Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

machte, wurden immer sarkastischer, seit er sich aus dem Schmerz über die StaatS-
losigkcit Deutschlands in sein "System der Sittlichkeit" geflüchtet hatte. Er
spotrete der Deutschen, wie Platon der Athener spottete. Er bewunderte den
Corsen, wie Aristoteles den Macedonier bewunderte. Er theilte das Schick¬
sal und die Thorheit einiger der Besten seiner eignen Zeitgenossen. Wo
Hegel stand, ebenda stand auch Goethe. Abgedrängt von dem Boden gesunder
nationaler und polie-löcher Entwickelung hatte sich der deutsche Geists eine
Heimath in der Welt der Ideen gesucht. In dieser Welt hatte er das Herr¬
lichste und Glänzendste, ein Pantheon von Bildern und Gedanken, gegründet.
Er schwelgte in der Phantasieversöhnung von Idealem und Realen. Wenn
er hier dennoch etwas vermißte, so war es die Wahrheit der Wirklichkeit und
der Macht. Etwas Mächtigeres aber als dieser neue Welteroberer war lange
nicht unter den Menschen gesehen worden. So kam es, daß wir nicht ver¬
theidigten, was uns nicht am Herzen lag, daß wir uns dagegen leicht mit
der heroischen Größe versöhnten, die wir im Reiche unsrer Ideen unterbringen,
die der Dichter sich als das personificirte Schicksal vorstellen, der Philosoph
sich als die auf einem Pferde sitzende Weltseele construiren konnte.

Allein wie sehr diese Erklärung den Einzelnen entschuldigen mag, der
mit der Mehrzahl der Nation fehlte: sie wirb nur desto mehr zur Kritik einer
Geistesform und einer Gedankenweise, die eine so verzaubernde Wirkung übte.
Es lag eine tiefe Ironie darin, daß der "absolute Idealismus" sich in Bewun¬
derung an einen Mann wegwerfen mußte, welcher Zeit seines Lebens die
tiefste Verachtung gegen alle Ideologie bekannte. Es lag eine schwerere
Ironie darin, daß gerade diese Philosophie mit so unlerwerfungsbereiter und
unpatrivtischer Gesinnung gepaart sein mußte, -- diese Philosophie, die ihr
Staatsbild nach dem Muster jener edlen und freien Gemeinwesen entworfen
hatte, in denen der Einzelne sich in lebendigem Zusammenhange mit dem
Ganzen fühlte, -- gerade diese Philosophie, welche nach der Weise des alten
Athen und Sparta den Staat auf den Grund des Nationalgefühls gestellt
wissen wollte, und welche so schön von der."Schwäche der Sittlichkeit" zu
reden verstand, die mit der formellen Cultur Hand in Hand gehe, die "das
Unglück und die Schmach des Verlustes der Selbständigkeit dem Kampf und
dem Tode vorziehe." -- ES gab einen andern Philosophen, dessen Idealismus
dem Hegelschen an Schärfe nichts nachgab und dessen Staatsbild nicht die
Schönheit der alten Republiken wiederspiegelte. Aber Fichtes große Seele
wallte auf bei der Schmach deö zertretenen Vaterlandes. Zur Seite warf
er die staubige Metaphysik, und seine männliche Rede wurde zum Weckeruf
deö cingeschlunimerten Nationalgefühls. DaS macht: der Idealismus Fichtes
war bittrer Ernst; er war erwachsen auf der Wurzel deö Charakters, deS
Gefühls der Selbstständigkeit und der Freiheit: -- der Idealismus Hegels


machte, wurden immer sarkastischer, seit er sich aus dem Schmerz über die StaatS-
losigkcit Deutschlands in sein „System der Sittlichkeit" geflüchtet hatte. Er
spotrete der Deutschen, wie Platon der Athener spottete. Er bewunderte den
Corsen, wie Aristoteles den Macedonier bewunderte. Er theilte das Schick¬
sal und die Thorheit einiger der Besten seiner eignen Zeitgenossen. Wo
Hegel stand, ebenda stand auch Goethe. Abgedrängt von dem Boden gesunder
nationaler und polie-löcher Entwickelung hatte sich der deutsche Geists eine
Heimath in der Welt der Ideen gesucht. In dieser Welt hatte er das Herr¬
lichste und Glänzendste, ein Pantheon von Bildern und Gedanken, gegründet.
Er schwelgte in der Phantasieversöhnung von Idealem und Realen. Wenn
er hier dennoch etwas vermißte, so war es die Wahrheit der Wirklichkeit und
der Macht. Etwas Mächtigeres aber als dieser neue Welteroberer war lange
nicht unter den Menschen gesehen worden. So kam es, daß wir nicht ver¬
theidigten, was uns nicht am Herzen lag, daß wir uns dagegen leicht mit
der heroischen Größe versöhnten, die wir im Reiche unsrer Ideen unterbringen,
die der Dichter sich als das personificirte Schicksal vorstellen, der Philosoph
sich als die auf einem Pferde sitzende Weltseele construiren konnte.

