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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Publicum auf die Maßregeln vorbereiten, welche die Negierung gegen so ge.
fährliche Feinde des Staates und deS Kaisers zu ergreifen genöthigt sein
würde.

Außer Nachrichten, welche das Gebiet der öffentlichen Angelegenheiten
betrafen, fand noch gar manche Mittheilung im Staatsanzeiger Platz, die von
allgemeinem Interesse sein konnte. Da wurden Leichenbegängnisse hoher Per¬
sonen ausführlich beschrieben, die sämmtlichen anwesenden Leidtragenden auf¬
geführt und der Antheil berichtet, den sie an den Trauerfeierlichkeiten genom¬
men hatten. Aus einem solchen Bericht schöpft z. B. Tacitus bei der Beschrei¬
bung von Germanicus Bestattung. Ferner verbreiteten sich die officiellen
Urkunden über große Bauten der Kaiser in Rom; auch verfehlten sie nicht,
wunderbare Naturereignisse zu registriren, wie z. B. im Jahre i6 n. Chr., daß
der Vogel Phönir in Aegypten eingefangen, nach Rom gebracht und öffent¬
lich ausgestellt worden sei, wozu Plinius bemerkt, eS sei natürlich nur ein un-
echter gewesen. Selbst solche merkwürdige Geschichten, wie sie in den Feuille¬
tons moderner Localblätter zur Erbauung der Spießbürger berichtet werden,
kamen vor. Z. B. im Jahr 3 v. Chr. am 11. April. C. Crispinus Hilarus
aus einer achtbaren plebejischen Familie von Faesuli (Fiesole) habe in einer großen
feierlichen Procession, begleitet von neun Kindern, worunter zwei Töchter, von
stebenundzwanzig Enkeln, acht Enkelinnen und neunundzwanzig Urenkelinnen
dem Jupiter auf dem Capttol ein Opfer dargebracht. Vermuthlich wurde der
Familicnsegen dieses ehrwürdigen Patriarchen nicht blos als Naturmerkwür¬
digkeit berichtet, sondern in der Absicht, der Zeit, in welcher die Ehelosigkeit
trotz aller Gegelunaßregcln in der bedenklichsten Weise zunahm, und die Ehe
zur Mythe zu werden drohte, ein leuchtendes Beispiel vorzuhalten. Dagegen
hat folgende Geschichte (von Plinius aus derselben Quelle vom 10. Januar
27 n. Chr. berichtet) offenbar nur das Interesse der Naturmerkwürdigkeit. Als
Titius Sabinuö, ein Opfer des liberianischen Despotismus, mit seinen Skla¬
ven zum Tode verurtheilt worden, habe man den Hund eines der letztern nicht
von seinem Herrn zu trennen vermocht; er sei auch von der Leiche nicht ge.
wichen, und habe ein ihm zugeworfenes Stück Brod zu deren Munde hin¬
getragen. Als man endlich den Leichnam in die Tiber geworfen, habe er sich
nachgestürzt, und schwimmend ihn üver dem Wasser zu erhalten gesucht, wäh¬
rend das Volk von allen Seiten zusammenströmte, um die Treue dieses Thieres
zu bewundern. -- Endlich wurden auch Geburteir und vermuthlich Todesfälle,
doch wahrscheinlich nur aus vornehmen Familien, bekannt gemacht.

Nach diesen Notizen, die von ältern und neuern Alterthumsforschern
(zuletzt von W. A. Schmidt in Zürich) zusammengestellt worden sind, kann
man sich ein ungefähres Bild von dem Inhalt der acts "Ziurna und dem Geist
machen, in dem sie in der Kaiserzeit redigirt wurden. Wenn nun bei dem


Publicum auf die Maßregeln vorbereiten, welche die Negierung gegen so ge.
fährliche Feinde des Staates und deS Kaisers zu ergreifen genöthigt sein
würde.

Außer Nachrichten, welche das Gebiet der öffentlichen Angelegenheiten
betrafen, fand noch gar manche Mittheilung im Staatsanzeiger Platz, die von
allgemeinem Interesse sein konnte. Da wurden Leichenbegängnisse hoher Per¬
sonen ausführlich beschrieben, die sämmtlichen anwesenden Leidtragenden auf¬
geführt und der Antheil berichtet, den sie an den Trauerfeierlichkeiten genom¬
men hatten. Aus einem solchen Bericht schöpft z. B. Tacitus bei der Beschrei¬
bung von Germanicus Bestattung. Ferner verbreiteten sich die officiellen
Urkunden über große Bauten der Kaiser in Rom; auch verfehlten sie nicht,
wunderbare Naturereignisse zu registriren, wie z. B. im Jahre i6 n. Chr., daß
der Vogel Phönir in Aegypten eingefangen, nach Rom gebracht und öffent¬
lich ausgestellt worden sei, wozu Plinius bemerkt, eS sei natürlich nur ein un-
echter gewesen. Selbst solche merkwürdige Geschichten, wie sie in den Feuille¬
tons moderner Localblätter zur Erbauung der Spießbürger berichtet werden,
kamen vor. Z. B. im Jahr 3 v. Chr. am 11. April. C. Crispinus Hilarus
aus einer achtbaren plebejischen Familie von Faesuli (Fiesole) habe in einer großen
feierlichen Procession, begleitet von neun Kindern, worunter zwei Töchter, von
stebenundzwanzig Enkeln, acht Enkelinnen und neunundzwanzig Urenkelinnen
dem Jupiter auf dem Capttol ein Opfer dargebracht. Vermuthlich wurde der
Familicnsegen dieses ehrwürdigen Patriarchen nicht blos als Naturmerkwür¬
digkeit berichtet, sondern in der Absicht, der Zeit, in welcher die Ehelosigkeit
trotz aller Gegelunaßregcln in der bedenklichsten Weise zunahm, und die Ehe
zur Mythe zu werden drohte, ein leuchtendes Beispiel vorzuhalten. Dagegen
hat folgende Geschichte (von Plinius aus derselben Quelle vom 10. Januar
27 n. Chr. berichtet) offenbar nur das Interesse der Naturmerkwürdigkeit. Als
Titius Sabinuö, ein Opfer des liberianischen Despotismus, mit seinen Skla¬
ven zum Tode verurtheilt worden, habe man den Hund eines der letztern nicht
von seinem Herrn zu trennen vermocht; er sei auch von der Leiche nicht ge.
wichen, und habe ein ihm zugeworfenes Stück Brod zu deren Munde hin¬
getragen. Als man endlich den Leichnam in die Tiber geworfen, habe er sich
nachgestürzt, und schwimmend ihn üver dem Wasser zu erhalten gesucht, wäh¬
rend das Volk von allen Seiten zusammenströmte, um die Treue dieses Thieres
zu bewundern. — Endlich wurden auch Geburteir und vermuthlich Todesfälle,
doch wahrscheinlich nur aus vornehmen Familien, bekannt gemacht.

