Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.gestörten Besitz ihrer Freiheit gegenüber den Vorschlägen des Ministeriums Ganz dasselbe aber gilt von der Wendung, welche die Dinge nach den -) Die Wahlen sind beendigt, und sie haben den Sieg der Liberalen z" einem vollstän¬
digen gemacht. Trotz aller Anstrengungen der Rechte", deren Caudidate" sehr beträchtliche Geldmittel zur Verfügung standen, wird die künftige zweite Kammer nur 38 klerikal gesinnte Mitglieder, dagegen 70 liberale zählen. Namentlich haben die Städte sich hervorgethan. Brüssel, Antwerpen, Gent, Lüttich, Tournat, Mons, Charleroi, Ostende und einige andere kehrten allein schon das bisherige Stimmverhältniß in der Nationalvcrtretuug um. In Brüs¬ sel war der Zudrang zu den Wahlurnen außerordentlich; von 10,3Sö Wahlberechtigte" hatte" 8,142 ihre Stimmen abgegeben. In Nivelles hatten die Klerikalen den Exminister Mercier, in Tournai den Exminister Dumon, in Charleroi den Exminister Dechamps, eine" ihrer besten Name", als Candidaten aufgestellt, und siehe da, alle drei Herren reisten umgewühlt nach gestörten Besitz ihrer Freiheit gegenüber den Vorschlägen des Ministeriums Ganz dasselbe aber gilt von der Wendung, welche die Dinge nach den -) Die Wahlen sind beendigt, und sie haben den Sieg der Liberalen z» einem vollstän¬
digen gemacht. Trotz aller Anstrengungen der Rechte», deren Caudidate» sehr beträchtliche Geldmittel zur Verfügung standen, wird die künftige zweite Kammer nur 38 klerikal gesinnte Mitglieder, dagegen 70 liberale zählen. Namentlich haben die Städte sich hervorgethan. Brüssel, Antwerpen, Gent, Lüttich, Tournat, Mons, Charleroi, Ostende und einige andere kehrten allein schon das bisherige Stimmverhältniß in der Nationalvcrtretuug um. In Brüs¬ sel war der Zudrang zu den Wahlurnen außerordentlich; von 10,3Sö Wahlberechtigte» hatte» 8,142 ihre Stimmen abgegeben. In Nivelles hatten die Klerikalen den Exminister Mercier, in Tournai den Exminister Dumon, in Charleroi den Exminister Dechamps, eine» ihrer besten Name», als Candidaten aufgestellt, und siehe da, alle drei Herren reisten umgewühlt nach <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0522" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/105249"/> <p xml:id="ID_1400" prev="#ID_1399"> gestörten Besitz ihrer Freiheit gegenüber den Vorschlägen des Ministeriums<lb/> und den Rathschlägen deS Königs. Vergeblich hat man versucht, aus der<lb/> Verschiebung der parlamentarischen Entscheidung eine Anklage gegen die bel¬<lb/> gischen Institutionen zu entwickeln. Sehen wir doch in Ländern von ganz<lb/> anderer politischer Verfassung die Regierung klugerweise die Entscheidung ge¬<lb/> wisser Fragen verschieben, wenn sie dieselben nicht hinreichend verstanden glaubt<lb/> und die dabei betheiligten Interessen beunruhigt werden.</p><lb/> <p xml:id="ID_1401" next="#ID_1402"> Ganz dasselbe aber gilt von der Wendung, welche die Dinge nach den<lb/> Wahlen der Gemeinderäthe nahmen. Das Princip des Parlamentarismus,<lb/> nach welchem die Regierungsgewalt in den Händen der Partei sein soll, welche<lb/> in der Volksvertretung die Stimmenmehrheit hat, ist weder vom König noch<lb/> von dem abgetretenen Cabinet verletzt worden. Von ersterem nicht, weil er<lb/> das Ministerium nicht aus eignem Antrieb, sondern auf Verlangen sämmt¬<lb/> licher Cabinetsmitglieder und zwar auf wiederholtes Verlangen entließ. Aber<lb/> auch von den Ministern nicht, wenn man nicht die Form der Sache über das<lb/> Wesen stellen will. Der Zweck des ebengedachten Princips ist, daß dem auf<lb/> gesetzlichem Wege sich offenbarenden Willen des Landes Genüge geschehe, daß<lb/> ihm kein Zwang angethan werde von einer gegen ihn von der Krone beru¬<lb/> fenen Regierungsgewalt. In Belgien war die Majorität der Kammer, die<lb/> im gewöhnlichen Laufe der Dinge den Landeöwillen reprcisentirt, allerdings<lb/> auf Seiten des Ministeriums. Sie vertrat aber infolge des auf Grund des<lb/> Wohlthätigkeitsgesetzes eintretenden Umschwungs der öffentlichen Meinung den<lb/> Willen des Landes nicht mehr. Die Belgier würden, so sagte sich jedermann,<lb/> falls sie jetzt zu wählen gehabt, keinen überwiegend klerikalen Kongreß ge¬<lb/> wählt haben. Die Wahlen der Gemeinderäthe zeigten deutlich, daß dies be¬<lb/> gründet war, daß die- Majorität der Kammer nicht mehr die Majorität der<lb/> wahlmündigen Belgier hinter sich hatte. Auf jz'ne Majorität gestützt fort regie¬<lb/> ren hätte aber die Form über das Wesen stellen heißen. Das Cabinet zog<lb/> steh zurück, und die neuen Wahlen werden allem Anschein nach erweisen, daß<lb/> es bei diesem Schritt durch eine vollkommen richtige Beurtheilung seiner Stel¬<lb/> lung und der Stimmung des Landes geleitet wurde.