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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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geschmack ein Marienlied, daS mit der Vermuthung schließt "die Erschaf¬
fung Mariens Seitens it srw 8iANore sei -- wer weiß! -- wol gar da vor
sich gegangen, wo einst das Paradies war, -- sie habe gar zu sehr daS Lächeln
der Mutter Eva!"

Daß grad-j nach einem so stqrk die Phantasie in Anspruch nehmende"
Seitenblick ein Deutscher sich als Ur. 27 des Programms vorführen muß, ver¬
anlaßt seinen anwesenden Landsleuten nicht geringe Beklemmungen, zumal die
ersten Laute den nicht eben wohlklingenden Dialekt Siebenbürgens verrathen.
Weder El! noch Ach! wird uns geschenkt und wir überzeugen uns zum hun¬
dertsten Male, daß unsere Mutersprache es an Wohlklang und Kraft mit nicht
gar vielen andern Sprachen aufnehmen kann. Nach dem Schluß der
übrigens trefflich declamirten 12 Strophen, die von vorn herein die Unter¬
werfung des Verstandes unter den Ausspruch der Kirche betonten, folgt rau¬
schender Beifall dem Abtretenden, und die anwesenden Deutschen vergeben dem
Sign. Francesco Richter um dieses olympischen Erfolges willen die über¬
standen Angst.

Besser freilich noch zieht sich Sign. Giuseppe Helfer aus Freiburg aus
der Klemme. Er führt im schweizer Dialekt einen der Hellebardiere des Pap¬
stes vor. Horchend steht der Bursche an der Thür, als der Papst das neue
Dogma verkündet. Das ist ein Jubeln, Küssen, Läuten, Kanoniren "Heute
lernt man, was eS heißt: Katholik sein!" Aber ein Kummer beschleicht
ihn. Warum hatte Maria doch nicht schon eine schweizer Leibwache! Was
hätten die 3 Magier für Augen gemacht! "Zurück! Zurück!" wäre die Parole
gewesen, wo immer ein nicht ganz Glaubensfester Zutritt verlangt hätte. He-
rodes würde mit der Hellebarde an die Luft gesetzt worden sein. Kaum wären
die p-lFFl (die Pagen oder Kämmerlinge deS Papstes) eingelassen worden.

Gegen diese BurleSque bleibt der Däne, Sign. Giovanni Zurzick aus
Kopenhagen, in entschiedenem Nachtheil. Vergebens weist er auf den Märtyrer,
König Kanne zurück. Man ist noch zu voll von der voraufgegangenen
Posse und läßt den Skandinavier unbeklatscht seinen Sitz wieder aufsuchen.

Ein Negerknabe, Sign. Teodoro Nibeira aus Rio-Janeiro, erobert sich
dagegen rasch die allgemeine Aufmerksamkeit. Ungleich dem Leidtragenden, dem
der Trauerrock fehlte und der dn meinte, eS genüge, wenn'S Herz nur schwarz
sei, beruft sich der Neger auf sein Herz als gar nicht schwarz, sondern ganz
für Maria entflammt, möge er selbst von außen auch noch so köhlerschwarz
ausschauen.

Ihm folgt ein Russe, Sign. Rousseau aus Taganrog, dessen saubre, weiche
Sprache eigenthümlich gegen den Eindruck seiner breiten mongolischen Gesichts-
bildung abstichi. Dann citirt Sign. Svppi aus Binya in Mazedonien in al¬
banischer, dem Italienischen verwandt klingender Sprache den Koranausleger


Grenzboten. IV. 1867. 9

geschmack ein Marienlied, daS mit der Vermuthung schließt „die Erschaf¬
fung Mariens Seitens it srw 8iANore sei — wer weiß! — wol gar da vor
sich gegangen, wo einst das Paradies war, — sie habe gar zu sehr daS Lächeln
der Mutter Eva!"

Daß grad-j nach einem so stqrk die Phantasie in Anspruch nehmende»
Seitenblick ein Deutscher sich als Ur. 27 des Programms vorführen muß, ver¬
anlaßt seinen anwesenden Landsleuten nicht geringe Beklemmungen, zumal die
ersten Laute den nicht eben wohlklingenden Dialekt Siebenbürgens verrathen.
Weder El! noch Ach! wird uns geschenkt und wir überzeugen uns zum hun¬
dertsten Male, daß unsere Mutersprache es an Wohlklang und Kraft mit nicht
gar vielen andern Sprachen aufnehmen kann. Nach dem Schluß der
übrigens trefflich declamirten 12 Strophen, die von vorn herein die Unter¬
werfung des Verstandes unter den Ausspruch der Kirche betonten, folgt rau¬
schender Beifall dem Abtretenden, und die anwesenden Deutschen vergeben dem
Sign. Francesco Richter um dieses olympischen Erfolges willen die über¬
standen Angst.