Nach diesen Notizen, die von ältern und neuern Alterthumsforschern
(zuletzt von W. A. Schmidt in Zürich) zusammengestellt worden sind, kann
man sich ein ungefähres Bild von dem Inhalt der acts «Ziurna und dem Geist
machen, in dem sie in der Kaiserzeit redigirt wurden. Wenn nun bei dem


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[0063] Publicum auf die Maßregeln vorbereiten, welche die Negierung gegen so ge. fährliche Feinde des Staates und deS Kaisers zu ergreifen genöthigt sein würde. Außer Nachrichten, welche das Gebiet der öffentlichen Angelegenheiten betrafen, fand noch gar manche Mittheilung im Staatsanzeiger Platz, die von allgemeinem Interesse sein konnte. Da wurden Leichenbegängnisse hoher Per¬ sonen ausführlich beschrieben, die sämmtlichen anwesenden Leidtragenden auf¬ geführt und der Antheil berichtet, den sie an den Trauerfeierlichkeiten genom¬ men hatten. Aus einem solchen Bericht schöpft z. B. Tacitus bei der Beschrei¬ bung von Germanicus Bestattung. Ferner verbreiteten sich die officiellen Urkunden über große Bauten der Kaiser in Rom; auch verfehlten sie nicht, wunderbare Naturereignisse zu registriren, wie z. B. im Jahre i6 n. Chr., daß der Vogel Phönir in Aegypten eingefangen, nach Rom gebracht und öffent¬ lich ausgestellt worden sei, wozu Plinius bemerkt, eS sei natürlich nur ein un- echter gewesen. Selbst solche merkwürdige Geschichten, wie sie in den Feuille¬ tons moderner Localblätter zur Erbauung der Spießbürger berichtet werden, kamen vor. Z. B. im Jahr 3 v. Chr. am 11. April. C. Crispinus Hilarus aus einer achtbaren plebejischen Familie von Faesuli (Fiesole) habe in einer großen feierlichen Procession, begleitet von neun Kindern, worunter zwei Töchter, von stebenundzwanzig Enkeln, acht Enkelinnen und neunundzwanzig Urenkelinnen dem Jupiter auf dem Capttol ein Opfer dargebracht. Vermuthlich wurde der Familicnsegen dieses ehrwürdigen Patriarchen nicht blos als Naturmerkwür¬ digkeit berichtet, sondern in der Absicht, der Zeit, in welcher die Ehelosigkeit trotz aller Gegelunaßregcln in der bedenklichsten Weise zunahm, und die Ehe zur Mythe zu werden drohte, ein leuchtendes Beispiel vorzuhalten. Dagegen hat folgende Geschichte (von Plinius aus derselben Quelle vom 10. Januar 27 n. Chr. berichtet) offenbar nur das Interesse der Naturmerkwürdigkeit. Als Titius Sabinuö, ein Opfer des liberianischen Despotismus, mit seinen Skla¬ ven zum Tode verurtheilt worden, habe man den Hund eines der letztern nicht von seinem Herrn zu trennen vermocht; er sei auch von der Leiche nicht ge. wichen, und habe ein ihm zugeworfenes Stück Brod zu deren Munde hin¬ getragen. Als man endlich den Leichnam in die Tiber geworfen, habe er sich nachgestürzt, und schwimmend ihn üver dem Wasser zu erhalten gesucht, wäh¬ rend das Volk von allen Seiten zusammenströmte, um die Treue dieses Thieres zu bewundern. — Endlich wurden auch Geburteir und vermuthlich Todesfälle, doch wahrscheinlich nur aus vornehmen Familien, bekannt gemacht. Nach diesen Notizen, die von ältern und neuern Alterthumsforschern (zuletzt von W. A. Schmidt in Zürich) zusammengestellt worden sind, kann man sich ein ungefähres Bild von dem Inhalt der acts «Ziurna und dem Geist machen, in dem sie in der Kaiserzeit redigirt wurden. Wenn nun bei dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/63>, abgerufen am 23.07.2024.