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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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diese zum Spiel unfähig und so war er von vornherein auf die Compositiv"
angewiesen. Bei seinen ersten Versuchen ist zweierlei charakteristisch; einmal
begann er fast ohne alle theoretische Vorbildung, ja er hatte damals eine
unüberwindliche Abneigung gegen das Studium der Harmonielehre, welche er
freilich später bei besserer Einsicht beseitigte. Sodann zeigt sich schon früh
eine Neigung zur Reflexion und zur Kritik, die er mit der poetischen Romantik
theilte. Er war ein begeisterter Verehrer Jean Pauls, was sich auch in
seinen Briefen ans eine nicht grade angenehme Weise bethätigt und wenn
diese Vorliebe bei einem Jüngling nicht Wunder nehmen kann, so charakteristrt
es ihn, daß er sie bis in seine letzten Jahren nicht verleugnete. Da ihm
nun die Musik, wie man sie damals trieb, als nüchtern und prosaisch vorkam,
so polemistrte er dagegen in Jean Paulscher Manier schon 1831 in seinen
musikalischen Rapsodien, den Papillons u. s., w. Schumann, heißt es
S. 98, liebte eine, gewisse mystische Symbolik, verhülltes Hindeuten aus all¬
gemeine poetische Intentionen, wie dies so manche seiner spätern Clavier-
compositionen bezeugen. Diese mystische Symbolik ist als Product jener krank¬
haften Romantik zu betrachten, welche poetische Jdeencombinationeu in tief¬
sinniger Weise auszudrücken bestrebt ist, ohne die einfache Wahrheit der sinn¬
lichen Erscheinung zu erreichen, wodurch diese Ideen dem Genießenden
unmittelbar verständlich werden konnten. So hat sicher die Benennung
Papillons einen tiefern mystischen Sinn, mit dessen muthmaßlicher Aus¬
deutung jedoch niemandem vorgegriffen werden soll. -- Unmöglich konnte
das soeben erst betriebene Studiuni der Kompositionslehre bei so vorge¬
rücktem Alter und einem schon ziemlich scharf ausgeprägten Ideengange sofort
eine künstlerisch correcte, runde und technisch fertige Darstellungsweise hervor¬
bringen. Die Technik jeder Kunst ist an bestimmte Gesetze gebunden und
zur Aneignung derselben ist das Jugendalter, wo sich der schöpferische Keim
zuerst regt, der günstigste Zeitpunkt. Alles in demselben Gelernte assimilirt
sich schneller und glücklicher dem Wesen pes Individuums, und befähigt es
bei dem Eintritt höherer Reife, in freiem elastischen Spiel den Geist klar
und eindringlich auf die eine oder die andere Weife sprechen zu lassen. Ein
Mensch dagegen, dessen geistige Fähigkeiten weiter entwickelt sind, als das
Vermögen, sie mit jener Freiheit, welche im Gesetze wurzelt, zur Gel¬
tung zu bringen, wird Wollen und Können selbst bei Anwendung des
eisernsten Fleißes nur annäherungsweise und in seltenen Fällen ins rechte
Gleichgewicht zu setzen vermögen. Nicht Schumann ist ein Vorwurf zu machen,
wenn seine Leistungen nach formeller Seite hin häufig einzelne Mängel
zeigen, sondern den hemmenden Verhältnissen, welche ihn offenbar zu spät
zum Kunststudium kommen ließen.

Die kritisch reflectirende Richtung, die mit diesem eigenthümlichen Bil-


diese zum Spiel unfähig und so war er von vornherein auf die Compositiv»
angewiesen. Bei seinen ersten Versuchen ist zweierlei charakteristisch; einmal
begann er fast ohne alle theoretische Vorbildung, ja er hatte damals eine
unüberwindliche Abneigung gegen das Studium der Harmonielehre, welche er
freilich später bei besserer Einsicht beseitigte. Sodann zeigt sich schon früh
eine Neigung zur Reflexion und zur Kritik, die er mit der poetischen Romantik
theilte. Er war ein begeisterter Verehrer Jean Pauls, was sich auch in
seinen Briefen ans eine nicht grade angenehme Weise bethätigt und wenn
diese Vorliebe bei einem Jüngling nicht Wunder nehmen kann, so charakteristrt
es ihn, daß er sie bis in seine letzten Jahren nicht verleugnete. Da ihm
nun die Musik, wie man sie damals trieb, als nüchtern und prosaisch vorkam,
so polemistrte er dagegen in Jean Paulscher Manier schon 1831 in seinen
musikalischen Rapsodien, den Papillons u. s., w. Schumann, heißt es
S. 98, liebte eine, gewisse mystische Symbolik, verhülltes Hindeuten aus all¬
gemeine poetische Intentionen, wie dies so manche seiner spätern Clavier-
compositionen bezeugen. Diese mystische Symbolik ist als Product jener krank¬
haften Romantik zu betrachten, welche poetische Jdeencombinationeu in tief¬
sinniger Weise auszudrücken bestrebt ist, ohne die einfache Wahrheit der sinn¬
lichen Erscheinung zu erreichen, wodurch diese Ideen dem Genießenden
unmittelbar verständlich werden konnten. So hat sicher die Benennung
Papillons einen tiefern mystischen Sinn, mit dessen muthmaßlicher Aus¬
deutung jedoch niemandem vorgegriffen werden soll. — Unmöglich konnte
das soeben erst betriebene Studiuni der Kompositionslehre bei so vorge¬
rücktem Alter und einem schon ziemlich scharf ausgeprägten Ideengange sofort
eine künstlerisch correcte, runde und technisch fertige Darstellungsweise hervor¬
bringen. Die Technik jeder Kunst ist an bestimmte Gesetze gebunden und
zur Aneignung derselben ist das Jugendalter, wo sich der schöpferische Keim
zuerst regt, der günstigste Zeitpunkt. Alles in demselben Gelernte assimilirt
sich schneller und glücklicher dem Wesen pes Individuums, und befähigt es
bei dem Eintritt höherer Reife, in freiem elastischen Spiel den Geist klar
und eindringlich auf die eine oder die andere Weife sprechen zu lassen. Ein
Mensch dagegen, dessen geistige Fähigkeiten weiter entwickelt sind, als das
Vermögen, sie mit jener Freiheit, welche im Gesetze wurzelt, zur Gel¬
tung zu bringen, wird Wollen und Können selbst bei Anwendung des
eisernsten Fleißes nur annäherungsweise und in seltenen Fällen ins rechte
Gleichgewicht zu setzen vermögen. Nicht Schumann ist ein Vorwurf zu machen,
wenn seine Leistungen nach formeller Seite hin häufig einzelne Mängel
zeigen, sondern den hemmenden Verhältnissen, welche ihn offenbar zu spät
zum Kunststudium kommen ließen.

Die kritisch reflectirende Richtung, die mit diesem eigenthümlichen Bil-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/520>, abgerufen am 23.07.2024.