Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.Temperaments als der Ueberzeugung zu sein scheint. Wir erkennen die Lassen wir diesen unerquicklichen Punkt bei Seite, und gehen auf den Temperaments als der Ueberzeugung zu sein scheint. Wir erkennen die Lassen wir diesen unerquicklichen Punkt bei Seite, und gehen auf den <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0054" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/104789"/> <p xml:id="ID_112" prev="#ID_111"> Temperaments als der Ueberzeugung zu sein scheint. Wir erkennen die<lb/> Berechtigung dieses Wechsels in den Ansichten um so mehr an, da derselbe sich<lb/> weniger auf den letzten Zweck, die Einheit Deutschlands, als auf die Mittel<lb/> zur Erreichung dieses Zwecks bezieht. Wir können uns die Sprünge von ei¬<lb/> nem Ertreme ins andere uns einer hitzigen sanguinischen Natur vollkommen<lb/> erklären, ohne irgend ein äußeres Motiv zu Hilfe zu nehmen. Aber wir<lb/> hätten gehofft, daß durch die Erfahrung seines eignen Ideenwechsels bei ihm<lb/> eine größere Billigkeit gegen diejenigen eintreten würde, die im Augenblick an¬<lb/> dere Ideen haben als er. Leider ist daS nicht der Fall. Das Vocabularium<lb/> der Schimpfworte hat sich eher vermehrt als vermindert, es zieht sich durch das<lb/> ganze Buch, concentrirt sich aber hauptsächlich in der gegen Venedey gerichte¬<lb/> ten Vorrede. Venedry hatte ihn beschuldigt von Oestreich erkauft zu sein.<lb/> Ein unverdienter Vorwurf der Art, wenn man ihn nicht ganz ignorirt, pflegt<lb/> doch das Gefühl Der eignen Würde rege zu machen, so daß man ihm ernst,<lb/> aber gelassen begegnet. Hr. Diezel aber geräth in eine solche Aufregung, daß er<lb/> nicht blos alle Schimpfworte zusammenhäufl, die doch endlich in dem Verkehr von<lb/> Gebildeten ausgeschlossen werden sollten, sonder», daß er vom „Schuljungen",<lb/> vom „infamen Ehrenabschneider", vom „jämmerlichen Buchmacher", vom „ge-<lb/> schamckiosen Schwachkopf" u. s. w., endlich bis zum „semme l blou d e u I um g l ing"<lb/> aufsteigt. Venedeys Angriff wird ihm in der öffentlichen Meinung nicht ge¬<lb/> schadet haben, wenigstens nicht mehr als folgende eigenhändige Erklärung:<lb/> Seite 13. „Wenn Herr Venedey mich für einen Schurken hallen zu können<lb/> glaubt, was konnte ihn berechtigen, mich auch noch für einen Esel zu nehmen?<lb/> Glaubt er, wenn ich mich verkaufen wollte, würde ich es nicht klüger einzuleiten<lb/> wisse» ?"</p><lb/> <p xml:id="ID_113" next="#ID_114"> Lassen wir diesen unerquicklichen Punkt bei Seite, und gehen auf den<lb/> Inhalt der politischen Ueberzeugungen ein, die Hr. Diezel seit seiner neuen<lb/> Bekehrung gewonnen hat. Auf den ersten Anblick scheint die Umkehr eine<lb/> vollständige zu sein, er verleugnet die demokratische Partei oder das, was sich<lb/> so nennt, mit großer Entschiedenheit, er findet nicht blos in Oestreich alles<lb/> was geschehn ist, zu loben, er versucht sogar, sich auf den Standpunkt der ber¬<lb/> liner Kreuzzeitung zu versetzen, und nachzuweisen, daß dieselbe um die wahre<lb/> Freiheit des preußischen Volks und um die Einheit Deutschlands sich große<lb/> Verdienste erworben habe. Indeß wird man fast bei jeder Bekehrung finden,<lb/> daß sie weniger tief greift, als man vermuthet. Die Doctrinen von der echten<lb/> germanischen Freiheit im Gegensatz zu der falschen romanischen, finden sich schon<lb/> in seinen frühern Schriften, und wenn auch die lyrischen Jntermezzos deS<lb/> Republikaners etwas anders lauten als die Bußpredigten der Kreuzzeitung,<lb/> so wurde im Wesen der Sache dadurch wenig geändert und eS hat uns im<lb/> Ganzen wenig überrascht, daß er selbst im vormärzlichen Oestreich mehr wahre</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0054]