*) Ist demnach die con-</p><lb/> <note xml:id="FID_28" place="foot" next="#FID_29"> -) Die Wahlen sind beendigt, und sie haben den Sieg der Liberalen z» einem vollstän¬<lb/> digen gemacht. Trotz aller Anstrengungen der Rechte», deren Caudidate» sehr beträchtliche<lb/> Geldmittel zur Verfügung standen, wird die künftige zweite Kammer nur 38 klerikal gesinnte<lb/> Mitglieder, dagegen 70 liberale zählen. Namentlich haben die Städte sich hervorgethan.<lb/> Brüssel, Antwerpen, Gent, Lüttich, Tournat, Mons, Charleroi, Ostende und einige andere<lb/> kehrten allein schon das bisherige Stimmverhältniß in der Nationalvcrtretuug um. In Brüs¬<lb/> sel war der Zudrang zu den Wahlurnen außerordentlich; von 10,3Sö Wahlberechtigte» hatte»<lb/> 8,142 ihre Stimmen abgegeben. In Nivelles hatten die Klerikalen den Exminister Mercier,<lb/> in Tournai den Exminister Dumon, in Charleroi den Exminister Dechamps, eine» ihrer besten<lb/> Name», als Candidaten aufgestellt, und siehe da, alle drei Herren reisten umgewühlt nach</note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0522]
gestörten Besitz ihrer Freiheit gegenüber den Vorschlägen des Ministeriums
und den Rathschlägen deS Königs. Vergeblich hat man versucht, aus der
Verschiebung der parlamentarischen Entscheidung eine Anklage gegen die bel¬
gischen Institutionen zu entwickeln. Sehen wir doch in Ländern von ganz
anderer politischer Verfassung die Regierung klugerweise die Entscheidung ge¬
wisser Fragen verschieben, wenn sie dieselben nicht hinreichend verstanden glaubt
und die dabei betheiligten Interessen beunruhigt werden.
Ganz dasselbe aber gilt von der Wendung, welche die Dinge nach den
Wahlen der Gemeinderäthe nahmen. Das Princip des Parlamentarismus,
nach welchem die Regierungsgewalt in den Händen der Partei sein soll, welche
in der Volksvertretung die Stimmenmehrheit hat, ist weder vom König noch
von dem abgetretenen Cabinet verletzt worden. Von ersterem nicht, weil er
das Ministerium nicht aus eignem Antrieb, sondern auf Verlangen sämmt¬
licher Cabinetsmitglieder und zwar auf wiederholtes Verlangen entließ. Aber
auch von den Ministern nicht, wenn man nicht die Form der Sache über das
Wesen stellen will. Der Zweck des ebengedachten Princips ist, daß dem auf
gesetzlichem Wege sich offenbarenden Willen des Landes Genüge geschehe, daß
ihm kein Zwang angethan werde von einer gegen ihn von der Krone beru¬
fenen Regierungsgewalt. In Belgien war die Majorität der Kammer, die
im gewöhnlichen Laufe der Dinge den Landeöwillen reprcisentirt, allerdings
auf Seiten des Ministeriums. Sie vertrat aber infolge des auf Grund des
Wohlthätigkeitsgesetzes eintretenden Umschwungs der öffentlichen Meinung den
Willen des Landes nicht mehr. Die Belgier würden, so sagte sich jedermann,
falls sie jetzt zu wählen gehabt, keinen überwiegend klerikalen Kongreß ge¬
wählt haben. Die Wahlen der Gemeinderäthe zeigten deutlich, daß dies be¬
gründet war, daß die- Majorität der Kammer nicht mehr die Majorität der
wahlmündigen Belgier hinter sich hatte. Auf jz'ne Majorität gestützt fort regie¬
ren hätte aber die Form über das Wesen stellen heißen. Das Cabinet zog
steh zurück, und die neuen Wahlen werden allem Anschein nach erweisen, daß
es bei diesem Schritt durch eine vollkommen richtige Beurtheilung seiner Stel¬
lung und der Stimmung des Landes geleitet wurde.*) Ist demnach die con-
-) Die Wahlen sind beendigt, und sie haben den Sieg der Liberalen z» einem vollstän¬
digen gemacht. Trotz aller Anstrengungen der Rechte», deren Caudidate» sehr beträchtliche
Geldmittel zur Verfügung standen, wird die künftige zweite Kammer nur 38 klerikal gesinnte
Mitglieder, dagegen 70 liberale zählen. Namentlich haben die Städte sich hervorgethan.
Brüssel, Antwerpen, Gent, Lüttich, Tournat, Mons, Charleroi, Ostende und einige andere
kehrten allein schon das bisherige Stimmverhältniß in der Nationalvcrtretuug um. In Brüs¬
sel war der Zudrang zu den Wahlurnen außerordentlich; von 10,3Sö Wahlberechtigte» hatte»
8,142 ihre Stimmen abgegeben. In Nivelles hatten die Klerikalen den Exminister Mercier,
in Tournai den Exminister Dumon, in Charleroi den Exminister Dechamps, eine» ihrer besten
Name», als Candidaten aufgestellt, und siehe da, alle drei Herren reisten umgewühlt nach
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