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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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vier Wochen eigentliches Behagen gehabt. Es war daS ewige Wälzen eines
Steins, der immer von neuem gehoben sein wollte. Der Ansprüche an meine
Thätigkeit, sowol von anßen als von innen, waren zu viel. Mein eigentliches
Glück war mein poetisches Sinnen und Schaffen. Allein wie sehr war dies
durch meine äußere Stellung gestört, beschränkt, gehindert. Hätte ich mich
mehr vom öffentlichen und geschäftlichen Wirken und Treiben zurückgehalten
und mehr in der Einsamkeit leben können, ich wäre glücklicher gewesen uno
würde als Dichter mehr gemacht haben. Ein weit verbreiteter Name, eine
hohe Stellung im Leben sind gute Dinge, allein mit all meinem Namen und
Stande habe ich es nicht weiter gebracht, als daß ick, um nicht zu ver¬
letzen, zu der Meinung anderer schweige." -- Wol kann man sich vor¬
stellen, daß es dem Dichter peinlich sein mußte, sich mit steifen Kollegen an
den Actentisch zu setzen und gleich Egmont, was leicht zu entscheiden war,
mit ihnen in wechselnden Berathungen zu überlegen. Nicht blos seine Amts-
geschäfte, auch die wilden Zerstreuungen, in denen er als leidenschaftlicher Jüng¬
ling den Ton angab, mochten in reiferen Jahren, da er sich ihnen doch nicht ganz
entziehn konnte, sein künstlerisches Gewissen drücken. Aber daS war doch nicht
der wahre Grund. Der Dichter kann nicht immer schaffen, und was in seineu
Geschäften und Zerstreuungen für die unmittelbare Ausübung der Kunst ver¬
loren ging, gewann der Mensch und dadurch mittelbar wieder der Poet. Man
hat in neuerer Zeit mit Recht rühmend anerkannt, wie ernsthaft sich Goethe
seines Amts annahm, man muß aber hinzusetzen, daß ihm noch immer sehr
viel Muße übrig blieb, mehr als einem amtlosen Schriftsteller wie Schiller,
der in schriftstellerischen Arbeiten für das tägliche Brot manche köstliche Zeit aus¬
geben mußte. Aber der schlimmste Umstand für Goethe war die fortwährende
Vermischung des idealen und wirklichen Lebens, und die Verschwendung seiner
Poetischen Kraft an frivole Zwecke. Freilich sind auch in jener Zeit Werke
entstünden, die ewig leben werden, aber wie viel mehr hätte er geleistet, wenn
er nicht theils durch Neigung, theils gradezu durch äußere Pflicht genöthigt
gewesen wäre, den geistreichen und daher anspruchsvollen Kreis deS Hofes
durch seine Festspiele zu belustigen. Man sehe in den oben genannten Büchern
die Verzeichnisse der Lustbarkeiten an, die sich bis zur Periode der italienischen
Reise Tag aus Tag ein aufeinander drängten. Was für ein Geist, was für
ein Gemüth ist an dieses Spiel heillos vergeudet worden! und die nachtheilige
Folge lag nicht blos darin, daß dieses spielende Produciren dem ernsten künst¬
lerischen Schaffen viel Raum entzog, sie ging tiefer: Goethe wurde dadurch
verführt, sich auch in seinen größern Werken der Inspiration deS Augenblicks
zu überlassen und -- man verzeihe den unehrerbietigem Ausdruck, der aber das
Wesen der Sache bezeichnet -- dilettantisch zu arbeiten. Die großen Dichter
aller Nationen waren äußerlich und innerlich genöthigt, für einen bestimmten


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vier Wochen eigentliches Behagen gehabt. Es war daS ewige Wälzen eines
Steins, der immer von neuem gehoben sein wollte. Der Ansprüche an meine
Thätigkeit, sowol von anßen als von innen, waren zu viel. Mein eigentliches
Glück war mein poetisches Sinnen und Schaffen. Allein wie sehr war dies
durch meine äußere Stellung gestört, beschränkt, gehindert. Hätte ich mich
mehr vom öffentlichen und geschäftlichen Wirken und Treiben zurückgehalten
und mehr in der Einsamkeit leben können, ich wäre glücklicher gewesen uno
würde als Dichter mehr gemacht haben. Ein weit verbreiteter Name, eine
hohe Stellung im Leben sind gute Dinge, allein mit all meinem Namen und
Stande habe ich es nicht weiter gebracht, als daß ick, um nicht zu ver¬
letzen, zu der Meinung anderer schweige." — Wol kann man sich vor¬
stellen, daß es dem Dichter peinlich sein mußte, sich mit steifen Kollegen an
den Actentisch zu setzen und gleich Egmont, was leicht zu entscheiden war,
mit ihnen in wechselnden Berathungen zu überlegen. Nicht blos seine Amts-
geschäfte, auch die wilden Zerstreuungen, in denen er als leidenschaftlicher Jüng¬
ling den Ton angab, mochten in reiferen Jahren, da er sich ihnen doch nicht ganz
entziehn konnte, sein künstlerisches Gewissen drücken. Aber daS war doch nicht
der wahre Grund. Der Dichter kann nicht immer schaffen, und was in seineu
Geschäften und Zerstreuungen für die unmittelbare Ausübung der Kunst ver¬
loren ging, gewann der Mensch und dadurch mittelbar wieder der Poet. Man
hat in neuerer Zeit mit Recht rühmend anerkannt, wie ernsthaft sich Goethe
seines Amts annahm, man muß aber hinzusetzen, daß ihm noch immer sehr
viel Muße übrig blieb, mehr als einem amtlosen Schriftsteller wie Schiller,
der in schriftstellerischen Arbeiten für das tägliche Brot manche köstliche Zeit aus¬
geben mußte. Aber der schlimmste Umstand für Goethe war die fortwährende
Vermischung des idealen und wirklichen Lebens, und die Verschwendung seiner
Poetischen Kraft an frivole Zwecke. Freilich sind auch in jener Zeit Werke
entstünden, die ewig leben werden, aber wie viel mehr hätte er geleistet, wenn
er nicht theils durch Neigung, theils gradezu durch äußere Pflicht genöthigt
gewesen wäre, den geistreichen und daher anspruchsvollen Kreis deS Hofes
durch seine Festspiele zu belustigen. Man sehe in den oben genannten Büchern
die Verzeichnisse der Lustbarkeiten an, die sich bis zur Periode der italienischen
Reise Tag aus Tag ein aufeinander drängten. Was für ein Geist, was für
ein Gemüth ist an dieses Spiel heillos vergeudet worden! und die nachtheilige
Folge lag nicht blos darin, daß dieses spielende Produciren dem ernsten künst¬
lerischen Schaffen viel Raum entzog, sie ging tiefer: Goethe wurde dadurch
verführt, sich auch in seinen größern Werken der Inspiration deS Augenblicks
zu überlassen und — man verzeihe den unehrerbietigem Ausdruck, der aber das
Wesen der Sache bezeichnet — dilettantisch zu arbeiten. Die großen Dichter
aller Nationen waren äußerlich und innerlich genöthigt, für einen bestimmten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/91>, abgerufen am 23.07.2024.