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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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brachten (dazu kam 18Ü3, 4. Quartal S. 276), Sie war von NieciuS,
gegenwärtig Dirigent der Oper in Leipzig, und eröffnete eine Reihe musika¬
lischer Charakterbilder, in welchen u, a. Gabe, Marschner und Richard Wagner
besprochen wurden. Der Verfasser, ein warmer Verehrer Schumanns und ge¬
wissermaßen unter den Einflüssen der musikalischen Richtung aufgewachsen, die
Cchnmann als schaffender Künstler in seinen Kompositionen, die er als Kritiker
in der neuen Zeitschrift sür Musik vertrat, hatte sich allmälig durch umfassen¬
dere Studien von den Einseitigkeiten seiner Schule befreit, und suchte, sich nun
mit derselben auseinanderzusetzen. Indem er sich über Schumanns Leistungen
mit dem Enthusiasmus aussprach, den ihnen keine Künstlernatur versagen wird,
verschwieg er doch die Bedenken nicht, die mehr und mehr an den Tag
kommen mußten, sobald^ das erste jugendliche Feuer des Schaffens aufgezehrt
war. Durch das, was Schumann seither geleistet, ist zu dieser Charakteristik
wenig hinzugekommen. Eine echt musikalische Natur, hat Schumann nichts ge¬
schrieben, was außerhalb der Grenzen der Kunst fiele, wie das leider bei so
Vielen in unserer Zeit der Fall ist, die das Bewußtsein eines großen Wollens
über die Schwäche ihrer schöpferischen Kraft täuscht; aber jener krankhafte Zug,
vou dem man auch in seinen besten Werken Spuren wahrnimmt, tritt in
seinen letzten Kompositionen immer deutlicher hervor, und nur durch einzelne '
Blitze des Genies wird man noch für das souveraine Walten der Laune ent¬
schädigt, die sich auf Kosten der wahren Kunst geltend macht. Das entsetzliche
Schicksal, das über ihn ausbrach, und das durch ganz Deutschland ein
tiefes Mitgefühl hervorrief, erklärte Vieles in seinem früheren Schaffen.
Wie wir nun hören, trat ein momentaner Wahnsinn schon im Jahre 1833
hervor, also in seinem 23 Jahr. Die Krankheit war in seiner Familie mehr¬
fach vorgekommen, und so hat Schumann sein ganzes Lehen hindurch mit dem
finstern Grauen vor einem Dämon zu kämpfen gehabt, der ihn zuletzt doch
faßte. In diesem unheimlichen Vorgefühl, welches man wol für Augen¬
blicke beseitigt, aber nicht gänzlich verbannt, ist ein heiteres, gesundes
Schaffen unmöglich, und je tiefer daS Mitleid ist, das uns sein Schicksal ein-
flößr, desto mehr werden wir die Schöpfungen bewundern, die er ihm den¬
noch abgerungen hat.

Ueber diese Zustände wie über die geistige Entwickelung Schumanns über¬
haupt, gibt der Verfasser der vorliegende" Schrift, selbst ein vorzüglicher
Musiker und in der Periode -1830 -- 52 Schumanns Vertraueter, durchweg
auf Documente gestützt, ausreichende Mittheilungen. Wenn auch in der
Korrespondenz manche Lücken bleiben, so erfahren wir doch genug,, um uns den
ungefähren Zusammenhang versinnlichen zu können. Was die musikalische
Kritik betrifft, so hätten wir in manchen Punkten eine größere Ausführung
gewünscht, namentlich in Bezug auf die reifern Werke Schumanns, deren


brachten (dazu kam 18Ü3, 4. Quartal S. 276), Sie war von NieciuS,
gegenwärtig Dirigent der Oper in Leipzig, und eröffnete eine Reihe musika¬
lischer Charakterbilder, in welchen u, a. Gabe, Marschner und Richard Wagner
besprochen wurden. Der Verfasser, ein warmer Verehrer Schumanns und ge¬
wissermaßen unter den Einflüssen der musikalischen Richtung aufgewachsen, die
Cchnmann als schaffender Künstler in seinen Kompositionen, die er als Kritiker
in der neuen Zeitschrift sür Musik vertrat, hatte sich allmälig durch umfassen¬
dere Studien von den Einseitigkeiten seiner Schule befreit, und suchte, sich nun
mit derselben auseinanderzusetzen. Indem er sich über Schumanns Leistungen
mit dem Enthusiasmus aussprach, den ihnen keine Künstlernatur versagen wird,
verschwieg er doch die Bedenken nicht, die mehr und mehr an den Tag
kommen mußten, sobald^ das erste jugendliche Feuer des Schaffens aufgezehrt
war. Durch das, was Schumann seither geleistet, ist zu dieser Charakteristik
wenig hinzugekommen. Eine echt musikalische Natur, hat Schumann nichts ge¬
schrieben, was außerhalb der Grenzen der Kunst fiele, wie das leider bei so
Vielen in unserer Zeit der Fall ist, die das Bewußtsein eines großen Wollens
über die Schwäche ihrer schöpferischen Kraft täuscht; aber jener krankhafte Zug,
vou dem man auch in seinen besten Werken Spuren wahrnimmt, tritt in
seinen letzten Kompositionen immer deutlicher hervor, und nur durch einzelne '
Blitze des Genies wird man noch für das souveraine Walten der Laune ent¬
schädigt, die sich auf Kosten der wahren Kunst geltend macht. Das entsetzliche
Schicksal, das über ihn ausbrach, und das durch ganz Deutschland ein
tiefes Mitgefühl hervorrief, erklärte Vieles in seinem früheren Schaffen.
Wie wir nun hören, trat ein momentaner Wahnsinn schon im Jahre 1833
hervor, also in seinem 23 Jahr. Die Krankheit war in seiner Familie mehr¬
fach vorgekommen, und so hat Schumann sein ganzes Lehen hindurch mit dem
finstern Grauen vor einem Dämon zu kämpfen gehabt, der ihn zuletzt doch
faßte. In diesem unheimlichen Vorgefühl, welches man wol für Augen¬
blicke beseitigt, aber nicht gänzlich verbannt, ist ein heiteres, gesundes
Schaffen unmöglich, und je tiefer daS Mitleid ist, das uns sein Schicksal ein-
flößr, desto mehr werden wir die Schöpfungen bewundern, die er ihm den¬
noch abgerungen hat.

