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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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aus religiöser Gewissenhaftigkeit selbst jene Fessel aufgelegt; man hatte Unrecht,
die östreichische Negierung des Widerspruchs zu zeihen, sie handelte ihrer Geschichte,
ihren Voraussetzungen gemäß. Aber das ist eben der Kern der Sache: Oest¬
reich handelt so, wie es seiner Natur nach handeln muß, uns übrigen Deut¬
schen aber wäre es äußerst unbequem, durch äußere Nöthigung in eine ähnliche
Handlungsweise verstrickt zu werden, und darum wollen wir die östreichische
Hegemonie vorläufig auf sich beruhen lassen.

Hr. Diezel verlangt, man solle in der Politik auf die confessionellen Unter¬
schiede keine Rücksicht nehmen. Ebensogut könnte er verlangen, man solle
ein Haus nicht auf den Boden, sondern in die Luft bauen. Die katholische
Kirche ist eine sehr respectable Thatsache, das hat er selbst in einer frühern
Schrift nachgewiesen, während sich in der protestantischen Kirche eine immer
größere Zerfahrenheit kundgibt. DaS ist aber kein Grund, uns der katholischen
Kirche zu unterwerfen, sondern vielmehr alles aufzubieten, um den Protestan¬
tismus zu neuem Leben zu erwecken. Es ist ja nicht blos der Unterschied deö
Lehrbegriffs, der uns trennt, sondern die sittlichen Einrichtungen des ganzen
Lebens bis zu den Primärschulen herunter. Je kräftiger sich Oestreich aus¬
breitet, desto wachsamer müssen wir sein, uns vor den Einflüssen eines Staats
zu hüten, der seine Sache mit der des Katholicismus identificirt.

Uebrigens ist Hr. Diezel gleich den meisten Freunden Oestreichs in seinen
Anforderungen ziemlich unbestimmt. Er verlangt vom deutschen Volk, es solle
Oestreich freundlich entgegenkommen, in welcher Art, das wird nicht angegeben.
Für die Eroberung Deutschlands durch Oestreich scheint er nicht zu sein, und
was den Staatenbund unter Oestreichs Hegemonie betrifft, so ist er ja nomi¬
nell schon vorhanden und die glänzenden Früchte desselben bewähren sich von
Jahr zu Jahr. Ueber die projectirte Zolleinigung ist bereits im vorigen Heft
das Nöthige gesagt worden. Selbst wenn sie zu Stande kommen sollte --
und die Unmöglichkeit kann unter den gegenwärtigen Umständen niemand be¬
haupten -- so wird sich daraus nur ergeben, daß dieses weitläufige Territo¬
rium weder das Interesse einer gemeinschaftlichen Handelspolitik, noch die Or¬
gane derselben besitzt.

Preußen hat sich in den letzten Jahren öfters schwach gezeigt, und es ist
möglich, daß es diese Rolle noch eine ganze Zeit fortspielt. Es wäre über¬
flüssig, diese Thatsache verleugnen zu wollen, sie kann aber keinen Einfluß ans
die deutsche Politik ausüben. Preußen ist ein Capital der deutschen Nation,
freilich zur Zeit noch ein todtes, aber es ist doch vorhanden und erwartet nur
die Hände, die es in Umlauf setzen. Grade weil Preußen ein unfertiger Staat
ist, mit großen Anlagen und einem gesunden Kern, gehört es Deutschland an,
Oestreich kann wenigstens bis zu einer gewissen Grenze für sich selbst leben.
Wenn einmal ein deutscher Staat zu Stande kommt, so wird das uicht in der


aus religiöser Gewissenhaftigkeit selbst jene Fessel aufgelegt; man hatte Unrecht,
die östreichische Negierung des Widerspruchs zu zeihen, sie handelte ihrer Geschichte,
ihren Voraussetzungen gemäß. Aber das ist eben der Kern der Sache: Oest¬
reich handelt so, wie es seiner Natur nach handeln muß, uns übrigen Deut¬
schen aber wäre es äußerst unbequem, durch äußere Nöthigung in eine ähnliche
Handlungsweise verstrickt zu werden, und darum wollen wir die östreichische
Hegemonie vorläufig auf sich beruhen lassen.

Hr. Diezel verlangt, man solle in der Politik auf die confessionellen Unter¬
schiede keine Rücksicht nehmen. Ebensogut könnte er verlangen, man solle
ein Haus nicht auf den Boden, sondern in die Luft bauen. Die katholische
Kirche ist eine sehr respectable Thatsache, das hat er selbst in einer frühern
Schrift nachgewiesen, während sich in der protestantischen Kirche eine immer
größere Zerfahrenheit kundgibt. DaS ist aber kein Grund, uns der katholischen
Kirche zu unterwerfen, sondern vielmehr alles aufzubieten, um den Protestan¬
tismus zu neuem Leben zu erwecken. Es ist ja nicht blos der Unterschied deö
Lehrbegriffs, der uns trennt, sondern die sittlichen Einrichtungen des ganzen
Lebens bis zu den Primärschulen herunter. Je kräftiger sich Oestreich aus¬
breitet, desto wachsamer müssen wir sein, uns vor den Einflüssen eines Staats
zu hüten, der seine Sache mit der des Katholicismus identificirt.

Uebrigens ist Hr. Diezel gleich den meisten Freunden Oestreichs in seinen
Anforderungen ziemlich unbestimmt. Er verlangt vom deutschen Volk, es solle
Oestreich freundlich entgegenkommen, in welcher Art, das wird nicht angegeben.
Für die Eroberung Deutschlands durch Oestreich scheint er nicht zu sein, und
was den Staatenbund unter Oestreichs Hegemonie betrifft, so ist er ja nomi¬
nell schon vorhanden und die glänzenden Früchte desselben bewähren sich von
Jahr zu Jahr. Ueber die projectirte Zolleinigung ist bereits im vorigen Heft
das Nöthige gesagt worden. Selbst wenn sie zu Stande kommen sollte —
und die Unmöglichkeit kann unter den gegenwärtigen Umständen niemand be¬
haupten — so wird sich daraus nur ergeben, daß dieses weitläufige Territo¬
rium weder das Interesse einer gemeinschaftlichen Handelspolitik, noch die Or¬
gane derselben besitzt.

Preußen hat sich in den letzten Jahren öfters schwach gezeigt, und es ist
möglich, daß es diese Rolle noch eine ganze Zeit fortspielt. Es wäre über¬
flüssig, diese Thatsache verleugnen zu wollen, sie kann aber keinen Einfluß ans
die deutsche Politik ausüben. Preußen ist ein Capital der deutschen Nation,
freilich zur Zeit noch ein todtes, aber es ist doch vorhanden und erwartet nur
die Hände, die es in Umlauf setzen. Grade weil Preußen ein unfertiger Staat
ist, mit großen Anlagen und einem gesunden Kern, gehört es Deutschland an,
Oestreich kann wenigstens bis zu einer gewissen Grenze für sich selbst leben.
Wenn einmal ein deutscher Staat zu Stande kommt, so wird das uicht in der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/56>, abgerufen am 23.07.2024.