Allein wie sehr diese Erklärung den Einzelnen entschuldigen mag, der
mit der Mehrzahl der Nation fehlte: sie wirb nur desto mehr zur Kritik einer
Geistesform und einer Gedankenweise, die eine so verzaubernde Wirkung übte.
Es lag eine tiefe Ironie darin, daß der „absolute Idealismus" sich in Bewun¬
derung an einen Mann wegwerfen mußte, welcher Zeit seines Lebens die
tiefste Verachtung gegen alle Ideologie bekannte. Es lag eine schwerere
Ironie darin, daß gerade diese Philosophie mit so unlerwerfungsbereiter und
unpatrivtischer Gesinnung gepaart sein mußte, — diese Philosophie, die ihr
Staatsbild nach dem Muster jener edlen und freien Gemeinwesen entworfen
hatte, in denen der Einzelne sich in lebendigem Zusammenhange mit dem
Ganzen fühlte, — gerade diese Philosophie, welche nach der Weise des alten
Athen und Sparta den Staat auf den Grund des Nationalgefühls gestellt
wissen wollte, und welche so schön von der.„Schwäche der Sittlichkeit" zu
reden verstand, die mit der formellen Cultur Hand in Hand gehe, die „das
Unglück und die Schmach des Verlustes der Selbständigkeit dem Kampf und
dem Tode vorziehe." — ES gab einen andern Philosophen, dessen Idealismus
dem Hegelschen an Schärfe nichts nachgab und dessen Staatsbild nicht die
Schönheit der alten Republiken wiederspiegelte. Aber Fichtes große Seele
wallte auf bei der Schmach deö zertretenen Vaterlandes. Zur Seite warf
er die staubige Metaphysik, und seine männliche Rede wurde zum Weckeruf
deö cingeschlunimerten Nationalgefühls. DaS macht: der Idealismus Fichtes
war bittrer Ernst; er war erwachsen auf der Wurzel deö Charakters, deS
Gefühls der Selbstständigkeit und der Freiheit: — der Idealismus Hegels


