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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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Freiheit findet als im übrigen Deutschland. Die ungarischen Stuhlrichter haben
ihre Leute auf eine originelle Weise prügeln lassen, und so war auch bei den
Kroaten, Ranzen und Panduren mehr NaturwuchS als in der Bureaukratie der
Annen deutschen Staaten, und was Hr. Diezel und die Kreuzzeitung Freiheit
nennen, kommt im Wesentlichen auf dasselbe heraus, was die andern Leute als
NaturwuchS bezeichnen. Wenn also Hr. Diezel in seiner demokratischen Zeit
so manche Sympathie in sich nährte, die ihn zum Geistesverwandten der Kreuz¬
zeitung machte, so verleugnet sich auch bei den begeisterten Lobreden Oestreichs
der alte Demokrat nicht ganz, so namentlich in der Apologie des VolksinstinctS
von 18i8, den nur seine Mandataren nicht verstanden hätten. Wenn Hr. Diezel
die Sehnsucht nach der Einheit Deutschlands wirklich als das Bewußtsein des
Volks ausgemittelt hat, dessen, was man im gemeinen Leben Volk nennt, so
hat er sich dieses Volk wol in seiner Studirstube auf Kartenblättern ausgemalt.

Seine gegenwärtige politische Ansicht ist hauptsächlich durch den Vergleich
zwischen der Haltung Oestreichs und Preußens in der orientalischen Frage
vermittelt worden, waS er sonst anführt, ist sekundärer Natur. In jenem Ur¬
theil werden ihm wol die meisten unsrer Parteigenossen beipflichten, und wenn
ein Theil der liberalen Blätter während der Krisis durch unausgesetztes Lob
Oestreichs Preußen aufzustacheln suchte, dem guten Beispiel zu folgen, so
setzte sich bei andern wirklich die Ueberzeugung fest, Oestreich sei wol zum Ver¬
treter Deutschlands nach außen hin berufen. Die Thatsache steht unzweifel¬
haft fest, daß Oestreich damals eine bessere Rolle spielte als Preußen; nur
erregte diese Thatsache bei der Mehrzahl der Patrioten mehr Schreck als Freude.
Die Sache liegt nicht ganz so einfach wie Hr. Diezel meint. ES kommt nicht
blos darauf an, daß wir Angehörige eines Reichs sind, daS nach außen hin
glänzend repräsentirt, denn sonst könnten wir auch wol wünschen, Unterthanen
des Kaisers von Nußland zu sein, der doch wol noch ein mächtigerer Herrscher
ist als der Kaiser von Oestreich. Aus dem bloßen Reiche geht noch keine
Nation hervor und die Niederländer haben im 16. Jahrhundert keine unglück¬
liche Wahl getroffen, als sie den Vorzug, einem mächtigen Reich anzugehören,
aufgaben und statt dessen einen freien Staat gründeten. Wenn aus einem
Reich eine Nation hervorgehen soll, so müssen gemeinschaftliche Elemente vor¬
handen sein, in der Stammanlage, der Sitte und Bildung, die sich als ein
Ganzes darstellen lassen. Von dieser einheitlichen Bildung ist aber bis jetzt
in Oestreich wol noch weniger die Rede, als in irgend einem andern deutschen
Staat und was davon angeführt werden kann, ist der echt deutschen Bildung
entgegengesetzt. Woher kam es doch, daß die Nachricht von dem Abschluß deS
ConcordatS durch ganz Deutschland eine so Ungeheure Sensation erregte? Es
steckte, so viel wir beurtheilen können, keine machiavellistische Politik dahinter.
Oestreich hat vom Concordat nicht den geringsten Nutzen gezogen, eS hat sich


Freiheit findet als im übrigen Deutschland. Die ungarischen Stuhlrichter haben
ihre Leute auf eine originelle Weise prügeln lassen, und so war auch bei den
Kroaten, Ranzen und Panduren mehr NaturwuchS als in der Bureaukratie der
Annen deutschen Staaten, und was Hr. Diezel und die Kreuzzeitung Freiheit
nennen, kommt im Wesentlichen auf dasselbe heraus, was die andern Leute als
NaturwuchS bezeichnen. Wenn also Hr. Diezel in seiner demokratischen Zeit
so manche Sympathie in sich nährte, die ihn zum Geistesverwandten der Kreuz¬
zeitung machte, so verleugnet sich auch bei den begeisterten Lobreden Oestreichs
der alte Demokrat nicht ganz, so namentlich in der Apologie des VolksinstinctS
von 18i8, den nur seine Mandataren nicht verstanden hätten. Wenn Hr. Diezel
die Sehnsucht nach der Einheit Deutschlands wirklich als das Bewußtsein des
Volks ausgemittelt hat, dessen, was man im gemeinen Leben Volk nennt, so
hat er sich dieses Volk wol in seiner Studirstube auf Kartenblättern ausgemalt.

Seine gegenwärtige politische Ansicht ist hauptsächlich durch den Vergleich
zwischen der Haltung Oestreichs und Preußens in der orientalischen Frage
vermittelt worden, waS er sonst anführt, ist sekundärer Natur. In jenem Ur¬
theil werden ihm wol die meisten unsrer Parteigenossen beipflichten, und wenn
ein Theil der liberalen Blätter während der Krisis durch unausgesetztes Lob
Oestreichs Preußen aufzustacheln suchte, dem guten Beispiel zu folgen, so
setzte sich bei andern wirklich die Ueberzeugung fest, Oestreich sei wol zum Ver¬
treter Deutschlands nach außen hin berufen. Die Thatsache steht unzweifel¬
haft fest, daß Oestreich damals eine bessere Rolle spielte als Preußen; nur
erregte diese Thatsache bei der Mehrzahl der Patrioten mehr Schreck als Freude.
Die Sache liegt nicht ganz so einfach wie Hr. Diezel meint. ES kommt nicht
blos darauf an, daß wir Angehörige eines Reichs sind, daS nach außen hin
glänzend repräsentirt, denn sonst könnten wir auch wol wünschen, Unterthanen
des Kaisers von Nußland zu sein, der doch wol noch ein mächtigerer Herrscher
ist als der Kaiser von Oestreich. Aus dem bloßen Reiche geht noch keine
Nation hervor und die Niederländer haben im 16. Jahrhundert keine unglück¬
liche Wahl getroffen, als sie den Vorzug, einem mächtigen Reich anzugehören,
aufgaben und statt dessen einen freien Staat gründeten. Wenn aus einem
Reich eine Nation hervorgehen soll, so müssen gemeinschaftliche Elemente vor¬
handen sein, in der Stammanlage, der Sitte und Bildung, die sich als ein
Ganzes darstellen lassen. Von dieser einheitlichen Bildung ist aber bis jetzt
in Oestreich wol noch weniger die Rede, als in irgend einem andern deutschen
Staat und was davon angeführt werden kann, ist der echt deutschen Bildung
entgegengesetzt. Woher kam es doch, daß die Nachricht von dem Abschluß deS
ConcordatS durch ganz Deutschland eine so Ungeheure Sensation erregte? Es
steckte, so viel wir beurtheilen können, keine machiavellistische Politik dahinter.
Oestreich hat vom Concordat nicht den geringsten Nutzen gezogen, eS hat sich


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/55>, abgerufen am 23.07.2024.