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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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war. Darum ist Tasso kein wirkliches Drama: es geschieht in ihm nichts,
sondern die einzelnen Personen lernen nur daS Vorhandene klar durchschaun.
Tasso ist Dichter genug, um sich schon vor Aufgehn des VerHangs die letzte
Scene auszumalen, und hätte er in Deutschland gelebt, so würde er sich nach
Italien gesehnt haben, wo man dem, den man wirklich liebt, kein Hinweg!
zuruft.

Daß Goethe in Weimar nicht ganz an seinem Ort war, hat man, wenn
auch nur dunkel, schon allenthalben gefühlt; weniger Aufmerksamkeit hat man
auf den Herzog gewandt, bei dem doch das Mißverhältniß noch viel auffallen¬
der war. Es schlummerten Kräfte in ihm, die auch in dem glänzenden geisti¬
gen Verkehr mit den ersten Dichtern Deutschlands ihre vollständige Befriedigung
nicht fanden, die einen größern Schauplatz verlangten und die ihn daher un¬
ruhig und unbehaglich machten. Noch im Jahr 1783 schildert Goethe diesen
Zustand in ziemlich starken Farben:


Ein edles Herz, vom Wege der Natur
Durch enges Schicksal abgeleitet,
Das ahnungsvoll nun auf der rechten Spur
Bald mit sich selbst und bald mit Zauberschatten streitet,
Und was ihm das Geschick durch die Geburt geschenkt,
Mit Müh und Schweiß erst zu erringen denkt.
Kein liebevolles Wort kann seinen Geist enthüllen
Und kein Gesang die hohen Wogen stillen....
Gewiß, ihm geben auch die Jahre
Die rechte Richtung seiner Kraft,
Noch ist bei tiefer Neigung für das Wahre
Ihm Irrthum eine Leidenschaft ....
Und düster wild am heitern Tage,
Unbändig ohne froh zu sein,
Schläft er, an Seel und Leib verwundet und zerschlagen,
Aus einem harten Lager ein.

Es war das nicht blos der Ungestüm der Jugend der ihn verzehrte, wie
es Goethe aufzufassen scheint, es war der Thatendrang, der mit dem Bewußt¬
sein einer richtigen Einsicht und eines starken Willens verbunden, den edlen
Fürsten, wenn auch nur instinktmäßig fühlen ließ, daß er seine richtige Sphäre
nicht gefunden habe. In höherem Grade als irgend ein Fürst seiner Zeit
besaß der Herzog, was Goethe fast ganz abging, das deutsche Nationalgefühl
auch in politischer Beziehung. Es ist eine Thorheit und ein Frevel, Goethe
die deutsche Gesinnung überhaupt absprechen zu wollen, er war trotz einzelner
unmuthigen Ausfälle gegen Deutschland nicht blos in seinem tiefsten Herzen
ein Deutscher, er wußte nicht blos die schönen Gestalten der vaterländischen
Vorzeit in kräftigen Farben wiederzugeben, sondern er hatte auch ein


war. Darum ist Tasso kein wirkliches Drama: es geschieht in ihm nichts,
sondern die einzelnen Personen lernen nur daS Vorhandene klar durchschaun.
Tasso ist Dichter genug, um sich schon vor Aufgehn des VerHangs die letzte
Scene auszumalen, und hätte er in Deutschland gelebt, so würde er sich nach
Italien gesehnt haben, wo man dem, den man wirklich liebt, kein Hinweg!
zuruft.

Daß Goethe in Weimar nicht ganz an seinem Ort war, hat man, wenn
auch nur dunkel, schon allenthalben gefühlt; weniger Aufmerksamkeit hat man
auf den Herzog gewandt, bei dem doch das Mißverhältniß noch viel auffallen¬
der war. Es schlummerten Kräfte in ihm, die auch in dem glänzenden geisti¬
gen Verkehr mit den ersten Dichtern Deutschlands ihre vollständige Befriedigung
nicht fanden, die einen größern Schauplatz verlangten und die ihn daher un¬
ruhig und unbehaglich machten. Noch im Jahr 1783 schildert Goethe diesen
Zustand in ziemlich starken Farben:


Ein edles Herz, vom Wege der Natur
Durch enges Schicksal abgeleitet,
Das ahnungsvoll nun auf der rechten Spur
Bald mit sich selbst und bald mit Zauberschatten streitet,
Und was ihm das Geschick durch die Geburt geschenkt,
Mit Müh und Schweiß erst zu erringen denkt.
Kein liebevolles Wort kann seinen Geist enthüllen
Und kein Gesang die hohen Wogen stillen....
Gewiß, ihm geben auch die Jahre
Die rechte Richtung seiner Kraft,
Noch ist bei tiefer Neigung für das Wahre
Ihm Irrthum eine Leidenschaft ....
Und düster wild am heitern Tage,
Unbändig ohne froh zu sein,
Schläft er, an Seel und Leib verwundet und zerschlagen,
Aus einem harten Lager ein.

Es war das nicht blos der Ungestüm der Jugend der ihn verzehrte, wie
es Goethe aufzufassen scheint, es war der Thatendrang, der mit dem Bewußt¬
sein einer richtigen Einsicht und eines starken Willens verbunden, den edlen
Fürsten, wenn auch nur instinktmäßig fühlen ließ, daß er seine richtige Sphäre
nicht gefunden habe. In höherem Grade als irgend ein Fürst seiner Zeit
besaß der Herzog, was Goethe fast ganz abging, das deutsche Nationalgefühl
auch in politischer Beziehung. Es ist eine Thorheit und ein Frevel, Goethe
die deutsche Gesinnung überhaupt absprechen zu wollen, er war trotz einzelner
unmuthigen Ausfälle gegen Deutschland nicht blos in seinem tiefsten Herzen
ein Deutscher, er wußte nicht blos die schönen Gestalten der vaterländischen
Vorzeit in kräftigen Farben wiederzugeben, sondern er hatte auch ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/94>, abgerufen am 23.07.2024.