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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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als ordentlichen Lehrer einzuführen, was auch geschah. Mittlerweile ließ Herr
von Kamptz wohlbekannten Andenkens, der in der breiner Zeitung einige
Mal augegriffen war, in ein französisches Blatt die Notiz einrücken: die preu¬
ßische Regierung habe einen Hauptdemagogen als Lehrer in der Rheinprovinz
angestellt. Diesen Artikel legte Fürst Wittgenstein dem König vor, der dar¬
über natürlich sehr aufgebracht war, und sofort erging vom Miinsterialreferenten
an Elters ein Schreiben, daß für den Augenblick an eine Anstellung
Berchts tu irgend einem Theil des preußischen Staats nicht zu denken sei.
Nun hatte Berche infolge seiner officiellen Berufung von Seiten des Consisto-
riums seine lucrative Stellung in Bremen aufgegeben. Elters schickte an das
Ministerium seine'Schriften ein, aus denen sich nachweisen ließ, daß Berche,
weit entfernt, ein Feind Preußens zu sein, sich über diesen Staat stets in
Prosa und in Versen mit warmem Enthusiasmus ausgesprochen hatte. Indeß
die preußische Redensart: Nicht raisonnirt! wurde" auch dies Mal in An¬
wendung gebracht, und wie der Verfasser S. ö? sagt: "Zum Jakobiner ge¬
fährlichster Art hatte sich Berche sowol in Berlin, als in Wien dadurch ge¬
stempelt, daß er den deutschen Bund nicht mit Gentz-Metternichschen Augen
angesehen, sondern sich sür eine Reorganisation und eine preußische Hege¬
monie in Deutschland ausgesprochen." Es geschieht nichts Neues unter der
Sonne! Die weitern Schritte wollen wir übergehen; nur noch eine pikante
Anekvote, S. 78. Der Fürst Staatskanzler erkannte das dem Herrn Berche
geschehene Unrecht und suchte ihn dadurch einstweilen zu beschwichtigen, daß er
ihm eine Summe anweisen ließ, die dem zweijährigen Betrage des ihm zu¬
gesicherten Gehalts gleichkam. In der Hauptsache konnte oder mochte aber
auch er nichts andern. Als Berche den Minister von Schuckmann auf¬
forderte, ihn vor Gericht stellen zu lassen, erwiderte dieser: "tels wird mau
bleiben lassen, man hat durchaus keine Jndicien gegen Sie. Sie sind des
Verdachts verdächtig und das ist jetzt von großer Bedeutung. Sie haben als
Offizier gedient und als Halbinvalide mit Aussicht auf Anstellung den Ab¬
schied erhalten: der Staat ist mithin verpflichtet, Sie anzustellen, und er wird
dieser Verpflichtung gerecht werden, man wird Sie zum Thorschreiber in Gum-
binnen machen!" Mit dieser ironischen Erwiderung gab Herr von Schuckmann,
der Polizeiminister, seine-eigne Indignation. über daS Verfahren der Po¬
lizei deutlich kund, aber auch seiue eigne Abhängigkeit. Endlich fand sich
eine Stelle in Frankfurt am Main, uno da der Senat dieser freien Stadt
Anstand nahm, einen in Preußen mißliebigen Mann anzustellen, erfolgte von
der gutmüthigen preußischen Negierung umgehend die officielle Erklärung, daß
mau es vielmehr sehr gern sehen würde. Der Zug charakteristrt mehr als
eine lange Geschichte die damaligen Zustände. Es finden sich über jene Pe¬
riode in dem Buch noch einige interessante Notizen, z. B. über die durch


als ordentlichen Lehrer einzuführen, was auch geschah. Mittlerweile ließ Herr
von Kamptz wohlbekannten Andenkens, der in der breiner Zeitung einige
Mal augegriffen war, in ein französisches Blatt die Notiz einrücken: die preu¬
ßische Regierung habe einen Hauptdemagogen als Lehrer in der Rheinprovinz
angestellt. Diesen Artikel legte Fürst Wittgenstein dem König vor, der dar¬
über natürlich sehr aufgebracht war, und sofort erging vom Miinsterialreferenten
an Elters ein Schreiben, daß für den Augenblick an eine Anstellung
Berchts tu irgend einem Theil des preußischen Staats nicht zu denken sei.
Nun hatte Berche infolge seiner officiellen Berufung von Seiten des Consisto-
riums seine lucrative Stellung in Bremen aufgegeben. Elters schickte an das
Ministerium seine'Schriften ein, aus denen sich nachweisen ließ, daß Berche,
weit entfernt, ein Feind Preußens zu sein, sich über diesen Staat stets in
Prosa und in Versen mit warmem Enthusiasmus ausgesprochen hatte. Indeß
die preußische Redensart: Nicht raisonnirt! wurde« auch dies Mal in An¬
wendung gebracht, und wie der Verfasser S. ö? sagt: „Zum Jakobiner ge¬
fährlichster Art hatte sich Berche sowol in Berlin, als in Wien dadurch ge¬
stempelt, daß er den deutschen Bund nicht mit Gentz-Metternichschen Augen
angesehen, sondern sich sür eine Reorganisation und eine preußische Hege¬
monie in Deutschland ausgesprochen." Es geschieht nichts Neues unter der
Sonne! Die weitern Schritte wollen wir übergehen; nur noch eine pikante
Anekvote, S. 78. Der Fürst Staatskanzler erkannte das dem Herrn Berche
geschehene Unrecht und suchte ihn dadurch einstweilen zu beschwichtigen, daß er
ihm eine Summe anweisen ließ, die dem zweijährigen Betrage des ihm zu¬
gesicherten Gehalts gleichkam. In der Hauptsache konnte oder mochte aber
auch er nichts andern. Als Berche den Minister von Schuckmann auf¬
forderte, ihn vor Gericht stellen zu lassen, erwiderte dieser: „tels wird mau
bleiben lassen, man hat durchaus keine Jndicien gegen Sie. Sie sind des
Verdachts verdächtig und das ist jetzt von großer Bedeutung. Sie haben als
Offizier gedient und als Halbinvalide mit Aussicht auf Anstellung den Ab¬
schied erhalten: der Staat ist mithin verpflichtet, Sie anzustellen, und er wird
dieser Verpflichtung gerecht werden, man wird Sie zum Thorschreiber in Gum-
binnen machen!" Mit dieser ironischen Erwiderung gab Herr von Schuckmann,
der Polizeiminister, seine-eigne Indignation. über daS Verfahren der Po¬
lizei deutlich kund, aber auch seiue eigne Abhängigkeit. Endlich fand sich
eine Stelle in Frankfurt am Main, uno da der Senat dieser freien Stadt
Anstand nahm, einen in Preußen mißliebigen Mann anzustellen, erfolgte von
der gutmüthigen preußischen Negierung umgehend die officielle Erklärung, daß
mau es vielmehr sehr gern sehen würde. Der Zug charakteristrt mehr als
eine lange Geschichte die damaligen Zustände. Es finden sich über jene Pe¬
riode in dem Buch noch einige interessante Notizen, z. B. über die durch


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/516>, abgerufen am 23.07.2024.