden sie keineswegs blöde waren, die<lb/> Zunge war an ihnen der schlimmste Theil. So ging denn nicht leicht etwas<lb/> in der Gesellschaft vor, das nicht in den zunüchststehenden Kreisen sogleich<lb/> Gegenstand des Gesprächs geworden wäre, und der Konversation floß immer<lb/> neuer, unerschöpflicher Stoff zu. Ein reicher Mann starb plötzlich an, einer<lb/> Indigestion ohne ein Testament zu machen, ein andrer baute ein großes Haus<lb/> in der Stadt oder aus einem Gute, jemand, der in beschränkten Verhältnissen war,<lb/> veranstaltete ein luxuriöses Gastmahl, dergleichen wurde bei allen Gastmählern,<lb/> in Thermen und Theatern besprochen, commentirt und kritisirt. Natürlich<lb/> war nichts willkommner als Verhältnisse aller Art zwischen beiden Geschlech¬<lb/> tern. Schon Properz wußte, , daß Cynthia nicht ungestraft schön sein durfte,<lb/> und daß der Schönheit die Nachrede als Buße beigesellt ist. Besonders unter<lb/> den Frauen fehlte es nicht an solchen, die alles wußten, was vorgegangen<lb/> war, und auch manches, was nicht vorgegangen war. Doch neben der Skan¬<lb/> dalchronik gab es im kaiserlichen Rom noch ein anderes, ebenso unerschöpfliches und<lb/> kaum minder beliebtes Thema der Unterhaltung, die Schauspiele. Die Bestre¬<lb/> bungen der Kaiser, das Volk durch Schauspiele zu beschäftigen und zu unter¬<lb/> halten, sind allbekannt, und wurden auch von den Zeitgenossen vollkommen<lb/> richtig beurtheilt. Schon dem Schöfffer des pantomimischen Ballets, das auf<lb/> der Bühne des kaiserlichen Rom in kurzem völlig dominirte. wird ein daraus<lb/> bezügliches kühnes Wort in den Mund gelegt. Als August ihm wegen seiner<lb/> Rivalität mit seinem Kunstgenossen Bathyll und der daraus im Publicum ent¬<lb/> standenen Spaltungen Vorwürfe machte, soll er geantwortet haben: „Es ist<lb/> dein Vortheil, Cäsar, wenn das Volk durch uns in Anspruch genommen wird.<lb/> Die kolossalen Anstrengungen der Cäsaren. die Interessen des Volks in diese<lb/> Bahn zu lenken, sind durch den Erfolg noch übertroffen wurden. Die Leiden-</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0114]
nur dach die Sucht, mit wichtigen und interessanten Neuigkeiten groß zu
thun veranlaßt. Seneca leitet diese Umträgerei aus dem Bedürfniß des
beschäftigten Müßiggangs" ab. die Zeit zu füllen, „daher." sagt er. „rührt
jenes scheußlichste Laster, die Horcherei, und Aufspürung von öffentlichen und
geheimen Angelegenheiten und die Wissenschaft vieler Dinge, die weder sicher
angehört noch sicher mitgetheilt werden." Dieser Umträgerei leisteten die un¬
geheuern Dienerschaften der großen Häuser außerordentlichen Vorschub. Ein
Reicher, sagt Juvenal. hat nie ein Geheimniß. Wenn seine Sklaven schwei¬
gen, reden seine Pferde und Hunde, seine Thürpfosten und Marmorwäude.
Er schließe seine Fenster, verstopfe die Spalten, lösche das Licht, und wenn
niemand bei ihm schläft, weiß doch vor Tagesanbruch der nächste Schenkwirth,
was er um die Zeit des zweiten Hahnenschreis gethan hat. Die Sklaven
fanden noch größeres Vergnügen darin, die Geheimnisse ihrer Herrschaft aus¬
zuplaudern, als gestohlenen Falerner zu trinken, und rächten sich für empfangene
Prügel durch Geschichten, die zu erfinden sie keineswegs blöde waren, die
Zunge war an ihnen der schlimmste Theil. So ging denn nicht leicht etwas
in der Gesellschaft vor, das nicht in den zunüchststehenden Kreisen sogleich
Gegenstand des Gesprächs geworden wäre, und der Konversation floß immer
neuer, unerschöpflicher Stoff zu. Ein reicher Mann starb plötzlich an, einer
Indigestion ohne ein Testament zu machen, ein andrer baute ein großes Haus
in der Stadt oder aus einem Gute, jemand, der in beschränkten Verhältnissen war,
veranstaltete ein luxuriöses Gastmahl, dergleichen wurde bei allen Gastmählern,
in Thermen und Theatern besprochen, commentirt und kritisirt. Natürlich
war nichts willkommner als Verhältnisse aller Art zwischen beiden Geschlech¬
tern. Schon Properz wußte, , daß Cynthia nicht ungestraft schön sein durfte,
und daß der Schönheit die Nachrede als Buße beigesellt ist. Besonders unter
den Frauen fehlte es nicht an solchen, die alles wußten, was vorgegangen
war, und auch manches, was nicht vorgegangen war. Doch neben der Skan¬
dalchronik gab es im kaiserlichen Rom noch ein anderes, ebenso unerschöpfliches und
kaum minder beliebtes Thema der Unterhaltung, die Schauspiele. Die Bestre¬
bungen der Kaiser, das Volk durch Schauspiele zu beschäftigen und zu unter¬
halten, sind allbekannt, und wurden auch von den Zeitgenossen vollkommen
richtig beurtheilt. Schon dem Schöfffer des pantomimischen Ballets, das auf
der Bühne des kaiserlichen Rom in kurzem völlig dominirte. wird ein daraus
bezügliches kühnes Wort in den Mund gelegt. Als August ihm wegen seiner
Rivalität mit seinem Kunstgenossen Bathyll und der daraus im Publicum ent¬
standenen Spaltungen Vorwürfe machte, soll er geantwortet haben: „Es ist
dein Vortheil, Cäsar, wenn das Volk durch uns in Anspruch genommen wird.
Die kolossalen Anstrengungen der Cäsaren. die Interessen des Volks in diese
Bahn zu lenken, sind durch den Erfolg noch übertroffen wurden. Die Leiden-
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