Besser freilich noch zieht sich Sign. Giuseppe Helfer aus Freiburg aus
der Klemme. Er führt im schweizer Dialekt einen der Hellebardiere des Pap¬
stes vor. Horchend steht der Bursche an der Thür, als der Papst das neue
Dogma verkündet. Das ist ein Jubeln, Küssen, Läuten, Kanoniren „Heute
lernt man, was eS heißt: Katholik sein!" Aber ein Kummer beschleicht
ihn. Warum hatte Maria doch nicht schon eine schweizer Leibwache! Was
hätten die 3 Magier für Augen gemacht! „Zurück! Zurück!" wäre die Parole
gewesen, wo immer ein nicht ganz Glaubensfester Zutritt verlangt hätte. He-
rodes würde mit der Hellebarde an die Luft gesetzt worden sein. Kaum wären
die p-lFFl (die Pagen oder Kämmerlinge deS Papstes) eingelassen worden.

Gegen diese BurleSque bleibt der Däne, Sign. Giovanni Zurzick aus
Kopenhagen, in entschiedenem Nachtheil. Vergebens weist er auf den Märtyrer,
König Kanne zurück. Man ist noch zu voll von der voraufgegangenen
Posse und läßt den Skandinavier unbeklatscht seinen Sitz wieder aufsuchen.

Ein Negerknabe, Sign. Teodoro Nibeira aus Rio-Janeiro, erobert sich
dagegen rasch die allgemeine Aufmerksamkeit. Ungleich dem Leidtragenden, dem
der Trauerrock fehlte und der dn meinte, eS genüge, wenn'S Herz nur schwarz
sei, beruft sich der Neger auf sein Herz als gar nicht schwarz, sondern ganz
für Maria entflammt, möge er selbst von außen auch noch so köhlerschwarz
ausschauen.

Ihm folgt ein Russe, Sign. Rousseau aus Taganrog, dessen saubre, weiche
Sprache eigenthümlich gegen den Eindruck seiner breiten mongolischen Gesichts-
bildung abstichi. Dann citirt Sign. Svppi aus Binya in Mazedonien in al¬
banischer, dem Italienischen verwandt klingender Sprache den Koranausleger


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[0073] geschmack ein Marienlied, daS mit der Vermuthung schließt „die Erschaf¬ fung Mariens Seitens it srw 8iANore sei — wer weiß! — wol gar da vor sich gegangen, wo einst das Paradies war, — sie habe gar zu sehr daS Lächeln der Mutter Eva!" Daß grad-j nach einem so stqrk die Phantasie in Anspruch nehmende» Seitenblick ein Deutscher sich als Ur. 27 des Programms vorführen muß, ver¬ anlaßt seinen anwesenden Landsleuten nicht geringe Beklemmungen, zumal die ersten Laute den nicht eben wohlklingenden Dialekt Siebenbürgens verrathen. Weder El! noch Ach! wird uns geschenkt und wir überzeugen uns zum hun¬ dertsten Male, daß unsere Mutersprache es an Wohlklang und Kraft mit nicht gar vielen andern Sprachen aufnehmen kann. Nach dem Schluß der übrigens trefflich declamirten 12 Strophen, die von vorn herein die Unter¬ werfung des Verstandes unter den Ausspruch der Kirche betonten, folgt rau¬ schender Beifall dem Abtretenden, und die anwesenden Deutschen vergeben dem Sign. Francesco Richter um dieses olympischen Erfolges willen die über¬ standen Angst. Besser freilich noch zieht sich Sign. Giuseppe Helfer aus Freiburg aus der Klemme. Er führt im schweizer Dialekt einen der Hellebardiere des Pap¬ stes vor. Horchend steht der Bursche an der Thür, als der Papst das neue Dogma verkündet. Das ist ein Jubeln, Küssen, Läuten, Kanoniren „Heute lernt man, was eS heißt: Katholik sein!" Aber ein Kummer beschleicht ihn. Warum hatte Maria doch nicht schon eine schweizer Leibwache! Was hätten die 3 Magier für Augen gemacht! „Zurück! Zurück!" wäre die Parole gewesen, wo immer ein nicht ganz Glaubensfester Zutritt verlangt hätte. He- rodes würde mit der Hellebarde an die Luft gesetzt worden sein. Kaum wären die p-lFFl (die Pagen oder Kämmerlinge deS Papstes) eingelassen worden. Gegen diese BurleSque bleibt der Däne, Sign. Giovanni Zurzick aus Kopenhagen, in entschiedenem Nachtheil. Vergebens weist er auf den Märtyrer, König Kanne zurück. Man ist noch zu voll von der voraufgegangenen Posse und läßt den Skandinavier unbeklatscht seinen Sitz wieder aufsuchen. Ein Negerknabe, Sign. Teodoro Nibeira aus Rio-Janeiro, erobert sich dagegen rasch die allgemeine Aufmerksamkeit. Ungleich dem Leidtragenden, dem der Trauerrock fehlte und der dn meinte, eS genüge, wenn'S Herz nur schwarz sei, beruft sich der Neger auf sein Herz als gar nicht schwarz, sondern ganz für Maria entflammt, möge er selbst von außen auch noch so köhlerschwarz ausschauen. Ihm folgt ein Russe, Sign. Rousseau aus Taganrog, dessen saubre, weiche Sprache eigenthümlich gegen den Eindruck seiner breiten mongolischen Gesichts- bildung abstichi. Dann citirt Sign. Svppi aus Binya in Mazedonien in al¬ banischer, dem Italienischen verwandt klingender Sprache den Koranausleger Grenzboten. IV. 1867. 9

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/73>, abgerufen am 23.07.2024.