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0098" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104833"/>
          <p xml:id="ID_292" prev="#ID_291"> machte, wurden immer sarkastischer, seit er sich aus dem Schmerz über die StaatS-<lb/>
losigkcit Deutschlands in sein &#x201E;System der Sittlichkeit" geflüchtet hatte. Er<lb/>
spotrete der Deutschen, wie Platon der Athener spottete. Er bewunderte den<lb/>
Corsen, wie Aristoteles den Macedonier bewunderte. Er theilte das Schick¬<lb/>
sal und die Thorheit einiger der Besten seiner eignen Zeitgenossen. Wo<lb/>
Hegel stand, ebenda stand auch Goethe. Abgedrängt von dem Boden gesunder<lb/>
nationaler und polie-löcher Entwickelung hatte sich der deutsche Geists eine<lb/>
Heimath in der Welt der Ideen gesucht. In dieser Welt hatte er das Herr¬<lb/>
lichste und Glänzendste, ein Pantheon von Bildern und Gedanken, gegründet.<lb/>
Er schwelgte in der Phantasieversöhnung von Idealem und Realen. Wenn<lb/>
er hier dennoch etwas vermißte, so war es die Wahrheit der Wirklichkeit und<lb/>
der Macht. Etwas Mächtigeres aber als dieser neue Welteroberer war lange<lb/>
nicht unter den Menschen gesehen worden. So kam es, daß wir nicht ver¬<lb/>
theidigten, was uns nicht am Herzen lag, daß wir uns dagegen leicht mit<lb/>
der heroischen Größe versöhnten, die wir im Reiche unsrer Ideen unterbringen,<lb/>
die der Dichter sich als das personificirte Schicksal vorstellen, der Philosoph<lb/>
sich als die auf einem Pferde sitzende Weltseele construiren konnte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_293" next="#ID_294"> Allein wie sehr diese Erklärung den Einzelnen entschuldigen mag, der<lb/>
mit der Mehrzahl der Nation fehlte: sie wirb nur desto mehr zur Kritik einer<lb/>
Geistesform und einer Gedankenweise, die eine so verzaubernde Wirkung übte.<lb/>
Es lag eine tiefe Ironie darin, daß der &#x201E;absolute Idealismus" sich in Bewun¬<lb/>
derung an einen Mann wegwerfen mußte, welcher Zeit seines Lebens die<lb/>
tiefste Verachtung gegen alle Ideologie bekannte. Es lag eine schwerere<lb/>
Ironie darin, daß gerade diese Philosophie mit so unlerwerfungsbereiter und<lb/>
unpatrivtischer Gesinnung gepaart sein mußte, &#x2014; diese Philosophie, die ihr<lb/>
Staatsbild nach dem Muster jener edlen und freien Gemeinwesen entworfen<lb/>
hatte, in denen der Einzelne sich in lebendigem Zusammenhange mit dem<lb/>
Ganzen fühlte, &#x2014; gerade diese Philosophie, welche nach der Weise des alten<lb/>
Athen und Sparta den Staat auf den Grund des Nationalgefühls gestellt<lb/>
wissen wollte, und welche so schön von der.&#x201E;Schwäche der Sittlichkeit" zu<lb/>
reden verstand, die mit der formellen Cultur Hand in Hand gehe, die &#x201E;das<lb/>
Unglück und die Schmach des Verlustes der Selbständigkeit dem Kampf und<lb/>
dem Tode vorziehe." &#x2014; ES gab einen andern Philosophen, dessen Idealismus<lb/>
dem Hegelschen an Schärfe nichts nachgab und dessen Staatsbild nicht die<lb/>
Schönheit der alten Republiken wiederspiegelte. Aber Fichtes große Seele<lb/>
wallte auf bei der Schmach deö zertretenen Vaterlandes. Zur Seite warf<lb/>
er die staubige Metaphysik, und seine männliche Rede wurde zum Weckeruf<lb/>
deö cingeschlunimerten Nationalgefühls. DaS macht: der Idealismus Fichtes<lb/>
war bittrer Ernst; er war erwachsen auf der Wurzel deö Charakters, deS<lb/>
Gefühls der Selbstständigkeit und der Freiheit: &#x2014; der Idealismus Hegels</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0098] machte, wurden immer sarkastischer, seit er sich aus dem Schmerz über die StaatS- losigkcit Deutschlands in sein „System der Sittlichkeit" geflüchtet hatte. Er spotrete der Deutschen, wie Platon der Athener spottete. Er bewunderte den Corsen, wie Aristoteles den Macedonier bewunderte. Er theilte das Schick¬ sal und die Thorheit einiger der Besten seiner eignen Zeitgenossen. Wo Hegel stand, ebenda stand auch Goethe. Abgedrängt von dem Boden gesunder nationaler und polie-löcher Entwickelung hatte sich der deutsche Geists eine Heimath in der Welt der Ideen gesucht. In dieser Welt hatte er das Herr¬ lichste und Glänzendste, ein Pantheon von Bildern und Gedanken, gegründet. Er schwelgte in der Phantasieversöhnung von Idealem und Realen. Wenn er hier dennoch etwas vermißte, so war es die Wahrheit der Wirklichkeit und der Macht. Etwas Mächtigeres aber als dieser neue Welteroberer war lange nicht unter den Menschen gesehen worden. So kam es, daß wir nicht ver¬ theidigten, was uns nicht am Herzen lag, daß wir uns dagegen leicht mit der heroischen Größe versöhnten, die wir im Reiche unsrer Ideen unterbringen, die der Dichter sich als das personificirte Schicksal vorstellen, der Philosoph sich als die auf einem Pferde sitzende Weltseele construiren konnte. Allein wie sehr diese Erklärung den Einzelnen entschuldigen mag, der mit der Mehrzahl der Nation fehlte: sie wirb nur desto mehr zur Kritik einer Geistesform und einer Gedankenweise, die eine so verzaubernde Wirkung übte. Es lag eine tiefe Ironie darin, daß der „absolute Idealismus" sich in Bewun¬ derung an einen Mann wegwerfen mußte, welcher Zeit seines Lebens die tiefste Verachtung gegen alle Ideologie bekannte. Es lag eine schwerere Ironie darin, daß gerade diese Philosophie mit so unlerwerfungsbereiter und unpatrivtischer Gesinnung gepaart sein mußte, — diese Philosophie, die ihr Staatsbild nach dem Muster jener edlen und freien Gemeinwesen entworfen hatte, in denen der Einzelne sich in lebendigem Zusammenhange mit dem Ganzen fühlte, — gerade diese Philosophie, welche nach der Weise des alten Athen und Sparta den Staat auf den Grund des Nationalgefühls gestellt wissen wollte, und welche so schön von der.„Schwäche der Sittlichkeit" zu reden verstand, die mit der formellen Cultur Hand in Hand gehe, die „das Unglück und die Schmach des Verlustes der Selbständigkeit dem Kampf und dem Tode vorziehe." — ES gab einen andern Philosophen, dessen Idealismus dem Hegelschen an Schärfe nichts nachgab und dessen Staatsbild nicht die Schönheit der alten Republiken wiederspiegelte. Aber Fichtes große Seele wallte auf bei der Schmach deö zertretenen Vaterlandes. Zur Seite warf er die staubige Metaphysik, und seine männliche Rede wurde zum Weckeruf deö cingeschlunimerten Nationalgefühls. DaS macht: der Idealismus Fichtes war bittrer Ernst; er war erwachsen auf der Wurzel deö Charakters, deS Gefühls der Selbstständigkeit und der Freiheit: — der Idealismus Hegels

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/98
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/98>, abgerufen am 23.07.2024.