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Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band.

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einen substantiellen Gehalt entgegenzusetzen haben, er bestärkt sie in der
Neigung, die bei dem "Musensohn" gar keiner Verstärkung bedarf, über die
ernsthaften Angelegenheiten der Philister zu spotten. Gegen diesen Mißbrauch
der akademische,! Stelle können wir unsere Mißbilligung nicht stark genug
ausdrücken, und wir glaube", daß darin alle Parteien einig sein werden. Nicht
viel anders ist es mit der Religion. Auch hier gilt Erdmann für einen Re¬
aktionär, wenn wir aber auf die zahlreichen Seitenhiebe gegen die Orthodoxie,
die in diesen Vorlesungen vorkommen, kein großes Gewicht legen, so glauben
wir Vagegen, baß grade die Art, wie er sich ihrer zuweilen annimmt, höchst
verletzend sein muß. Am schärfsten findet man die Beleidigungen eines guten
Freundes, der uns mit lächelndem Achselzucken entschuldigt. Es ist nicht über¬
trieben, wenn wir behaupten, daß Erdmann die Stellung des Geistlichen zur
Kirche als ein bloßes Contractverhältniß betrachtet; wir glauben nicht, baß
seine sogenannten politischen und religiösen Freunde dieser Ansicht beitreten
werden.

Nur noch einige Worte über einen dritten Schriftsteller dieser subjectiven
Richtung: Meine Wanderung durchs Leben, ein Beitrag zur innern
Geschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, von Or. Gerd Elters,
kön. preuß. Geh. Regierungsrath a. D. (2 Bd., Leipzig, Brockhaus). Der
Verfasser spricht schon in der Vorrede mit einer gewissen Unsicherheit über seine
amtliche Thätigkeit unter dem Ministerium Eichhorn, namentlich bei der mini¬
steriellen Literaturzeitung. Die üble Meinung, welche im Publicum über seinen
Einfluß verbreitet war, beunruhigt ihn sichtlich; auch erwägt er mehrmals,
was wol seine Freunde zu seiner gegenwärtigen politischen Haltung sagen
mögen: er fürchtet dem einen zu conservativ, dem andern zu liberal zu sein.
Daß man ihm, und wie es scheint, auf eine ziemlich brüske Weise seinen
Abschied gegeben hat, erklärt das Auftreten des malcontenten Staatsmanns
hinreichend. ES versteht sich von selbst, daß er seinen frühern Ansichten, die
ja der Oeffentlichkeit angehören, nicht direct widerspricht. Doch behalten wir
uns vor, auf diese allgemein politische Thätigkeit später einzugehen, wenn er
mit seinen Memoiren so weit gekommen sein wird. Vorläufig sind wir noch
in den Jahren 18-19, 1820 u. s. w. in der Vollblüte der Demagvgenriecherei.
Er gibt zur Geschichte dieser Periode einige recht spaßhafte Beiträge. Er war
damals Gymnasialdirector in Kreutznach. Das Gymnasium sollte gehoben
werden, und es kam darauf an, junge Kräfte dafür zu gewinnen. Elters
brachte 1817 den Professor Berche in Vorschlag, der in den Freiheitskriegen
als preußischer Offizier, gedient hatte, und bann die bremer Zeitung redigirte.
Der Provinzialschuliath erklärte sich dafür, und das Consistorium erließ an
den Director, 2!i. August 1829, die Verfügung, den Professor Berche schleunigst


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einen substantiellen Gehalt entgegenzusetzen haben, er bestärkt sie in der
Neigung, die bei dem „Musensohn" gar keiner Verstärkung bedarf, über die
ernsthaften Angelegenheiten der Philister zu spotten. Gegen diesen Mißbrauch
der akademische,! Stelle können wir unsere Mißbilligung nicht stark genug
ausdrücken, und wir glaube», daß darin alle Parteien einig sein werden. Nicht
viel anders ist es mit der Religion. Auch hier gilt Erdmann für einen Re¬
aktionär, wenn wir aber auf die zahlreichen Seitenhiebe gegen die Orthodoxie,
die in diesen Vorlesungen vorkommen, kein großes Gewicht legen, so glauben
wir Vagegen, baß grade die Art, wie er sich ihrer zuweilen annimmt, höchst
verletzend sein muß. Am schärfsten findet man die Beleidigungen eines guten
Freundes, der uns mit lächelndem Achselzucken entschuldigt. Es ist nicht über¬
trieben, wenn wir behaupten, daß Erdmann die Stellung des Geistlichen zur
Kirche als ein bloßes Contractverhältniß betrachtet; wir glauben nicht, baß
seine sogenannten politischen und religiösen Freunde dieser Ansicht beitreten
werden.

Nur noch einige Worte über einen dritten Schriftsteller dieser subjectiven
Richtung: Meine Wanderung durchs Leben, ein Beitrag zur innern
Geschichte der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts, von Or. Gerd Elters,
kön. preuß. Geh. Regierungsrath a. D. (2 Bd., Leipzig, Brockhaus). Der
Verfasser spricht schon in der Vorrede mit einer gewissen Unsicherheit über seine
amtliche Thätigkeit unter dem Ministerium Eichhorn, namentlich bei der mini¬
steriellen Literaturzeitung. Die üble Meinung, welche im Publicum über seinen
Einfluß verbreitet war, beunruhigt ihn sichtlich; auch erwägt er mehrmals,
was wol seine Freunde zu seiner gegenwärtigen politischen Haltung sagen
mögen: er fürchtet dem einen zu conservativ, dem andern zu liberal zu sein.
Daß man ihm, und wie es scheint, auf eine ziemlich brüske Weise seinen
Abschied gegeben hat, erklärt das Auftreten des malcontenten Staatsmanns
hinreichend. ES versteht sich von selbst, daß er seinen frühern Ansichten, die
ja der Oeffentlichkeit angehören, nicht direct widerspricht. Doch behalten wir
uns vor, auf diese allgemein politische Thätigkeit später einzugehen, wenn er
mit seinen Memoiren so weit gekommen sein wird. Vorläufig sind wir noch
in den Jahren 18-19, 1820 u. s. w. in der Vollblüte der Demagvgenriecherei.
Er gibt zur Geschichte dieser Periode einige recht spaßhafte Beiträge. Er war
damals Gymnasialdirector in Kreutznach. Das Gymnasium sollte gehoben
werden, und es kam darauf an, junge Kräfte dafür zu gewinnen. Elters
brachte 1817 den Professor Berche in Vorschlag, der in den Freiheitskriegen
als preußischer Offizier, gedient hatte, und bann die bremer Zeitung redigirte.
Der Provinzialschuliath erklärte sich dafür, und das Consistorium erließ an
den Director, 2!i. August 1829, die Verfügung, den Professor Berche schleunigst


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 16, 1857, II. Semester. IV. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341586_104734/515>, abgerufen am 23.07.2024.