Temperaments als der Ueberzeugung zu sein scheint. Wir erkennen die
Berechtigung dieses Wechsels in den Ansichten um so mehr an, da derselbe sich
weniger auf den letzten Zweck, die Einheit Deutschlands, als auf die Mittel
zur Erreichung dieses Zwecks bezieht. Wir können uns die Sprünge von ei¬
nem Ertreme ins andere uns einer hitzigen sanguinischen Natur vollkommen
erklären, ohne irgend ein äußeres Motiv zu Hilfe zu nehmen. Aber wir
hätten gehofft, daß durch die Erfahrung seines eignen Ideenwechsels bei ihm
eine größere Billigkeit gegen diejenigen eintreten würde, die im Augenblick an¬
dere Ideen haben als er. Leider ist daS nicht der Fall. Das Vocabularium
der Schimpfworte hat sich eher vermehrt als vermindert, es zieht sich durch das
ganze Buch, concentrirt sich aber hauptsächlich in der gegen Venedey gerichte¬
ten Vorrede. Venedry hatte ihn beschuldigt von Oestreich erkauft zu sein.
Ein unverdienter Vorwurf der Art, wenn man ihn nicht ganz ignorirt, pflegt
doch das Gefühl Der eignen Würde rege zu machen, so daß man ihm ernst,
aber gelassen begegnet. Hr. Diezel aber geräth in eine solche Aufregung, daß er
nicht blos alle Schimpfworte zusammenhäufl, die doch endlich in dem Verkehr von
Gebildeten ausgeschlossen werden sollten, sonder», daß er vom „Schuljungen",
vom „infamen Ehrenabschneider", vom „jämmerlichen Buchmacher", vom „ge-
schamckiosen Schwachkopf" u. s. w., endlich bis zum „semme l blou d e u I um g l ing"
aufsteigt. Venedeys Angriff wird ihm in der öffentlichen Meinung nicht ge¬
schadet haben, wenigstens nicht mehr als folgende eigenhändige Erklärung:
Seite 13. „Wenn Herr Venedey mich für einen Schurken hallen zu können
glaubt, was konnte ihn berechtigen, mich auch noch für einen Esel zu nehmen?
Glaubt er, wenn ich mich verkaufen wollte, würde ich es nicht klüger einzuleiten
wisse» ?"
Lassen wir diesen unerquicklichen Punkt bei Seite, und gehen auf den
Inhalt der politischen Ueberzeugungen ein, die Hr. Diezel seit seiner neuen
Bekehrung gewonnen hat. Auf den ersten Anblick scheint die Umkehr eine
vollständige zu sein, er verleugnet die demokratische Partei oder das, was sich
so nennt, mit großer Entschiedenheit, er findet nicht blos in Oestreich alles
was geschehn ist, zu loben, er versucht sogar, sich auf den Standpunkt der ber¬
liner Kreuzzeitung zu versetzen, und nachzuweisen, daß dieselbe um die wahre
Freiheit des preußischen Volks und um die Einheit Deutschlands sich große
Verdienste erworben habe. Indeß wird man fast bei jeder Bekehrung finden,
daß sie weniger tief greift, als man vermuthet. Die Doctrinen von der echten
germanischen Freiheit im Gegensatz zu der falschen romanischen, finden sich schon
in seinen frühern Schriften, und wenn auch die lyrischen Jntermezzos deS
Republikaners etwas anders lauten als die Bußpredigten der Kreuzzeitung,
so wurde im Wesen der Sache dadurch wenig geändert und eS hat uns im
Ganzen wenig überrascht, daß er selbst im vormärzlichen Oestreich mehr wahre
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