Ueber diese Zustände wie über die geistige Entwickelung Schumanns über¬
haupt, gibt der Verfasser der vorliegende» Schrift, selbst ein vorzüglicher
Musiker und in der Periode -1830 — 52 Schumanns Vertraueter, durchweg
auf Documente gestützt, ausreichende Mittheilungen. Wenn auch in der
Korrespondenz manche Lücken bleiben, so erfahren wir doch genug,, um uns den
ungefähren Zusammenhang versinnlichen zu können. Was die musikalische
Kritik betrifft, so hätten wir in manchen Punkten eine größere Ausführung
gewünscht, namentlich in Bezug auf die reifern Werke Schumanns, deren


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[0518] brachten (dazu kam 18Ü3, 4. Quartal S. 276), Sie war von NieciuS, gegenwärtig Dirigent der Oper in Leipzig, und eröffnete eine Reihe musika¬ lischer Charakterbilder, in welchen u, a. Gabe, Marschner und Richard Wagner besprochen wurden. Der Verfasser, ein warmer Verehrer Schumanns und ge¬ wissermaßen unter den Einflüssen der musikalischen Richtung aufgewachsen, die Cchnmann als schaffender Künstler in seinen Kompositionen, die er als Kritiker in der neuen Zeitschrift sür Musik vertrat, hatte sich allmälig durch umfassen¬ dere Studien von den Einseitigkeiten seiner Schule befreit, und suchte, sich nun mit derselben auseinanderzusetzen. Indem er sich über Schumanns Leistungen mit dem Enthusiasmus aussprach, den ihnen keine Künstlernatur versagen wird, verschwieg er doch die Bedenken nicht, die mehr und mehr an den Tag kommen mußten, sobald^ das erste jugendliche Feuer des Schaffens aufgezehrt war. Durch das, was Schumann seither geleistet, ist zu dieser Charakteristik wenig hinzugekommen. Eine echt musikalische Natur, hat Schumann nichts ge¬ schrieben, was außerhalb der Grenzen der Kunst fiele, wie das leider bei so Vielen in unserer Zeit der Fall ist, die das Bewußtsein eines großen Wollens über die Schwäche ihrer schöpferischen Kraft täuscht; aber jener krankhafte Zug, vou dem man auch in seinen besten Werken Spuren wahrnimmt, tritt in seinen letzten Kompositionen immer deutlicher hervor, und nur durch einzelne ' Blitze des Genies wird man noch für das souveraine Walten der Laune ent¬ schädigt, die sich auf Kosten der wahren Kunst geltend macht. Das entsetzliche Schicksal, das über ihn ausbrach, und das durch ganz Deutschland ein tiefes Mitgefühl hervorrief, erklärte Vieles in seinem früheren Schaffen. Wie wir nun hören, trat ein momentaner Wahnsinn schon im Jahre 1833 hervor, also in seinem 23 Jahr. Die Krankheit war in seiner Familie mehr¬ fach vorgekommen, und so hat Schumann sein ganzes Lehen hindurch mit dem finstern Grauen vor einem Dämon zu kämpfen gehabt, der ihn zuletzt doch faßte. In diesem unheimlichen Vorgefühl, welches man wol für Augen¬ blicke beseitigt, aber nicht gänzlich verbannt, ist ein heiteres, gesundes Schaffen unmöglich, und je tiefer daS Mitleid ist, das uns sein Schicksal ein- flößr, desto mehr werden wir die Schöpfungen bewundern, die er ihm den¬ noch abgerungen hat. Ueber diese Zustände wie über die geistige Entwickelung Schumanns über¬ haupt, gibt der Verfasser der vorliegende» Schrift, selbst ein vorzüglicher Musiker und in der Periode -1830 — 52 Schumanns Vertraueter, durchweg auf Documente gestützt, ausreichende Mittheilungen. Wenn auch in der Korrespondenz manche Lücken bleiben, so erfahren wir doch genug,, um uns den ungefähren Zusammenhang versinnlichen zu können. Was die musikalische Kritik betrifft, so hätten wir in manchen Punkten eine größere Ausführung gewünscht, namentlich in Bezug auf die reifern Werke Schumanns, deren

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/518>, abgerufen am 23.07.2024.